Bahnhöfe werden mit Musik beschallt
SBB wollen mit Musik die Shopping-Laune heben

Der ganze Zürcher Bahnhof wird künftig mit Musik berieselt. Ob weitere Bahnhöfe folgen, ist in Abklärung. Dies soll die Atmosphäre verbessern, sagen die SBB. Doch es ist nur der Anfang – die 24-Stunden-Versorgung ist das Ziel.
Publiziert: 20.04.2019 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 14.05.2019 um 13:37 Uhr
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Die SBB werden künftig den ganzen Zürcher HB mit Musik beschallen – ausgenommen sind nur die Gleise.
Foto: Thomas Meier
Moritz Kaufmann
Moritz KaufmannWirtschaftsredaktor

Ds Lied vo de Bahnhöf», sang der legendäre Berner Chansonnier Mani Matter einst. Heutzutage müsste es «Ds Lied vo de Shoppingcenter» heissen. Zu diesen bauen die SBB ihre Stationen nämlich konsequent um. Neuster Streich: Die SBB werden künftig den ganzen Zürcher Bahnhof mit Musik berieseln. Ausgenommen sind die Gleise. Aber nicht nur das: Die Bundesbahnen prüfen, sämtliche Bahnhöfe mit grosser Einkaufsfläche musikalisch zu beschallen, wie sie gegenüber SonntagsBlick mitteilen. «Wir wollen die Aufenthaltsqualität an unseren Bahnhöfen erhöhen. Neben der Musik haben wir dafür in ­Zürich Aufenthaltszonen mit Sitzgelegenheiten und Stehtischen ­eingerichtet», schreibt SBB-Sprecher Raffael Hirt.

Bisher hatten die SBB testweise Musik in einem Flügel des Bahnhofs gespielt – das Repertoire reicht von leichtem Jazz bis Pop.

Ladenmieter befürworten Musik

In einem E-Mail an einen Kunden, das SonntagsBlick vorliegt, schreiben die SBB: «Ähnlich wie in vielen anderen Einkaufszentren schafft dezente Musik eine angenehme ­Atmosphäre.» Die Ladenmieter würden dies befürworten – obwohl sie in ihren Shops oft eigene Musik abspielen. «Es ist wichtig, dass wir uns mit den Ladenmietern abstimmen. Die SBB und die Läden pegeln ihre Musik so ein, dass sie gegenseitig kaum zu hören ist», erklärt die Kommunikationsabteilung. Man arbeite mit einem Anbieter zusammen, der «Erfahrung in der Musikbespielung von Shoppingcentern und öffentlichen Räumen hat».

Bahnhöfe sind von Gesetzes wegen privilegiert. Geschäfte dürfen dort jeden Tag von sechs Uhr am Morgen bis zehn Uhr am Abend geöffnet haben. Hinzu kommt die Gastronomie. Gegen 600 Stationen betreiben die SBB. Die fünf grössten SBB-Einkaufscenter stehen in Basel, Bern, Genf, Luzern und Zürich. Es sind Goldgruben. Das Shopville im Zürcher HB ist umsatzmässig das drittgrösste Einkaufscenter der Schweiz, hinter dem Glattzentrum in Wallisellen ZH und dem Flughafen Zürich-Kloten.

472 Millionen Franken Umsatz im Zürcher HB

Gemäss dem Marktforschungs­institut GfK Schweiz machte der Shoppingbereich 2017 am Zürcher HB 472 Millionen Franken Umsatz. Längst fokussieren die SBB nicht nur auf die grossen Bahnhöfe. In weniger grossen Städten ist der Bahnhof oft der einzige Ort, wo man sonntags überhaupt an frische Lebensmittel kommt. «Wo kleinere Bahnhöfe um- und ausgebaut wurden, explodierten die Detailhandelsumsätze regelrecht», schreibt GfK. Zum Beispiel im Tessin in Bellinzona oder Lugano.

Die Präsenz an den Bahnhöfen zahlt sich für die Detailhändler aus. Einerseits spülen die Züge automatisch massenweise Pendler und sonstige Passagiere in die Läden. Andererseits haben sich die Bahnhöfe gerade an den Wochenenden und Feiertagen zu Einkaufsma­gneten entwickelt. Wer an einem Sonntag spontan Gäste zu Besuch hat, findet nur hier die Zutaten für ein festliches Menü. Das führt zu einem Gerangel unter den Mietern. Während Innenstädte mit leeren Ladenflächen zu kämpfen haben, können sich die SBB vor Bewerbern kaum retten. Gegenüber SonntagsBlick schreiben die SBB, man habe «Vollbestand».

