55 Milliarden Euro Schaden?
«Cum-Ex»-Skandal weitet sich auf immer mehr Banken aus

Der Skandal um Dividenden-Steuertricks geht weit über die deutschen Grenzen hinaus und betrifft immer mehr internationale Finanzkonzerne. Von den hoch umstrittenen «Cum-Ex»-Geschäften sind neben Deutschland und Dänemark auch Österreich, Belgien und Norwegen betroffen.
Publiziert: 18.10.2018 um 16:16 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2018 um 09:19 Uhr
Cum-Ex-Skandal zieht weitere Kreise: Medienermittlungen zu Folge laufen auch Untersuchungen gegen die spanische Grossbank. (Archivbild)
Foto: KEYSTONE/AP/MARK LENNIHAN

Seit Juni laufen nach Reuters-Informationen zudem Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln gegen die spanische Grossbank Santander. Der Verdacht lautet auf schwere Steuerhinterziehung in den Jahren 2007 bis 2011.

Beim australischen Geldhaus Macquarie hat der Skandal inzwischen die Chefetage erreicht. Der «Cum-Ex»-Schaden für den deutschen Steuerzahler liegt dem Bundesfinanzministerium zufolge bei über 5 Milliarden Euro. Andere Experten wie der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick gehen eher von doppelt so viel aus.

Über mehrere europäische Länder könnte sogar eine Summe von mehr als 55 Milliarden Euro zusammenkommen - wenn man weitere undurchsichtige Konstruktionen wie das umstrittene Steuersparmodell «Cum-Cum» hinzu zählt.

Als Teil einer europaweiten Medien-Kooperation unter dem Dach des Recherchezentrums Correctiv hat die Nachrichtenagentur Reuters mit Vertretern von Finanzkonzernen, Behörden und direkt mit den Ermittlungen vertrauten Personen gesprochen. Zudem wurden tausende Seiten interner Bankenkorrespondenz und behördlicher Schriftsätze durchgesehen.

Die «CumEx-Files» offenbaren, dass die Ermittlungen gegen Santander, Macquarie und andere Banken in diesem Jahr deutlich an Fahrt aufgenommen haben. Bislang ist aber nicht höchstrichterlich geklärt, ob «Cum-Ex» ein legales Steuerschlupfloch war oder nicht.

In dem 5,8 Millionen Einwohner zählenden Dänemark beläuft sich der Schaden aus «Cum-Ex»-Geschäften für die Steuerzahler auf umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro. Die dänischen Behörden wollen das Geld bei Personen in den USA eintreiben.

Auch gegen einen britischen Staatsbürger, der auf den Palminseln in Dubai lebt, läuft ein Verfahren. Die Fälle in Deutschland und Dänemark haben die Ermittler in anderen Ländern veranlasst, sich Dividenden-Steuerdeals ebenfalls genauer anzuschauen. Das Ergebnis: Mehrere andere Staaten sind betroffen, wenn auch weniger stark.

In Belgien wurden illegitime Anträge auf Steuererstattungen gestellt. Dort überwies der Fiskus 201 Millionen Euro, bevor weitaus grössere Rückforderungen, davon einige bis in das Jahr 2017 hinein, gestoppt werden konnten. Der Staatsanwaltschaft Wien zufolge versuchten Verdächtige, das «Cum-Ex»-System aus Deutschland auf Österreich zu übertragen.

Nach Ansicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die für weltweite Kooperation in der Steuerpolitik zuständig ist, kann es auch in Luxemburg, der Schweiz, Frankreich, Italien und Schweden zu Steuertricks gekommen sein, die auf Rückforderungen aus Dividendengeschäften basieren.

Bei «Cum-Ex» liessen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mit Hilfe ihrer Bank mindestens zwei Mal erstatten. Steuerexperten hatten dies lange als legalen Steuertrick erachtet, seit einigen Jahren bewerten Ermittler und Strafverfolger «Cum-Ex» aber beinahe einhellig als Steuerhinterziehung.

Noch unübersichtlicher wurden die Tricks durch den Einsatz von Leerverkäufen. Dabei vereinbaren Käufer und Verkäufer den Erwerb einer Aktie, bevor sie sich der Käufer an der Börse besorgt. Er spekuliert darauf, die Papiere zu einem niedrigeren Preis erwerben zu können, als er selbst in Rechnung stellt. Im Fall von «Cum-Ex» wurde das Geschäft vor dem Dividendenstichtag aufgesetzt und dann verschleiert, wer wann welche Aktie besessen hat.

Den Ermittlern zufolge wurden die Aktien in einer Art Syndikat von Bankern, Investoren und Hedgefonds in schneller Folge hin- und hergeschoben, um den Eindruck mehrerer Aktienbesitzer zu erwecken.

