Bei welcher Firma is(s)ts am besten?
Das Rating des GV-Schrecks

Höhenflug bei Ems, Magerkost bei Novartis: Hermann Struchen (85) sagt, welche Firmen ihre Aktionäre hungern lassen.
Publiziert: 04.05.2015 um 18:08 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 03:46 Uhr
Hermann Struchen an der ABB-GV am letzten Donnerstag: «Wenn man lange leben will, muss man richtig essen.»
Foto: Foto: Thomas Lüthi
Von Guido Schätti

Einen Termin mit Hermann Struchen zu finden, ist in diesen Tagen fast unmöglich. Es ist Frühling, die Zeit der Generalversammlungen. «Ich habe es kolossal streng», stöhnt Struchen, als er trotzdem mal eine freie Stunde findet an einem Nachmittag. Am letzten Dienstag stieg er schon um 5.30 Uhr aus den Federn und fuhr nach Basel zur Generalversammlung von Syngenta. Dabei ist Struchen ein Nachtmensch, selten steht er vor 10 Uhr auf. Doch eine GV lässt sich der frühere Prokurist einer Russhandelsfirma eben nur ungern entgehen. Am gleichen Abend war er noch bei Vontobel – im Panoramasaal des Zürcher Kongresshauses.

Struchen ist ein klassischer GV-Schreck. Einer, der fast immer das Wort ergreift, sich auch mal in seinen eigenen Ausführungen verheddert und die Versammlungsleiter mit seinen kniffligen Fragen schier um den Verstand bringt. Früher teilte er sich den Job mit Rudolf Weber (84) aus Rheinfelden AG. Doch seit der frühere Politiker der Nationalen Aktion kürzertritt, liegt die ganze Last auf Struchen.

Den Entschluss, aufs Podest zu treten, fällt er immer spontan. Nie bereitet er seine Referate vor. «Als ehemaliger Verkäufer bin ich es gewohnt, direkt auf die Menschen zuzugehen. Und als Offizier habe ich auch keine Angst, vor vielen Leuten zu reden.»

In den uniformen Reihen von Anwälten und Fondsmanagern ist Struchen der bunte Hund. Die Stimme des Volkes – und des Bauches.

Denn vor allem ein Thema liegt ihm am Herzen: die Verköstigung des Aktionärs. «Wenn man lange leben will, muss man richtig essen», sagt Struchen. Mit dem früheren Novartis-Präsidenten Daniel Vasella (61) lieferte er sich einen jahrelangen Kleinkrieg. «Bei Novartis wird man hungrig und durstig entlassen. Das geht einfach nicht», enerviert er sich. Jahr für Jahr lud er Vasella nach Zürich zum Essen ein, um die Sache zu besprechen. Im Nachhinein ist er froh, dass Vasella nie auftauchte. «Er hätte mir sicher die Stunden verrechnet. Das wäre teuer geworden.»

Seinen Kampf führt Struchen weiter. Auch unter Vasellas Nachfolger Jörg Reinhardt (58) sei die Novartis-GV kulinarisches Ödland geblieben. «Bei der Fusion wurden wir seinerzeit verpflegt wie Gott in Frankreich. Sobald sie hatten, was sie wollten, gabs nur noch Gummigipfeli.»

Auch auf andere Grosskonzerne ist Struchen schlecht zu sprechen. Nestlé verteile zwar viele «Müsterli», doch einen Sack, um diese zu verstauen, gebe es nicht. Bei der UBS könne man nicht mal sitzen. Und als VR-Präsident Axel Weber (58) die Redezeit beschränkte, hatte er es mit Aktionär Struchen verdorben.

Was für ein Kontrast zur Ems-Chemie. Die alljährliche Wallfahrt ins Bündnerland liesse sich Struchen um nichts in der Welt entgehen. Dort gibt es ein Zelt, gedeckte Tische, Braten mit Beilagen und ein Dessert. Und auch für Kultur sorgen die Blochers: Einmal wurde die Oper «Carmen» aufgeführt, ein anderes mal spielte Pepe Lienhard.

Zu Struchens Lieblingen gehört auch Rolf Dörig (57), der Präsident von Swiss Life und Adecco. «Ich mag ihn. Und ich glaube, er mag mich auch.»

Seit mehr als dreissig Jahren lebt Struchen allein in seinem Haus in Altstetten ZH. Ohne Krawatte, Veston und weisses Hemd geht er nie an eine GV. Sein Auftritt ist stets «picobello», wie er selber sagen würde.

Fast jeden Abend isst er auswärts. Oft im Gambrinus an der Langstrasse oder in der Schützenruh beim Alibsgüetli. Wenn er etwas zu feiern hat, geht er in den Steinerhof nach Urdorf ZH.

Struchen kann stundenlang über Beinschinken, Braten und Härdöpfel-Gratin philosophieren, doch ein Vielfrass ist er nicht. Und schon gar kein Trinker. «Ich hatte im Militär einen Hauptmann, der gesoffen hat. Das war mir eine Lehre.»

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