Keine Unterscheidung beim Kunden

Die Konsequenz: Die SBB sind zu einer Detailhandels-Macht geworden, ohne selber Läden zu betreiben. Sie können den Mietern die Bedingungen diktieren. Und die sind hart. Marcel Stoffel, Berater im Bereich Shopping und Retail sowie Mitgründer des Shoppingcenter-Verbands Swiss Council Community, hat dafür Verständnis: «Der Kunde unterscheidet nicht zwischen SBB-Zügen und SBB-Bahnhöfen. Wenn es in den Läden staut, dann sind aus Sicht des Passagiers die SBB schuld.» Deshalb mache es Sinn, alles auf einen schnellen, reibungslosen Einkaufsprozess auszurichten. «Ein Beispiel dafür sind die Self-Check-out-Kassen der Detailhändler Migros und Coop.» Diese haben sich mittlerweile im ganzen Land etabliert.

Laut Stoffel sind die SBB zu ­einem «Innovationstreiber» im Schweizer Detailhandel geworden. Tatsächlich: Immer wieder werden neue Laden- und Einkaufskonzepte an den Bahnhöfen getestet. So steht in Zürich zum Beispiel die drehbare Pasta- und Müesli-Bar. Je nach Tageszeit lässt sich der Imbissstand um 180 Grad drehen, um den Passagieren das passende Menü zu verkaufen. SBB-CEO Andreas Meyer twittert stolz von «interessanten Angeboten und coolen Shops». Migros und Coop entwickeln laufend neue Ladenformate, um den Ansprüchen der SBB nach einem möglichst vielfältigen Mix gerecht zu werden. Sie heissen Zopf & Zöpfli, Hitzberger, Marché, Karma usw.

24-Stunden-Versorgung

Die Transforma­tion ist mit der ­Dudelmusik an den Bahnhöfen noch längst nicht abgeschlossen. Wohin die Reise geht, lässt sich derzeit in der Haupthalle des Zürcher Hauptbahnhofs beobachten. Dort steht die sogenannte Avec Box – ein Shoppingcontainer der Kiosk-Betreiberin Valora, der ohne Kasse auskommt. Angestellte braucht 
es nur noch, um die Regale aufzufüllen. Bezahlt wird via Smart­phone. «Die Entwicklung geht 
hin zu ­einer 24-Stunden-Versorgung», sagt Stoffel. Wäre Valora von selbst auf die Idee gekommen? «Es hat bestimmt auch damit zu tun, dass sie damit bessere Chancen auf SBB-Mietflächen haben», glaubt Stoffel.

Valora schreibt auf Anfrage: «Valora ist in regelmässigem Kontakt mit all ihren Vermietern, um aus dem jeweiligen Standort das Optimum herauszuholen.» Und die SBB sagen: «Wichtigstes Kriterium ist der Mehrwert für unsere Kunden. Bringen Innovationen für sie einen Nutzen, sind wir dafür offen.»

Alles für den Kunden, solange der Rubel rollt. 

Blinde gegen Dudelmusik

In einem Seitenflügel des Zürcher Hauptbahnhofs wird die Musikberieselung bereits getestet. Dagegen wehren sich Blinde: «Wir haben eine Beschwerde eines sehbehinderten Kunden erhalten, der sich wegen verschiedener Geräuscheinflüsse nicht mehr orientieren konnte», räumen die SBB ein. Paul Cuska vom Schweizerischen Blindenbund erklärt: «Hochfrequentierte Orte wie Bahnhöfe stellen für Betroffene eine grosse Herausforderung dar.» Lärm beeinträchtige die Konzentration und damit die Orientierung. «Auf zusätzliche unnötige Lärmquellen sollte deshalb verzichtet werden», so Cuska. Für Blinde haben die SBB an ihren Bahnhöfen Leitlinien am Boden angebracht. Cuska bezeichnet sie als «unerlässliche Orientierungshilfen».

Die SBB beteuern, solche Rückmeldungen «sehr ernst» zu nehmen. Ansonsten habe es aber keine Beschwerden gegeben.

Keystone

In einem Seitenflügel des Zürcher Hauptbahnhofs wird die Musikberieselung bereits getestet. Dagegen wehren sich Blinde: «Wir haben eine Beschwerde eines sehbehinderten Kunden erhalten, der sich wegen verschiedener Geräuscheinflüsse nicht mehr orientieren konnte», räumen die SBB ein. Paul Cuska vom Schweizerischen Blindenbund erklärt: «Hochfrequentierte Orte wie Bahnhöfe stellen für Betroffene eine grosse Herausforderung dar.» Lärm beeinträchtige die Konzentration und damit die Orientierung. «Auf zusätzliche unnötige Lärmquellen sollte deshalb verzichtet werden», so Cuska. Für Blinde haben die SBB an ihren Bahnhöfen Leitlinien am Boden angebracht. Cuska bezeichnet sie als «unerlässliche Orientierungshilfen».

Die SBB beteuern, solche Rückmeldungen «sehr ernst» zu nehmen. Ansonsten habe es aber keine Beschwerden gegeben.

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