Ohne Andreia würde bei uns zu Hause alles zusammenbrechen. Sie ist Superwoman, also das, was Putzfrauen für viele Familien sind. Ich habe sie offiziell gemeldet, angestellt, versichert. Es geht nicht ohne Post und Formulare. Es ist mühsam, aber machbar.
Tausenden Menschen in der Schweiz ist dies aber zu bürokratisch. Sie haben den Anmelde-Bürokram an ein Start-up ausgelagert. Das Start-up macht aus staatlicher Bürokratie also Business. Die staatliche Innovationsagentur fördert es dabei. Mit andern Worten: Der Staat baut Bürokratie auf, gibt Privaten wiederum Geld, damit sie an dieser Bürokratie Geld verdienen. So weit, so absurd.
Andreia hat vor kurzem ihre Arbeit bei einem ihrer Auftraggeber verloren. Wenn Menschen in der Schweiz ihr Leben lang Beiträge zahlen, werden sie in der Not entschädigt. Sollte man meinen. Nun, im Fall von Andreia ist dies komplizierter. Sie muss seither ihre acht anderen Arbeitgeber ein mehrseitiges Formular ausfüllen lassen. Die Arbeitslosenkasse stellt
mehr als 50 Fragen. Es geht aber nur darum, wie viele Stunden Andreia bei uns arbeitet. Es geht also um EINE Zahl. Die könnte ich elektronisch per Klick bestätigen. Kann ich aber nicht. Ich muss das Papierungetüm ausfüllen. Ich verstehe es aber nicht. Und oft wird es deshalb wieder retourniert. Kein Wunder, dass der Verwaltungsaufwand der Arbeitslosenkassen Millionen verschlingt.
Ich habe Wirtschaft studiert. Das hat unsere Putzfrau nicht. Sie spricht auch nur gebrochen Deutsch. Dieser Formularkrieg ist für uns beide ein einziger Albtraum. Ich als privater Mini-Arbeitgeber fühle mich schikaniert. Für Andreia ist es zermürbend. Geld fliesst nur, wenn alle Formulare korrekt zurück sind. Das Problem ist tiefgreifender. Gesetze und Abläufe beim Staat passen nicht mehr zur Gesellschaft. Ob digitaler Nomade, Freiberuflerin oder Reinigungskraft: Mehrere Auftraggeber sind längst die neue Normalität. Wer so Teilzeit arbeitet, verliert. Wer so arbeitet, ist meistens eine Frau.
Diese Bürokratie haben Start-ups längst erkannt und bieten die «Haushaltshilfe per Mausklick» an. Smart. Andreia und ich wünschten uns einen smarteren Staat. Einen, der selber technologisch Bürokratiemonster bezwingt. Doch digitalpolitisch ist die Schweiz ein Entwicklungsland. Als Online-Staat sind wir international auf Platz 29. Das zwingt wohl bald auch unsere Putzfrau und uns in die Knie. Wir werden zu einem Putz-Start-up wechseln. Auch wenn es uns mehr kostet. Die Firmen wollen an der Bürokratie und ihren Opfern verdienen. Ich zahle ein bisschen mehr. Andreia verdient dagegen einen Drittel weniger.
Die Ökonomin Patrizia Laeri (40) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von « SRF Börse» und « Eco » sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt alle zwei Wochen für BLICK.