Was macht uns reich? Wirtschaftswachstum? Ja, so definieren wir uns. Als Land. Wir messen uns an der global dominanten Messgrösse BIP, dem Bruttoinlandprodukt. Das BIP misst aber nur das, was einen Preis hat und gehandelt wird. Alles, was privat geleistet wird, erfasst es nicht. Wenn Eltern Kinder grossziehen und Menschen Angehörige pflegen, beachtet es dies nicht. Den Drogenkonsum rechnet es dazu und weist ihm Wert zu, Pflegearbeit zu Hause nicht. Es sagt auch nichts über die Art und Weise der Arbeit aus. Da können Massen in ausbeuterischen Billig-Lohn-Jobs schuften, das ist dem BIP herzlich egal, solange die Reichen noch mehr verdienen. Es wächst auch, wenn es mehr Verlierer als Gewinner gibt.
Doch was macht ein erfolgreiches Land wirklich aus? Das Glück der Menschen.
Erfolg ist nicht Reichtum. Erfolg ist Wohlbefinden. Das findet die ständig wachsende globale Wellbeing Economy Alliance. Diese Allianz für eine neue Wirtschaft ist noch relativ jung. Schottland, Island und Neuseeland haben sie erst vor zwei Jahren ins Leben gerufen. Hunderte Organisationen haben sich ihnen seither angeschlossen. So auch der einflussreiche Club of Rome. Schottland, Island und Neuseeland werden von Nicola Sturgeon, Katrín Jakobsdóttir und Jacinda Ardern geführt. Alles Frauen. Die schottische Regierungschefin führt die globale Initiative an. Ihre Mitglieder finden Wohlbefinden genauso wichtig wie Wohlstand.
Sie folgen einer grüneren, faireren und gerechteren Vision von Wirtschaft. Dazu bieten sie weitreichende Konzepte und neue Messsysteme. Wirtschaftswissenschaftler aus der ganzen Welt haben sie ausgetüftelt. Sie schlagen vor, nebst der klassischen Messzahl für Volkswirtschaften auch soziale Kennzahlen zu berücksichtigen. Sie messen beispielsweise die Grünflächen im Verhältnis zu Wohnflächen, die Zufriedenheit der Kinder, die Gesundheit der Bevölkerung oder Zugang zu Wohnraum.
Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern ist beigetreten, weil das Wirtschaftswachstum in ihrem Land trügerisch war. Wenn in einem Land trotz scheinbarem Boom Obdachlose auf der Strasse schlafen, Kinder arm und häusliche Gewalt an der Tagesordnung sind, dann geht es dem Land und den Menschen nicht gut. Seit sie misst und weiss, warum es den Menschen nicht gutgeht, verteilt sie auch das Geld anders. Sie lancierte letztes Jahr das erste Wellbeing-Budget der Welt.
Nicht nur Staaten rechnen falsch, sondern auch Firmen. Die Allianz ruft auch Führungskräfte dazu auf, Erfolg neu zu definieren. Zurzeit steuern sie Firmen vor allem mit Finanzzahlen mit sogenannten Key Performance Indicators, KPIs, wie Verkäufe, Gewinn, Stückzahl pro Tag, Marktanteile. Zeigt das wirklich den Erfolg der Firma? Die Allianz schlägt ergänzend soziale Messgrössen vor, die Gesundheit der Mitarbeiter etwa oder Familienfreundlichkeit und den ökologischen Fussabdruck.
Wir haben Erfolg seit Jahren falsch gemessen. Es ist wichtig, was wir messen. Was wir messen, bestimmt unsere Politik, unsere Budgets und Ausgabenplanung. Wenn man Erfolg anders definiert und misst, wird er auch anders finanziert. Es ist Zeit, Geld für das Glück der Menschen auszugeben. Auch, weil wir es uns in einem Land, das beim Schuldenmachen gar verdient, auch leisten können, wenn es allen besser geht. #aufbruch
Patrizia Laeri (42) ist Chefredaktorin von CNN Money Switzerland sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.