«Man darf die Vorteile nicht abwürgen»
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Astra-Chef Jürg Röthlisberger:«Man darf die Vorteile nicht abwürgen»

Astra-Chef Jürg Röthlisberger über selbstfahrende Autos
«Man darf die Vorteile nicht abwürgen»

Astra-Chef Jürg Röthlisberger glaubt, dass selbstfahrende Fahrzeuge den Verkehr sicherer, sauberer und effizienter machen. Von übertriebener Regulierung hält er nichts.
Publiziert: 02.03.2021 um 17:15 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2021 um 17:32 Uhr
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Astra-Direktor Jürg Röthlisberger will die Vorteile der automatisierten Mobilität nutzen.
Interview: Guido Schätti

Roboterautos stellen den Verkehr auf den Kopf. Die Computer brauchen keine Fahrprüfung, dafür wird die Zulassung der Fahrzeuge zur technologischen Reifeprüfung. Kantonale Strassenverkehrsämter müssen bewilligen, was Tech-Firmen im Silicon Valley aushecken. Und einer muss dafür sorgen, dass dabei alles mit rechten Dingen zugeht: Jürg Röthlisberger (56), Chef des Bundesamtes für Strassen (Astra).

Herr Röthlisberger, fuhren Sie schon mal mit einem selbstfahrenden Auto?
In den letzten Jahren standen in mehreren Städten selbstfahrende Busse im Einsatz. Da bin ich auch schon mitgefahren. Ziel war, Erfahrungen zu sammeln und den Leuten einen Eindruck zu vermitteln, wie sich solche Fahrten anfühlen. Die Menschen sind aufgeschlossen. Selbst wenn ein Bus durch ein Hindernis gebremst wird, reagieren die Passagiere tolerant.

Ab wann stehen solche Busse fahrplanmässig im Einsatz?
Das wird noch einige Zeit dauern. Dennoch tut sich viel. Die Schweiz ist eines der ersten Länder, die das Gesetz anpassen für selbstfahrende Fahrzeuge der Automatisierungsstufen 3 und 4. In diesen braucht es zwar noch einen Fahrer, er greift aber nur auf Aufforderung oder im Notfall ein.

Tesla behauptet, die Fahrzeuge seien schon heute auf Stufe 3. Korrekt?
Was die Hersteller derzeit bieten, reicht noch nicht für eine Zulassung. Die Hürden für Level 3 sind enorm hoch. Das System muss auch unter widrigsten Bedingungen funktionieren. Ich gehe davon aus, dass die ersten Hersteller die Zulassung in zwei oder drei Jahren erhalten. High-End-Autos werden wohl die ersten sein.

Was bringen selbstfahrende Fahrzeuge?
Bei der Ökologie, Sicherheit und Effizienz haben sie grosse Vorteile. Heute gehen neun Prozent aller Staus auf Unfälle zurück. Wenn es uns also gelingt, Unfälle zu reduzieren, ist das bereits ein grosser Fortschritt. Und das ist erst ein Teil des Potenzials. Es liegt in unserem Interesse, dieses auszuschöpfen.

In welchem Zeitraum kommen selbstfahrende Fahrzeuge auf den Markt?
Der nächste grössere Schritt werden Autobahnpiloten sein. Da der Verkehr nur in eine Richtung geht und die Tempi vergleichbar sind, hat der Autobahnverkehr eine tiefere Komplexität als der Mischverkehr. Ich gehe davon aus, dass Autopiloten dort in fünf bis zehn Jahren zugelassen werden. Bis Level 4 überall zugelassen wird, muss aber noch sehr viel passieren. Das dauert noch 15 bis 20 Jahre.

Die Rechtsgrundlagen müssen also ständig angepasst werden.
Autos sind heute schon fahrende Computer, in Zukunft werden sie das noch viel ausgeprägter sein. Am kniffligsten ist die Zulassung der Software-Updates. Sie erfolgen über das mobile Datennetz, müssen von den kantonalen Strassenverkehrsämtern aber kontrolliert werden können. Wir setzen dabei auf die Blockchain-Technologie: Fahrzeuge haben vom Werk bis zur Schrottpresse einen nicht manipulierbaren Datensatz, jedes Update wird in der Blockchain vermerkt.

Wann geht die Haftung vom Halter auf den Hersteller über?
Überhaupt nicht. Unser Ansatz ist: Die Halterhaftung bleibt bestehen, auch wenn automatisiert gefahren wird. Das ist so vorgesehen im Entwurf für das revidierte Strassenverkehrsgesetz. Was sich aber ändert, ist der Durchgriff auf den Hersteller. Es gibt ihn heute schon, in Zukunft soll er aber viel einfacher sein.

Experten fordern, man sollte den Privatbesitz von Autos beschränken. Teilen Sie diese Einschätzung?
Eine ETH-Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, kommt ebenfalls zu diesem Schluss. Wir sehen das entspannt. Man darf nicht vom Regulator verlangen, dass er heute hart dreinfährt. Wir sollten der Technologie eine Chance geben. Die Potenziale bei der Sicherheit und der Effizienz sind viel zu attraktiv, als dass man sie abwürgen sollte. Ich sehe keine Konkurrenz zwischen dem öffentlichen Verkehr und selbstfahrenden Autos, sondern vielmehr eine Ergänzung. Es braucht flankierende Massnahmen, aber nicht zu starre, sonst wird verhindert statt ermöglicht. Entscheidend ist letztlich, was die Gesellschaft will und welche Leitplanken die Politik vorgibt.

Sie glauben also nicht, dass sich selbstfahrende Fahrzeuge durchsetzen werden?
Doch, aber es sind heute einfach noch viele Fragen offen. Vor allem muss man sich von der Vorstellung lösen, dass man am Tag X in eine neue Welt geht, in der alle nur noch voll automatisiert unterwegs sind. Man denkt beispielsweise zu häufig nur in vier Rädern, aber es gibt auch zwei Räder. Motorräder werden nie selbstfahrend sein, bei ihnen spielt die Emotion eine viel grössere Rolle. Auch Velos und E-Bikes werden nie selbstfahrend sein. Und es wird immer Mischverkehr geben.

Denken Sie, dass das Auto als Statussymbol verlieren wird?
Das hängt unter anderem davon ab, wie sich die Share Culture entwickelt. Anders als frühere Generationen wollen die Jungen heute nicht mehr unbedingt ein eigenes Auto besitzen. Attraktive Preise und Verfügbarkeit sind ihnen wichtiger als Prestige und Besitz. Wenn sich diese Haltung durchsetzt, sind selbstfahrende Autos auf der letzten Meile eine gute Ergänzung zum klassischen ÖV. Es können zudem neue Mischformen entstehen, quasi ein öffentlicher Individualverkehr respektive ein individueller öffentlicher Verkehr.

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