«Wir werden keine schnelle Besserung haben»
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Andreas Meyer im Interview:«Wir werden keine schnelle Besserung haben»

Bahn-Chefs geben Fehler zu
SBB-Chaos geht bis mindestens 2021 weiter!

Frustrierte Bähnler, verärgerte Pendler und Reisende. Die SBB versuchen, die Fehler aus der Vergangenheit – vor allem bei der Personalplanung – auszubügeln. Sie bitten die Fahrgäste um Geduld. Denn das Chaos geht bis 2021 weiter.
Publiziert: 28.10.2019 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 28.01.2020 um 12:24 Uhr
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Wer als Pendler unterwegs ist, kann von Verspätungen ein Lied singen. Jetzt wollen die SBB das Problem anpacken.
Foto: Keystone
Julia Fritsche und Ulrich Rotzinger

Pünktlichkeit. Ein Reizwort für alle, die täglich auf die Bahn angewiesen sind. In der Schweiz ist sie zwar im Vergleich zum europäischen Ausland hoch. «Doch regional und auf einzelnen Linien ist sie jedoch zeitweise auf einem ungenügenden Niveau», müssen die SBB gestern auf einer Medienkonferenz zugeben. «Die SBB hat Fehler gemacht», sagen die Geschäftsleiter.

Diese informierten zwar pünktlich. Doch der Zug aus Zürich mit BLICK an Bord traf zuvor vier Minuten zu spät in Bern ein. Nach SBB-Definition eine Verspätung. Denn die tatsächliche Ankunft lag mehr als 2 Minuten 59 Sekunden nach der geplanten. Das ist die Schwelle für die Zugpünktlichkeit. Im vergangenen Jahr kamen so insgesamt 165 Millionen Verspätungsminuten zusammen. An Tagen mit gehäuften Störungen betreffen Verspätungen 300'000 Passagiere. Ob dieses Jahr besser wird, darf stark bezweifelt werden.

Neun von zehn Kunden kommen pünktlich an. Mit diesem Satz wischten die SBB bislang ihr Pünktlichkeitsproblem weg. Umso überraschender jetzt die Kehrtwende. Die SBB-Führung zeigt sich am Montag ungewohnt kritisch. «Vor drei bis vier Jahren wurden bei der Planung grobe Fehler gemacht», sagt Toni Häne (64), Chef SBB-Personenverkehr. Selbst CEO Andreas Meyer (58) nahm mehrfach das Wort Fehler in den Mund. «Wir haben keinen guten Job gemacht bei der Lokführerplanung.»

Denn das Pünktlichkeitsproblem ist auch ein Personalproblem: Es fehlt an Lokführern – 1000 über fünf Jahre, wie BLICK bereits im Juni publik machte – und Planern. «Die Situation bei den Lokführern ist sehr ernst», fasst Häne das Problem zusammen. Fehler seien bei der Bedarfs-, Einsatz- und Ausbildungsplanung des Lokpersonals passiert. An Spitzentagen und zu Stosszeiten fehle es an diesen. Folge: «Die Einteilerinnen und Einteiler stehen unter Druck.»

Überfällige Korrektur

Die SBB versuchen nun, ihre eigene Personalplanung zu korrigieren. Jährlich benötigt die Bahn demnach 120 Lokführer mehr. Von heute auf morgen geht das nicht. Auch wenn die Rekrutierung aktuell gut laufe und die Klassen im Unterschied zu den beiden Vorjahren nun voll seien, wie Linus Looser, Leiter Bahnproduktion, gegenüber BLICK sagt. Die Ausbildung aber dauert 14 Monate.

Die Fehler bei der Bedarfsplanung des Lokpersonals, aber auch die Verzögerungen beim Pannenzug FV-Dosto von Bombardier sorgen laut SBB bis 2021 für eine «angespannte betriebliche Situation». Der Bahnbetrieb läuft heute «zu oft am Limit», die «operativen Bereiche der SBB arbeiten zu häufig im Task-Force-Modus», so die Bahn. Entspannung ist auch in den nächsten Monaten nicht in Sicht.

Herausforderung Baustellen

In der Zwischenzeit müssen die Bisherigen entsprechend mehr leisten. Und die SBB sind auch im nächsten Jahr auf Leiharbeiter angewiesen. Aktuell sind vier Lokführer vom Bahnpersonalanbieter MEV für die SBB im Einsatz. 2020 sollen weitere dazukommen.

Allerdings warnen die SBB bereits von weiteren Pünktlichkeitsproblemen. «Die Baustellen nehmen in den nächsten Jahren nochmals zu», heisst es in Unterlagen, die den Medien verteilt wurden. Grund und ein weiterer Fehler: Die SBB hätten den Rückstand beim Unterhalt noch nicht aufgeholt, weitere Ausbauarbeiten stünden an. Und erst 2021 können die neuen Lokführer und Einsatzplaner die Lücken füllen.

