Der Begriff «Flugscham» ist seit der von Öko-Aktivistin Greta Thunberg (16) angestossenen Klimastreiks in aller Munde. Immer mehr Firmen, Organisation und Private überlegen es sich derzeit zweimal, ob sie einen Flug buchen sollen. Die deutsche Firma Weiberwirtschaft, nach eigenen Angaben das grösste Gründerinnen- und Unternehmerinnenzentrum Europas, geht noch einen Schritt weiter.
Die Angestellten der Berliner Genossenschaft bekommen drei zusätzliche Ferientage, wenn sie ein Jahr lang nicht geflogen sind. Damit will die Firma den Anreiz setzen, «klimaschonende Reiseformen und -ziele zu wählen», wie Spiegel online berichtet.
«Das war pure Entschleunigung»
Für Geschäftsführerin Katja von der Bey ist klar: «Jeder weiss, dass Flugreisen ein Klimakiller sind.» Doch Alternativen wie Zugreisen würden häufig mehr Zeit kosten. Und doch: Sie hat es selber ausprobiert und ist im letzten Sommer mit dem Zug an die Côte d'Azur gefahren. «Das war die pure Entschleunigung und ging erstaunlich gut», sagt von der Bey.
Der Klimaschutzeffekt sei bei zehn Mitarbeiterinnen «eher symbolisch» sei. Doch: «Vielleicht macht die Idee ja Schule und andere Unternehmen greifen sie auf», erklärt Geschäftsführerin Katja von der Bey.
«Eine tolle Idee!»
«Ich finde das eine tolle Idee. Jeder Anreiz, auf das Fliegen zu verzichten, ist willkommen», sagt WWF-Klimaexperte Philipp Gehri (43). «Entscheidend ist aber, dass die Verursacher für die Schäden aufkommen, die sie mit dem Fliegen verursachen. Es braucht deshalb eine Flugticketabgabe», sagt er zu BLICK.
Fredy Greuter, Sprecher vom Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV), sagt: «Energie- und Klimapolitik sind wichtige Fragen für unsere Gesellschaft. Diese Debatten erreichen auch die Arbeitgeber.» Der Verband sieht auf politischer Ebene keinen neuen Regulierungsbedarf.
«Wir verfolgen aber mit Interesse insbesondere klimaschonende Arbeitsmodelle, die mit der Digitalisierung am Arbeitsplatz möglich werden. Zum Beispiel können Videokonferenzen in vielen Fällen eine physische Präsenz erübrigen», so Greuter. Damit könne die Zahl der Geschäftsreisen verringert werden. «Anders als bei der Idee mit den zusätzlichen Ferientagen ist es jedoch nicht Aufgabe des Arbeitgebers, private Verhaltensweisen ohne Bezug zur Arbeit zu steuern.»
Anreiz für die Ferienplanung
Für Gabriel Fischer, Leiter Wirtschaftspolitik bei der Gewerkschaft Travail Suisse, ist klar: «In Bezug auf Flugreisen, liegen die Möglichkeiten eher bei einem konsequenten Verzicht auf Flüge bei Geschäftsreisen.» Wenn daneben noch in kleinem Masse ein Anreiz für die Ferienplanung der Arbeitnehmenden gesetzt werde, sei das umso besser.
«Insbesondere überzeugt die Argumentation, dass zusätzliche Ferientage zur Kompensation für die längere An- und Abreise mit dem Zug gegenüber dem Flugzeug dienen», sagt er. Doch: «Grundsätzlich erscheint mir ein solcher Anreiz aber als willkürlich. Weshalb sollte nicht diejenige mit Solarheizung, wer mit dem öV zur Arbeit kommt oder sich vegetarisch ernährt, in den Genuss von zusätzlichen Ferientagen kommen?»