Dieses Jahr könnte die Schweiz erstmals mehr Käse importieren als exportieren. So sagte es Boris Beuret (46), der neue Präsident des Dachverbandes der Schweizer Milchproduzenten, am Wochenende in einem Interview mit «Le Temps». Beuret sieht die Schuld dafür in der starken Liberalisierung des Milchsektors, die Ende der 90er-Jahren ihren Anfang nahm. Die Schweizer Käsereien seien demnach heute gegenüber den günstigen Auslandswaren nicht mehr konkurrenzfähig.
In der Branche sorgen Beurets Aussagen für Verwunderung. «Ich verstehe nicht ganz, was er damit aufzeigen will», sagt Jacques Gygax (62), Direktor des Käser-Dachverbands Fromarte auf Anfrage von Blick. «Die Zahlen sind so üblich für die erste Jahreshälfte.» Die Schweizer Käseexporte seien vor allem im Herbst hoch. Jetzt eine Prognose abzugeben, sei gewagt.
Exportmenge sinkt, Wertschöpfung bleibt stabil
Ein Blick auf die Import- und Exportmengen der letzten drei Jahre bestätigt dies. Sie zeigen jedoch auch, dass die Käseexporte seit dem Rekordjahr 2021 wieder deutlich abnehmen. Das Schweizer Käsegeschäft im Ausland scheint in einer Trendwende. «Natürlich sind wir durch den starken Franken unter Druck», sagt Gygax. Insbesondere im deutschen Markt bekunde die Branche momentan Schwierigkeiten.
Die Exportmenge sei jedoch nur eine Seite der Medaille. Die Wertschöpfung bliebe weiterhin hoch. «Das ist schlussendlich auch das Ziel der Liberalisierung», sagt Gygax. «Die günstige Massenware wird importiert, Premiumkäse exportiert.» Wenn also nun bis Ende Jahr tatsächlich erstmals mehr Käse importiert als exportiert würde, fiele der Schweizer Branche keineswegs ein Zacken aus der Krone.
Während die Käser guten Mutes sind, sehen die Milchbauern die Entwicklung deutlich kritischer. Denn der Streitpunkt bleibt der Milchpreis: Die Teuerung führt bei den Käsereien zu Absatzeinbussen. Sie beziehen daher weniger Milch. Die Landwirte müssen ihre Milch anderweitig auf den Markt bringen. «Das drückt den bereits zu tiefen Milchpreis zusätzlich», sagt Werner Locher (70), Milchgenossenschafter aus Bonstetten ZH zu Blick. Für die Milchbauern, die oftmals nicht einmal die eigenen Produktionskosten decken können, sei dies fatal.
Junge wollen nicht mehr Milch produzieren
Die Lösung ist für Locher klar: Es braucht wieder eine Quotenregelung, um eine Überproduktion zu verhindern. «Wenn wir uns an der Nachfrage ausrichten würden, hätten wir alle diese Probleme nicht.» Für Gygax ist diese Forderung unrealistisch. Sie bedinge eine Schliessung der Grenzen – und damit einen Austritt aus den bilateralen Verträgen mit der EU. Locher sieht jedoch auch mit einer Milchquote den Freihandel nicht in Gefahr: «Es wird immer eine Nachfrage nach Schweizer Milch geben», sagt er überzeugt.
Der Streit um die Milch spitzt sich nun auch durch die neue Generation zu: «Die jungen Landwirte wollen gar nicht mehr in die Milchwirtschaft», sagt Locher. Die tiefen Erlöse, die langen Arbeitszeiten – viele Nachwuchsbauern setzen stattdessen lieber auf Ackerbau oder Mutterkuhhaltung. Die Anzahl Milchbetriebe schrumpft im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Betrieben doppelt so schnell. Dieser Wegfall wird heute noch durch grosse Produktionsbetriebe im Flachland kompensiert. Hängen jedoch weiterhin so viele Landwirte die Milchkanne an den Nagel, könnte sich das Problem mit dem Überschuss gar von selbst lösen.