BLICK: Herr Döpfner, Facebook ist weltweit in der Kritik: Über das soziale Netzwerk würden Fake News verbreitet, also als Nachrichten getarnte Falschmeldungen, und Facebook unternehme nichts dagegen. Teilen Sie diese Kritik?
Mathias Döpfner: Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn Menschen beunruhigt sind angesichts der zunehmenden Verbreitung von Lügen und Gerüchten, die auf den ersten Blick von ernsthaft recherchierten Fakten nicht unterscheidbar sind. Und ich verstehe das Unbehagen gegenüber einem Unternehmen, das weltweit 1,8 Milliarden Menschen mit Informationen versorgt. Aber man sollte vorsichtig sein, jetzt nicht die falschen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg hat sich vor ein paar Tagen zum Vorwurf geäussert: Facebook möchte auch in Zukunft nicht selbst entscheiden müssen, bei welchen Inhalten es sich um wirkliche Nachrichten handelt und bei welchen um Fake News. Diese Aufgabe sollten stattdessen externe Experten übernehmen. Ist dies der richtige Ansatz?
Ich finde es falsch, Facebook diese Aufgabe aufzudrängen. Denn: Was gut klingt, muss nicht unbedingt etwas Gutes bewirken. Facebook sollte sich aus der Bewertung von Inhalten so weit wie möglich heraushalten.
Warum?
Facebook ist kein Verlag, sondern ein Vertriebskanal. Um Inhalte verantwortungsbewusst auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, braucht man Redaktionen, und die hat Facebook nicht. Überlegen Sie mal: Wenn Facebook auswählt, was angeblich richtig oder falsch – oder schlimmer: gut oder böse – ist, dann wird Facebook von einer Technologie-Plattform zum Medienunternehmen. Eine Art globaler Superverlag, der bestimmt, was die Menschen lesen oder sehen dürfen und was nicht. Diese Macht finde ich wirklich unheimlich.
Macht es sich Facebook mit seiner Haltung nicht zu einfach? Es muss doch wenigstens möglich sein, falsche Nachrichten auszufiltern.
Und wie soll das in der Praxis gehen? Was ist richtig, was falsch? Und wer kann das wirklich beurteilen? Bei der Frage, ob eins und eins zwei oder drei ist, mag das einfach sein. Aber wie halten wir es mit Weihnachten? Die Behauptung, dass an diesem Tag der Sohn Gottes geboren wurde, ist für Christen eine grundlegende Wahrheit. Für Juden und Moslems ist das Fake News. Muss Facebook dann die Weihnachtsgeschichte löschen?
Also geben Sie die Suche nach der Wahrheit auf?
Im Gegenteil. Die Suche nach der Wahrheit ist die wichtigste und wertvollste Aufgabe von Journalisten. Der beste Schutz vor einseitiger Desinformation ist die Vielfalt der Recherchen und Meinungen möglichst vieler Verlage. Medienvielfalt ist ein hohes demokratisches Gut. Wer jetzt von Facebook fordert, einen Chefredaktor einzustellen, und dass eigenständige Redaktionen Texte auf ihre Richtigkeit überprüfen und gegebenenfalls löschen, der schafft eine Art globalen Superzensor und zerstört genau diese Vielfalt, die unsere Demokratie ausmacht. Facebook versteht sich als Technologieunternehmen, das die Kommunikation von Menschen vereinfachen und verbessern will. Es ist eine Art modernes Telekomunternehmen. Am Telefon reden die Menschen auch viel Unsinn. Nur, dass im Fall von Facebook der Unsinn massenhaft verbreitet und sichtbar wird.
Finden Sie wirklich, dass Facebook alles zulassen sollte? Auch Hass und Antisemitismus?
Nein. Aber die Grenzen sind hier doch schon heute gesetzt. Was rechtswidrig ist, darf Facebook nicht verbreiten. Wer zum Terrorismus auffordert oder den Holocaust leugnet, macht sich zum Beispiel in Deutschland strafbar. Also muss das von Facebook gelöscht werden. Strafverfolgung ist Sache der Justiz. Aber auch Facebook sollte aktiver und genauer werden, wenn es darum geht, die kriminellen Urheber zu identifizieren.
Was halten Sie von der Diskussion über die Kennzeichnung von Fake News, die in Zusammenarbeit mit Medien erfolgen soll?
Ich bin ziemlich alarmiert, was diese Debatte betrifft. Tatsache ist: Facebook steht unter Druck, von der Politik und der Öffentlichkeit. Das darf aber nicht dazu führen, dass sie ihr Problem an die Medien delegieren. Schlimm genug, dass wir Verlage zu spät erkannt haben, dass es ein Fehler war, unsere Inhalte kostenlos im Internet zur Verfügung zu stellen. Jetzt dürfen wir nicht den zweiten Kardinalfehler machen.
Nämlich?
Indem wir das, was die Voraussetzung ist für unsere Inhalte – die Kompetenz unserer Journalisten – auch zum Nulltarif bereitstellen. Besorgniserregend finde ich auch Vorschläge, die aus öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten kommen. Hier wird offenbar darüber nachgedacht, Facebook beim Markieren von Falschnachrichten zu helfen. Warum sollten öffentliche Sender dies mit dem Geld der Gebührenzahler tun? Ihr Auftrag ist es, exzellenten Journalismus zu betreiben. Und nicht, Facebook beim Beheben seiner Probleme zu helfen und damit die Grenze zwischen Vertriebskanal und verantwortungsbewusster Redaktion weiter zu verwischen.
Was schlagen Sie vor?
