Es hätte ihr Traumhaus werden sollen. Doch dann lief der Hausbau komplett aus dem Ruder. Was das Ehepaar Heinz (60) und Sabine R.* (54) in den vergangenen Jahren durchmachen musste, gleicht einer Odyssee. Die Eheleute wollen anonym bleiben. Sie erzählen Blick ihre Geschichte, «um andere vor demselben Schicksal zu bewahren».
Was ist passiert? Alles begann damit, dass Heinz und Sabine R. Anfang 2018 bei der Hypothekarbank Lenzburg einen Baukredit für den Bau ihres Hauses aufnahmen. Um ihr Traumhaus inklusive Einliegerwohnung für ihre Tochter zu entwerfen, zogen sie einen Architekten bei. Dessen Kostenvoranschlag für das neue Haus plus Land: 1,997 Millionen Franken.
Einsprache verzögert Bau
Für den Baukredit schlossen sie bei der Hypothekarbank Lenzburg einen sogenannten Treuhändervertrag ab. Das ist nicht unüblich bei einem Hausbau. Damit wird ein Treuhandkonto eröffnet, durch das die Bank Zahlungen an Handwerker und Lieferanten, die am Bau des Hauses beteiligt sind, auslösen kann. Der Treuhandvertrag wurde von der Bank, dem Ehepaar als Bauherren und dem bauleitenden Architekten als Treuhänder unterschrieben. «Den Tag, an dem wir diesen Vertrag unterzeichneten, werden wir für den Rest unseres Lebens bereuen», sagt das Ehepaar heute. «Das war der Anfang eines beispiellosen Skandals!»
Doch damals ahnten sie nichts Böses. Und vorerst passierte auch nicht viel. Denn der erste Entwurf des Neubaus wurde 2018 von der Gemeinde im Kanton Zürich abgelehnt. Eine Einsprache verzögerte den Bau zusätzlich.
«Anfang 2020 wurde endlich mit dem Bau begonnen», sagt R. Dann die böse Überraschung: «Es dauerte nicht lange, und wir hatten Reklamationen von Handwerkern, deren Rechnungen anscheinend nicht beglichen wurden.» Das Ehepaar hakt bei der Bank und dem Architekten nach. «Immer kamen irgendwelche Ausreden, warum die Rechnungen noch nicht bezahlt waren», sagt der Familienvater. «Wir waren naiv und glaubten den Aussagen.»
Hypothek musste erhöht werden
Dann der nächste Hammer: Im September 2020 musste das Ehepaar die Hypothek um 500'000 Franken erhöhen, um offene Rechnungen begleichen zu können. «Die Bank meinte, wir würden sonst Konkurs gehen – sie legten uns aber nie Unterlagen vor», so R. Widerwillig unterzeichnete das Ehepaar die Erhöhung der Hypothek. Doch ihre Zweifel wuchsen, und das Vertrauen in die Bank und den Architekten schwand. Sie verlangten Einsicht in alle Bankbelege und Rechnungen – erhielten diese jedoch nicht.
Schon zwei Wochen später kam erneut ein Handwerker auf R. zu. «Er sagte, er habe das Geld für seine Leistungen noch immer nicht erhalten.» Die Eheleute gerieten in Panik. Wo flossen die zusätzlichen 500’000 Franken hin, wenn sie nicht für die bereits aufgelaufenen Rechnungen benutzt wurden?
Verdächtige Zahlungen
Wieder verlangte das Ehepaar bei der Bank alle Abrechnungen und Unterlagen. Nach mehrmaligem Nachhaken bekamen sie die Kontoauszüge. Und die hatten es in sich. Die Eheleute trauten ihren Augen nicht: «Der Architekt hatte sich mehrmals an unserem Konto bedient, und zwar weit über das einst vereinbarte Honorar von 170'000 Franken hinaus», sagt der Geschädigte. So nahm er sich Ende 2018 – da lag noch nicht mal eine Baubewilligung vor – bereits 210’000 Franken vom Konto. Im Jahr 2019 wurden weitere 225’000 bezogen – noch vor Baubeginn. Blick liegen die Kontoauszüge vor. «Wir haben für diese Geldbeträge weder eine Rechnung noch eine Zahlungsanweisung gesehen, geschweige denn unterschrieben», beteuert das Ehepaar.
Weitere 48'465 Franken soll sich der Architekt 2020 geholt haben, und zwar mit Rechnungen, die auf eine seiner Firmen lautete. «Mit dieser Firma hatten wir aber keinen Vertrag», sagt R. Sie stand auch nicht auf der Handwerkerliste. Für den Architekten gilt die Unschuldsvermutung.
Wo floss das Geld hin?
Das Ehepaar begann, sämtliche Handwerker abzutelefonieren, um sich ein Bild des Schadens zu machen. Es stellte sich heraus, dass Hunderttausende Franken ausstanden. Die Eheleute suchten das Gespräch mit der Bank. Sie wiesen darauf hin, die Zahlungen an den Architekten nie abgesegnet zu haben.
Die Hypothekarbank Lenzburg weist diese Vorwürfe zurück. «Unserer Ansicht nach ist auf Seite der Bank alles korrekt abgelaufen, und sämtliche Kontrollmechanismen wurden eingehalten», sagt ein Sprecher zu Blick. Weil es sich um einen nicht abgeschlossenen Rechtsfall handle, könne man sich nicht im Detail dazu äussern.
Architekt beteuert Unschuld
Der Architekt beteuert derweil, den Bauherrn jeweils alle Belege vorgelegt zu haben. Die Unterschriften von R. würden das beweisen. R. streitet das ab und sagt, seine Unterschrift wurde gefälscht. Bis heute fehlt dem Ehepaar eigenen Aussagen zufolge eine Abrechnung über die erbrachten Leistungen des Architekten.
Die Geschädigten leiten ein Strafverfahren wegen Veruntreuung und Urkundenfälschung ein. Doch der Architekt wird freigesprochen. Der Grund laut R.: Die Bank hatte alle Belege eingescannt und die Originale entsorgt. «Die Kopien lassen nicht zu, zweifelsfrei eine Fälschung nachzuweisen», heisst es im Urteil des Bezirksgerichts, das Blick vorliegt. Der Architekt selbst weist die Schuld von sich. «Im Strafverfahren erwiesen sich die Vorwürfe als völlig haltlos», so sein Anwalt.
Ehepaar will andere warnen
Schlussendlich mussten die Eheleute ihre Hypothek noch mal erhöhen. Ihr Baukredit wuchs auf 2,81 Millionen Franken. Dazu kommen Anwalts- und Gerichtskosten. «Diese jahrelange Odyssee hat uns nicht nur finanziell, sondern auch physisch und psychisch zugesetzt», sagt R. Er wirft der Bank vor, ihnen die Einsicht in die Belege viel zu lange oder komplett verweigert zu haben.
Das Ehepaar will den Fall nun vor das Zivilgericht bringen. Gegen den Architekten haben sie eine Betreibung eingeleitet. Ihr inzwischen fertiggestelles Haus wollen sie verkaufen. Es erinnert sie zu sehr an das Geschehene.
* Name geändert