Bankier-Präsident Herbert Scheidt über Regulierungswut
«Kunden leiden unter der Bürokratie»

Wo die Bankkunden weniger bezahlen und wofür sie gerne mehr Geld ausgeben, verrät der Chef der Bankiervereinigung im Gespräch mit BLICK. Zudem: Was er von der Vollgeld-Initiative hält und was die Datenwolke dem Finanzplatz bringen kann.
Publiziert: 16.05.2018 um 22:30 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 20:08 Uhr
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Herbert Scheidt: «Die Daten unserer Kunden müssen sicher sein.»
Foto: Anja Wurm
Interview: Christian Kolbe

Der oberste Banker der Schweiz empfängt BLICK auf der Dachterrasse: Im obersten Stock der Konzernzentrale der Bank Vontobel in Zürich. Die Aussicht ist atemberaubend, das Auge schweift vom Finanzplatz Zürich über den See bis zu den Gipfeln der Glarner Alpen. Auf einen Blick ist klar, worum es im Leben von Herbert Scheidt geht: um Banken, Baden und Berge. Und neuerdings auch um Smartphones. Mehrere dieser Geräte liegen auf dem Tisch, um das Interview aufzuzeichnen.

BLICK: Sie haben mein Smartphone bewundert. Dieses Gerät hat meine Arbeit sehr verändert – auch die Arbeit des Bankers?
Herbert
Scheidt: Absolut! Das Smartphone hat den technologischen Wandel für alle nach Hause und an den Arbeitsplatz gebracht. Es ist ein Instrument, mit dem wir kommunizieren und das eine grosse Zahl an Erleichterungen mit sich bringt. Auch im Bankgeschäft. Die Art und Weise, wie Banken Geschäfte machen, die verändert sich.

Wie war das damals, als Sie ins Bankgeschäft eingestiegen sind?
Als ich meine Banklehre in Deutschland absolviert habe, da habe ich noch Bankzettel abgeheftet. Das war alles händisch. Das fällt heute weg. Aber kein Algorithmus ersetzt das Vertrauen in den Berater – und das wird auch in Zukunft so bleiben! 

Wirklich? Ich kann mir doch heute auch Anlagetipps vom Robo-Advisor auf das Smartphone holen.
Dieses Instrument ersetzt nicht den Kontakt zu ihrem Berater, wenn sie eine wichtige Anlage machen wollen. Zum Beispiel, was sie mit ihrer Pensionskasse machen wollen, wenn es darum geht, dass sie auch im Alter ihr Geld noch richtig angelegt haben.

Der Papierkram wird automatisiert. Da müssten doch die Gebühren für Kontoführung oder Zahlungen sinken?
Diese Kosten werden sinken, dafür wird auch der Wettbewerb sorgen. Die Kosten für eine hochwertige Beratung werden zunehmen. Dafür ist der Kunde aber auch bereit zu bezahlen.

Was heisst das für die Jobs in der Bankbranche?
Interessanterweise ist die Anzahl der Bankmitarbeiter 2007 – also vor der Finanzkrise – und 2017 etwa gleich gross. Das Aufgabenprofil dagegen hat sich fundamental verändert. Cybersecurity, also die Sicherheit der Bankdaten in der digitalen Welt, hat stark an Bedeutung  gewonnen. Aber gerade im Bereich Informatik muss nicht mehr jeder Job in der Bank selbst gemacht werden, das können auch externe Anbieter erledigen. Selbst wenn die Mitarbeiterzahl der Banken zurückgeht, muss das nicht heissen, dass diese Jobs auf dem Finanzplatz verloren gehen.

Wie gross ist die Konkurrenz durch Fintech-Firmen?
Die Fintech-Branche hat uns stimuliert. Die Fintech-Branche ist eine wichtige Ergänzung zu dem, was  wir als etablierte Branche tun. Es ist ein gutes Miteinander, das wir pflegen. Die Banken haben die Erfahrung im regulierten Umfeld und das Vertrauen der Kunden, Fintech bringt neue Technologien. 

