#aufbruch mit Patrizia Laeri
Väter an die Front

Was habe ich in meiner Kindheit am meisten vermisst? Meinen Vater. Wenn ich heute etwas ändern könnte, was vergangen ist, dann hätte ich gern mehr Zeit mit meinem Vater verbracht. Er hat mich mehr geprägt als jeder andere Mensch.
Publiziert: 15.09.2020 um 23:07 Uhr
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Aktualisiert: 17.09.2020 um 23:23 Uhr
Kolumnistin Patrizia Laeri.
Foto: Thomas Buchwalder
Patrizia Laeri

Mein Vater hat immer Vollzeit gearbeitet. Zu Hause waren die Rollen klassisch verteilt. Zu Hause galt das Ein-Ernährer-Modell. Im Puppenhaus haben meine Schwester und ich den Vater als Erstes aus dem Haus verbannt, in die Ecke hinter den Vorhang geworfen und dann als Dreier-Familie weitergespielt. Er war ja unsichtbar. Und wir spielten die Gesellschaft nach, die Väter systematisch aus der Familie ausklammert. Bis heute noch.

Die wenigen Stunden, die ich mit ihm hatte, haben mich aber für ein Leben geprägt. Wie kann das sein? Die neusten Erkenntnisse aus der Forschung erklären es: Väter haben einen enormen Einfluss auf ihre Kinder. Ihre Rolle hat die Wissenschaft aber jahrelang schändlich vernachlässigt.

Die Jacobs-Stiftung in der Schweiz will dies ändern und finanziert seit 2013 ein gigantisches europäisches Väter-Forschungsprojekt, das Central European Network on Fatherhood. Und die Ergebnisse zeigen jetzt schon: Väter erziehen ausgesprochen gut – sofern sie ihre eigenen Strategien anwenden und nicht die Mütter kopieren.

Wenn Väter ihr eigenes Ding durchziehen, dann ermutigen sie und fordern raus. Ich denke an die vielen Logikrätsel, die ich mit meinem Vater löste und seinen frohen Spruch «Alle Laeris können rechnen». Väter trösten auch anders, sie trösten nicht klassisch, sie lenken mit Geschichten ab.

Väter spielen körperbetonter und wilder. Sie balgen, ringen, fangen, huckepacken und stärken damit laut den Forschern das Selbstbewusstsein. Väter sprechen auch anders über Geld. Sie sprechen über Geld als Abenteuer, als Investition, als Chance, über Geld und Kredit und nicht nur übers Sparen und verzichten.

Schweizer haben aber leider sehr viel weniger Chancen, gute Väter zu sein als ihre europäischen Nachbarn. Einen Tag erhält ein Schweizer zurzeit für sein Baby, bis zu 420 Tage beispielsweise ein Schwede. Ganz schön unfair für Schweizer Väter und Kinder. Väter, die mehr Zeit für die ganz Kleinen haben, verbringen das ganze Leben mehr Zeit mit den Kindern. Auch wenn sie sich scheiden lassen. Das wissen wir aus Schweden und von Studien, die belegen, dass Elternzeit Männern hilft, gute Väter zu werden.

Nun stimmen wir also bald darüber ab, ob Schweizer Väter statt eines Tages immerhin mickrige zehn Tage erhalten, um ihre Kleinen kennenzulernen. Fast unerträglich, dass man darüber noch streitet und es tatsächlich Menschen gibt, die das Vätern und Kindern nicht gönnen. Wirklich störend ist auch, dass die Direktbetroffenen nicht abstimmen dürfen. Jedes Kind würde für mehr Zeit mit seinem Vater stimmen. Mein Vater hat auf seinem Sterbebett nur die eine Sache bereut im Leben: nicht mehr Zeit mit uns verbracht zu haben. Es erging ihm damit wie den meisten sterbenden Männern, wie Studien zeigen.

Auch wenn es in der Schweiz noch viel mehr Wandel bräuchte – monatelange Elternzeit, die ihren Namen verdient hätte, mehr Teilzeitpensen, auch in verantwortungsvollen Jobs – zählt doch jeder Tag. Jeder Tag mit dem Vater ist unbezahlbar. #aufbruch

* Patrizia Laeri (42) ist amtierende Wirtschaftsjournalistin des Jahres und Top Voice Linkedin DACH. Sie ist Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.

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