«Wir werden keine schnelle Besserung haben», warnt auch CEO Andreas Meyer. Aber weil man auch wisse, dass die Aufgabe nicht leichter werde, wolle die Bahn das Problem nun anpacken. Denn: In Zukunft erwarten die SBB noch mehr Passagiere auf noch mehr Strecken.

Chaos bei den SBB nimmt Fahrt auf

Juni 2019: Auf die Bahn rollt eine riesige Pensionierungswelle zu. Sie durchrüttelt die SBB in den nächsten Jahren. Bis 2024 werden ihnen rund 1000 Lokführer fehlen, fast ein Drittel des heutigen Bestands, wie BLICK publik machte.

Juli 2019: Wegen Personalmangel fallen in diesem Monat zwischen Zürich und Aargau 25 Züge aus. Und weil die Züge aus allen Nähten platzen, werfen die SBB in Bellinzona Passagiere aus dem Waggon. Reisende stranden – und sind ziemlich sauer.

August 2019: Ein Sicherheitsproblem bei defekten Türen wird publik – durch den tragischen Todesfall von Zugchef Bruno R.* am Bahnhof Baden AG. Der Zugbegleiter wird in einer Tür eingeklemmt und mitgeschleift. Die SBB richten eine Taskforce ein. Deren erste Aufgabe: eine genaue Inspektion aller EW-IV-Wagen. Um Verspätungen aufzuholen, lassen die SBB etwa in Wil SG, Flawil SG, Uzwil SG und Gossau SG wartende Passagiere am Bahnhof einfach stehen.

September 2019: CEO Andreas Meyer (58) verkündet seinen Rücktritt bis spätestens Ende 2020. Bereits jetzt ist klar: Er wird eine Beruhigung der Lage nicht mehr als SBB-Chef miterleben.

Oktober 2019: Zwischen Bern und Olten SO verliert eine Baumaschine Öl. Die sogenannte Bahn-2000-Strecke muss gesperrt werden – zum Ärger vieler Pendler. BLICK berichtet dann, wie der Personalmangel die Bähnler krank macht. Im Schnitt fehlen jeden Tag knapp 30 Lokführer. Erste Burnout-Fälle werden publik. Schliesslich muss sich SBB-Präsidentin Monika Ribar (60) einschalten. Sie verspricht Besserung. Wegen Lokführermangel müssen die SBB auf einer Nebenlinie zwischen Solothurn und dem Baselbiet an einem Wochenende Mitte Monat einen Tag lang Busse statt Züge einsetzen. Noël Brühlmann

*Name der Redaktion bekannt

Juni 2019: Auf die Bahn rollt eine riesige Pensionierungswelle zu. Sie durchrüttelt die SBB in den nächsten Jahren. Bis 2024 werden ihnen rund 1000 Lokführer fehlen, fast ein Drittel des heutigen Bestands, wie BLICK publik machte.

Juli 2019: Wegen Personalmangel fallen in diesem Monat zwischen Zürich und Aargau 25 Züge aus. Und weil die Züge aus allen Nähten platzen, werfen die SBB in Bellinzona Passagiere aus dem Waggon. Reisende stranden – und sind ziemlich sauer.

August 2019: Ein Sicherheitsproblem bei defekten Türen wird publik – durch den tragischen Todesfall von Zugchef Bruno R.* am Bahnhof Baden AG. Der Zugbegleiter wird in einer Tür eingeklemmt und mitgeschleift. Die SBB richten eine Taskforce ein. Deren erste Aufgabe: eine genaue Inspektion aller EW-IV-Wagen. Um Verspätungen aufzuholen, lassen die SBB etwa in Wil SG, Flawil SG, Uzwil SG und Gossau SG wartende Passagiere am Bahnhof einfach stehen.

September 2019: CEO Andreas Meyer (58) verkündet seinen Rücktritt bis spätestens Ende 2020. Bereits jetzt ist klar: Er wird eine Beruhigung der Lage nicht mehr als SBB-Chef miterleben.

Oktober 2019: Zwischen Bern und Olten SO verliert eine Baumaschine Öl. Die sogenannte Bahn-2000-Strecke muss gesperrt werden – zum Ärger vieler Pendler. BLICK berichtet dann, wie der Personalmangel die Bähnler krank macht. Im Schnitt fehlen jeden Tag knapp 30 Lokführer. Erste Burnout-Fälle werden publik. Schliesslich muss sich SBB-Präsidentin Monika Ribar (60) einschalten. Sie verspricht Besserung. Wegen Lokführermangel müssen die SBB auf einer Nebenlinie zwischen Solothurn und dem Baselbiet an einem Wochenende Mitte Monat einen Tag lang Busse statt Züge einsetzen. Noël Brühlmann

*Name der Redaktion bekannt

PK in voller Länge:So will die SBB die Pünktlichkeit ihrer Züge garantieren
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