Lassen sich Bankkundendaten auch irgendwo in einer Datenwolke speichern?
Das ist ein wichtiges Thema. Die Daten unserer Kunden müssen sicher sein. Da legen wir als Branchenverband sehr viel Wert darauf. Gleichzeitig dürfen wir uns den technischen Möglichkeiten, wie die Cloud sie offeriert, nicht verschliessen. Wir arbeiten daran, eine  Finanz-Cloud in der Schweiz und für die Schweiz zu schaffen, die ein Höchstmass an Sicherheit gewährleistet und damit unseren gewohnten Schweizer Standards entspricht.

Kommt Ihnen da das Bankgeheimnis in die Quere? Wolken halten sich bekanntermassen nicht an Landesgrenzen.Richtig! Digitalisierung kennt keine Grenzen. Als Branche müssen wir sicherstellen, dass die Daten gut verschlüsselt sind, bevor wir diese in die Cloud stellen. Das ist eine grosse Herausforderung. Auf der anderen Seite benutzen die allermeisten Menschen unzählige Anwendungen im Netz und kümmern sich wenig um die Sicherheit ihrer persönlichen Daten. Aber wie für alle Lebensbereiche gilt auch hier: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.

Im Ernst? Der oberste Banker sagt, dass wir mit etwas Unsicherheit bezüglich Daten leben müssen ...
... Ich sage nicht, dass wir mit etwas Unsicherheit leben müssen. Ich beschreibe nur die Realität moderner Kommunikationsmittel. Wir alle haben uns an die Bequemlichkeit, die deren Nutzung bringt, gewöhnt. Das hat neue Herausforderungen gebracht, was die Sicherheit der Daten – es geht ja nicht nur um Finanzdaten, sondern um alle Daten – betrifft.

Ein Blick zurück, zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise. Haben die Banken daraus die richtigen Lehren gezogen?Die Banken haben ihre Hausaufgaben gemacht. Das Finanzsystem ist sehr viel stabiler geworden, die Eigenmittelausstattung der Banken hat sich systematisch und deutlich erhöht. Die Compliance-Anforderungen sind stark gestiegen, wir sind an einem Punkt, an dem wir – und unsere Kunden auch – unter zu viel Regulierung leiden ...

 ... Die Kunden leiden unter zu viel Regulierung?
Ja, die Kunden tragen die hohen Kosten der Regulierung mit, sie leiden unter der Bürokratie, die mit der Regulierung einhergeht. Beispielsweise wird das Produktangebot kleiner, wenn die Banken aufgrund der vielen Regeln manche Produkte gar nicht mehr mit vertretbarem Aufwand anbieten können.

Wie zufrieden sind die Kunden insgesamt mit den Banken?
Die Bankkunden schätzen den Service und das gute Angebot, das sie von ihren Beratern bekommen. Das zeigen uns Umfragen. Generell lässt sich beobachten – das hat aber nicht alleine mit den Banken zu tun – dass das Misstrauen gegenüber Institutionen steigt. Um diesem Misstrauen zu begegnen, arbeiten Banken und die Bankiervereinigung daran, die Vertrauenswürdigkeit in die Institution, in das Bankgeschäft ständig zu stärken. Das ganze System ist durch eine Vielzahl von Regeln abgesichert. Das Schweizer Banksystem ist eines der sichersten auf der ganzen Welt.

Das scheint aber nicht alle zu überzeugen. Am 10. Juni stimmen wir über die Vollgeld-Initiative ab, die den Geschäftsbanken das Recht auf Geldschöpfung entziehen will, um das Finanzsystem sicherer zu machen.
Die Vollgeld-Initiative ist ein völlig verantwortungsloses Hochrisiko-Experiment. Die Schweiz ist kein Versuchslabor. Die Schweiz ist sicher, das Schweizer Finanzsystem ist sicher, ein Vollgeld-Experiment würde das gefährden.