Die Rückerstattungen wurden unter den Beteiligten aufgeteilt. Um noch grössere Gewinne zu erzielen, konnten sich etwa Pensionsfonds mit grossen Mengen Aktien eindecken und nahmen dazu einen Kredit bei einer Bank auf.

Laut der Kölner Staatsanwaltschaft agierte Santander in einem solchen Konstrukt als Leerverkäufer. Mit der Sache vertrauten Personen zufolge nutzten wiederum einige Pensionsfonds Macquarie als Kreditgeber. Auch eine Reihe anderer Banken räumten bereits ein, dass sie an solchen Geschäften beteiligt waren.

Dazu gehören neben der Deutschen Bank auch die deutsche Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbank. Ein Sprecher der Deutschen Bank sagt, man sei nicht Teil eines «Cum-Ex-Marktes», aber in die Geschäfte einiger Kunden involviert gewesen. Die Bank kooperiere mit den Behörden. Gegen fünf ehemalige Händler der HVB hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt im Herbst 2017 Anklage wegen schwerer Steuerhinterziehung erhoben.

Gleiches trifft auf Hanno Berger zu, der als eine der Schlüsselfiguren im «Cum-Ex»-Skandal gilt. Berger war einst Steuerermittler und wurde dann Berater. Einem Reuters vorliegenden Brief zufolge gab er auch Macquarie Tipps. Bezahlt wurde er dafür laut eigenen Angaben nicht.

Nach Bergers Darstellung nutzten seine Kunden lediglich Schlupflöcher, die bis 2012 legal waren. Das Gesetz habe er nicht gebrochen, beteuert Berger gegenüber Reuters. Der deutsche Staat könne nicht andere für die eigenen Fehler bestrafen, sagt Berger, der mittlerweile in der Schweiz lebt. Das Landgericht Wiesbaden muss noch entscheiden, ob es die Anklage gegen ihn und die HVB-Händler zulässt.

Das Schlupfloch hat das deutsche Finanzministerium erst 2012 geschlossen, nachdem eine vorige Änderung im Jahr 2007 dem «Cum-Ex»-Modell überhaupt erst den richtigen Schub gegeben hat. Denn damals wurden die Steuerdeals zwar für inländische Leerverkäufer unattraktiv gemacht - nicht aber für ausländische. Das nutzten viele Marktteilnehmer aus.

Gemäss einem Vertreter der Bundesregierung liegt der Schaden für den deutschen Fiskus aus «Cum-Ex» bei 5,6 Milliarden Euro. Die Banken hätten bereits 2,3 Milliarden Euro zurückgezahlt.

Dass das Finanzministerium 2007, 2009 und 2012 versucht habe, das Problem durch Gesetzesänderungen und -erläuterungen in den Griff zu bekommen, zeige bereits, dass die Steuertricks illegal gewesen seien.

In der seit 2013 dauernden rechtlichen Aufarbeitung erzielte die Staatsanwaltschaft Köln im vorigen Jahr einen Durchbruch. Zu dem Zeitpunkt bot eine Gruppe von Bankern, darunter ein ehemaliger Macquarie-Mitarbeiter, Informationen an, denen zufolge die australische Bank, Santander und andere Geldhäuser von dem «Cum-Ex»-Modell profitierten.

Macquarie selbst rechnet damit, 100 Millionen Euro zahlen zu müssen, um die Affäre ad acta zu legen. Rund die Hälfte davon haben die Australier bereits gezahlt.

Im Fall von Santander hat das Bundeszentralamt für Steuern die Staatsanwaltschaft Köln darüber informiert, es gebe «konkrete Anhaltspunkte» dafür, dass die spanische Bank als Leerverkäuferin agiert hat. Die Kölner Ermittler wandten sich daraufhin an Santander und deren britischen Ableger Abbey National Treasury Services.

So habe die Bank eine Reihe Transaktionen für US-Pensionsfonds sowie Macquarie durchgeführt, wodurch diese in der Lage gewesen seien, die nicht gerechtfertigten Steuerrückzahlungen zu beanspruchen. Diese Geschäfte waren sowohl für Santander als auch Macquarie lukrativ.

Santander arbeitet nach eigenen Angaben mit den Behörden in dem Fall zusammen und stellt eigene interne Untersuchungen an. Die Bank toleriere kein Verhalten, das nicht mit den Regeln und Gesetzen übereinstimme, sagte ein Sprecher.

Wann die juristische Aufarbeitung des Skandals abgeschlossen sein wird, ist völlig offen. Nach Einschätzung einiger Ermittler dürften zudem mehrere Verantwortliche, darunter Berger, nur schwer belangt werden können, weil sie sich ins Ausland abgesetzt haben. In der

Staatsanwaltschaft heisst es, dass bis zu rechtskräftigen Urteilen noch Jahre vergehen könnten.

(www.cumex-files.com) (SDA)

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