Eigentlich hätten die Baumeister allen Grund zu feiern: Um das Jahr 2040 werden in der Schweiz 10 Millionen Menschen leben. Doch diese 10-Millionen-Schweiz muss erst gebaut werden, schon heute platzt die Infrastruktur aus allen Nähten. Die Strassen sind oft verstopft, die Züge überfüllt und der Wohnraum – vor allem bezahlbarer – wird immer knapper.
Bei dieser Ausgangslage müssten die Auftragsbücher der Baumeister prall gefüllt sein. Doch Fehlanzeige, 2024 werden weniger neue Wohnungen gebaut werden als im Vorjahr, wie Gian-Luca Lardi (54), der oberste Baumeister der Schweiz, am Tag der Bauwirtschaft in Zürich ausführte. Erst in zwei Jahren dürfte die Baudelle vorbei sein.
Übertriebene Ansprüche
Doch die Stimmung ist nicht ungetrübt. Denn die Baumeister wissen, alleine mit ihren Baggern und Kränen können sie die Riesenaufgabe nicht stemmen, es braucht die Hilfe aus der Politik. Und der Bevölkerung, denn was die Baumeister vorschlagen, wird nicht ohne Widerstand bleiben und schliesslich an der Urne beurteilt werden.
Es braucht ein Umdenken bei allen: «Wer wenig verdient, weiss, dass er sich kein Luxusauto leisten kann», so Lardi. «Geht es aber ums Wohnen, glaubt jeder, er hätte Anrecht auf eine Luxusimmobilie, am besten Platz zu einem guten Standard für wenig Geld.»
Das Problem: Es gibt viel zu viel schlecht genutzte Wohnfläche. «Personen im dritten Lebensabschnitt bewohnen durchschnittlich 71 Quadratmeter Wohnfläche, während junge Generationen mit nur 41 Quadratmeter auskommen müssen», sagt Lardi. Alte raus und Junge rein – geht leider nicht so einfach, da es gerade in den Städten und der Agglomeration beinahe unmöglich ist, eine neue kleinere Wohnung zu finden, die günstiger ist als die grosse alte.
Probleme lösen
Im Gespräch mit Blick skizziert Lardi Ideen, die sowohl Eigentümern als auch Mietern helfen könnten, bezahlbaren Wohnraum zu finden. «Wir sollten den überregulierten Mietmarkt komplett liberalisieren», fordert Lardi. Ein radikaler Vorschlag, denn zuerst würden gerade in den Ballungszentren die Mieten wohl steigen.
Aber es käme so auch mehr Bewegung in den Markt, ist der oberste Baumeister überzeugt. «Wenn plötzlich 20 bis 30 Prozent mehr Wohnfläche auf den Markt kommt, dann gehen die Preise runter.» Lardi anerkennt zwar, dass durch die Liberalisierung neue Baustellen auf dem Wohnungsmarkt entstünden. «Aber man würde mehr Probleme lösen, als neue zu schaffen!»
Es braucht noch mehr
Ähnlich radikal der Vorschlag für Eigentümer: «Die Besteuerung des Eigenmietwerts ist komplett überholt. Besser wäre es, die Wohnfläche zu besteuern.» Das heisst, wer viel Fläche bewohnt, zahlt mehr Steuern. Das könnte Anreize gerade für ältere Menschen schaffen, das grosse, ineffizient genutzte Haus zu verlassen. Mit dem Verkauf der zu grossen Immobile liesse sich die kleinere Wohnung finanzieren, glaubt Lardi.
Martin Neff (64), ehemaliger Chefökonom von Raiffeisen, heute Jungunternehmer und Verwaltungsrat einer grossen Immobilienfirma, tritt als Gastredner am Tag der Bauwirtschaft auf. «Wir haben den Wohnungsmarkt zu Tode reguliert. Deshalb gibt es zu wenig Fluktuation», stösst Neff ins gleiche Horn wie Lardi. «Die Vorschläge der Baumeister setzen am richtigen Punkt an. Allerdings braucht es noch weit mehr», so der Ökonom. «Wir müssten den Paragrafendschungel auf dem Wohnungsmarkt radikal abholzen.»