Wie wichtig ist diese Geldschöpfung der Geschäftsbanken für die Schweizer Volkswirtschaft?
Diese ist elementar für die gesamte Schweizer Wirtschaft. Die KMU, die Industrie, müssen mit Krediten versorgt werden, damit sie investieren  können. Und es ist genauso wichtig für Sparer, einen Zins zu erhalten. Zumindest unter normalen Umständen, wenn wir nicht gerade in einem Niedrigzinsumfeld leben. Der Sparer möchte Zinsen bekommen für das Geld, das er zur Bank bringt und die Unternehmen brauchen Kredite. Die Vermittler-Institution zwischen Sparer und Kreditnehmer, das sind die Banken.

Trotzdem bleibt ein Misstrauen gegenüber den Banken?
Das rührt sicherlich von diversen Skandalen her, die eine grosse Öffentlichkeit erhalten haben. Hinzu kommt die schon erwähnte generell kritische Haltung gegenüber Institutionen. Dadurch könnte der Eindruck entstehen, dass das System unsicher ist. Aber man muss unterscheiden zwischen individuellem Fehlverhalten – so bedauerlich das ist – und systemischen Mängeln. In der Schweiz haben wir keine systemischen Mängel im Finanzsystem.

Wie schlecht ist es für das Image des Finanzplatzes, wenn der ehemalige Vorzeigebanker Pierin Vincenz in Untersuchungshaft sitzt? 
Ich will keine Einzelfälle kommentieren. Wir haben ein gut funktionierendes Rechtssystem, das sich solcher Fälle annimmt, wie auch in dem Fall, den Sie ansprechen. Das überlassen wir der Gerichtsbarkeit. Aber die Banken und die Bankmitarbeiter arbeiten redlich, fleissig und gut. Es gibt immer wieder Fälle – die Historie ist voll davon – wo sich Einzelne möglicherweise falsch verhalten haben. Die müssen dafür büssen – das ist wichtig und richtig!

Braucht es schärfere Regeln, um Nebengeschäfte zu verhindern, wenn jemand Chef einer Bank ist?
Diese Regeln gibt es. Was es braucht, ist das richtige Bewusstsein in den Chefetagen! Das ist die beste Versicherung gegen Fehler. Man darf keinen ungebührlichen Vorteil aus dem ziehen, was die Position einem ermöglichen könnte.

Der oberste Banker der Schweiz

Herbert Scheidt (66) ist seit Herbst 2016 Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung. Der deutsch-schweizerische Doppelbürger hat das Bankgeschäft von der Pieke auf gelernt. Er war für die Deutsche Bank weltweit tätig. Seit 2002 arbeitet er für die Bank Vontobel, erst als CEO, seit 2011 ist er VR-Präsident. Scheidt ist verheiratet und Vater von Zwillingen. Nach der Arbeit schwimmt er gerne im Zürichsee. Oder er erkundet die Berge, sei es zu Fuss oder im Winter auf Skiern. Mit Ex-Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz (62), der derzeit in U-Haft sitzt, verbindet Scheidt die Zusammenarbeit von Raiffeisen und Vontobel. Diese verlief nicht immer reibungslos.

Herbert Scheidt (66) ist seit Herbst 2016 Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung. Der deutsch-schweizerische Doppelbürger hat das Bankgeschäft von der Pieke auf gelernt. Er war für die Deutsche Bank weltweit tätig. Seit 2002 arbeitet er für die Bank Vontobel, erst als CEO, seit 2011 ist er VR-Präsident. Scheidt ist verheiratet und Vater von Zwillingen. Nach der Arbeit schwimmt er gerne im Zürichsee. Oder er erkundet die Berge, sei es zu Fuss oder im Winter auf Skiern. Mit Ex-Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz (62), der derzeit in U-Haft sitzt, verbindet Scheidt die Zusammenarbeit von Raiffeisen und Vontobel. Diese verlief nicht immer reibungslos.

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