Ich glaube nicht daran, dass es gelingt, Fake News zuverlässig und vor allem mit der gebotenen Geschwindigkeit zu kennzeichnen. Das ist auch gar nicht das Problem oder die Aufgabe der Medien. Warum sollte Falsches gekennzeichnet werden? Falsches gehört nicht gekennzeichnet, sondern am besten gar nicht erst veröffentlicht. Für verantwortungsbewusste Absender gibt es schon heute Experten: die Medien. Wir haben ein eingeführtes, erstklassiges Gütesiegel: unsere Medienmarken!
Als Medienmanager reden Sie da zum eigenen Nutzen.
Wenn ich mich im Netz bewege, weiss ich als User: Hier ist ein verlässlicher Absender von Nachrichten. Hier kann ich Vertrauen haben, bei anderen muss ich eher vorsichtig sein. Das ist doch eine grossartige Chance für alle Medien, sich dieses Vertrauen immer wieder zu erarbeiten. Im Übrigen bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Menschen ein ziemlich gutes Gespür dafür haben, wann Vorsicht geboten ist.
Fake News, «alternative Fakten» haben seit dem Wahlerfolg von Donald Trump an Brisanz gewonnen. Ist es ein neues Phänomen, das erst mit den sozialen Medien aufgekommen ist?
Fake News sind furchtbar. Aber wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Fake News gibt es seit Tausenden von Jahren. Erfunden, gelogen und übertrieben wurde immer. Früher auf dem Marktplatz oder in der Kneipe, heute auf Facebook oder Snapchat. Der Unterschied ist, dass es jeder sehen kann und dass es sich schneller verbreitet.
Ist das für den Journalismus eine Bedrohung oder auch eine Chance?
Beides. Aber eine viel grössere Chance. Je mehr Verwirrung durch Fake News entsteht, desto mehr werden die Menschen den Wert einer ernsthaft recherchierten Nachricht zu schätzen wissen – und den Wert einer Redaktion, die dafür Verantwortung übernimmt, dass das Publizierte auch stimmt. Das ist der Auftrag der Presse, egal, ob sie das im Stil der «NZZ», von BLICK oder «Bild» tut.
Dennoch: Immer weniger Menschen halten die Medien für glaubwürdig. Worauf führen Sie diesen Rückgang an Vertrauen zurück? Was sollten die Medien dagegen tun?
Wir Journalisten haben Fehler gemacht. Bei Brexit und Trump lagen fast alle mit ihren Prognosen falsch. Und oft wurde sehr einseitig berichtet. Das merken die Menschen und ärgern sich. Vertrauen geht verloren. Wir müssen authentischer und näher bei unseren Lesern sein. Mehr Klartext. Weniger political correctness.
Facebook ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und verbreitet auch die Inhalte zahlreicher Medien. Was ist Facebook aus Ihrer Sicht heute: Technologiefirma oder eben doch Medienunternehmen?
Es ist an der Grenze. Wenn 43 Prozent der Facebook-Nutzer sagen, sie haben eine Nachricht auf Facebook gelesen und können sich gar nicht erinnern, ob etwa die «New York Times» oder der BLICK der Urheber war, dann geht das schon stark in Richtung Medienunternehmen. Das sollte man ändern – und nicht durch die Forderung nach eigenen Facebook-Redaktionen noch verstärken.
«Bild» und Spiegel Online in Deutschland, BBC in England oder auch BLICK: Zahlreiche grosse Medien arbeiten mit Facebook zusammen. Welche Erfahrungen machen Sie bei «Bild» damit?
Wir testen derzeit die Kooperation mit Instant Articles. Wir vertreiben also einige unserer Artikel über Facebook. Dabei haben wir vier Bedingungen vereinbart: Wir haben die inhaltliche Hoheit. Wir bekommen einen definierten Anteil der dadurch akquirierten Anzeigenerlöse, wir bekommen Zugang zu Nutzungsdaten, und Facebook hilft uns dabei, den Lesern Abonnements anzubieten. Jetzt wollen wir sehen, ob diese Bedingungen auch überzeugend erfüllt werden. Nochmal: Das Ganze ist ein Test.
Angefangen hat Facebook 2004 als eine Art Gästebuch für US-Hochschulstudenten. 13 Jahre später nutzen rund 1,8 Milliarden Menschen das beliebteste soziale Netzwerk der Welt, um Infos auszutauschen und andere an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Für immer mehr User ist Facebook auch die primäre Informationsquelle, wenn es um News geht.
Weil in letzter Zeit zunehmend Falschnachrichten und erfundene Geschichten auftauchen, steht Facebook unter dem Druck der Politik. Nach den schlechten Erfahrungen im US-Wahlkampf wird besonders in Deutschland gefordert, dass der Milliardenkonzern gegen Fake News vorgeht. Befürchtet werden Manipulationen bei den Bundestagswahlen im Herbst.
Der Internet-Gigant lässt mutmassliche Falschnachrichten zwar extern prüfen, will aber selber nicht eingreifen. Zum Facebook-Imperium von Gründer Mark Zuckerberg (32) gehören auch der Video- und Fotosharing-Dienst Instagram und der Direktnachrichten-Service WhatsApp.
Angefangen hat Facebook 2004 als eine Art Gästebuch für US-Hochschulstudenten. 13 Jahre später nutzen rund 1,8 Milliarden Menschen das beliebteste soziale Netzwerk der Welt, um Infos auszutauschen und andere an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Für immer mehr User ist Facebook auch die primäre Informationsquelle, wenn es um News geht.
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