Ariane Ehrat, CEO von Engadin St. Moritz im Interview
«Wir sind besser, als man uns glauben macht»

Ariane Ehrat erklärt, wie man Gäste ins Engadin lockt und warum sie nicht aus den Euro-Ländern kommen müssen.
Publiziert: 05.07.2015 um 21:32 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 02:30 Uhr
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Vom Engadin auf den Zürichberg: «Viele Touristen haben das Gefühl, die Schweizer Städte liegen ­mitten in den Alpen.»
Foto: Sabine Wunderlin
INTERVIEW: Christine Maier

BLICK: Frau Ehrat, wären Sie manchmal lieber Tourismusdirektorin von Zürich?
Ariane Ehrat: Aber nein! Ich liebe das Engadin und St. Moritz zu sehr. 

Sie hätten einen einfacheren Job.
Das ist mir auch durch den Kopf gegangen, als wir uns hier verabredet haben. Aber ich gehöre in die Berge, ins Engadin, wo ich mit meinem Team etwas bewegen möchte.

Warum haben es die Städte so viel einfacher als die Tourismusregionen in den Alpen?
Viele ausländische Touristen haben das Gefühl, die Schweizer Städte liegen mitten in den Alpen. Das ist sicher sehr speziell. Aber halt, ich möchte nicht so viel Werbung für die Städte machen (lacht herzlich).

Also gehen wir in die Berge. In Interlaken habe ich kürzlich Scharen von Asiaten oder Arabern gesehen, die durch die Strassen flanierten und sich in den Luxusshops drängten. Keine Spur von Flaute. Was machen die Berner Oberländer besser?
Wir hatten die Deutschen, die Ita­liener, denen der starke Franken zusetzt. Die Russen, die jetzt unter der Rubelkrise leiden. Aber wir sind dabei nachzuholen, was einige Destinationen schon vor 20 Jahren begonnen hatten.

Hatten die Berner damals die bessere Nase?
Gute Frage, dazu kann ich aber nichts sagen. Ich war damals noch nicht im Amt. Fakt ist, dass wir zu sehr von den Euroländern abhängig sind. Gott sei Dank, haben visionäre Persönlichkeiten dies bei uns vor zwölf Jahren festgestellt. Deshalb haben sie 2007 die Destina­tion Engadin St. Moritz gegründet. Um Synergien zu schaffen und in neue Märkte aufzubrechen. 

Rechtzeitig?
Klar, wenn man früh einsteigt, hat man einen Vorsprung. Wer später dazukommt, kann von den anderen lernen.

Was zum Beispiel?
Dass der Mix der Kunden unglaublich wichtig ist. Das heisst, dass sich keine Kultur wohlfühlt, wenn eine andere überhandnimmt. Ein weiteres Learning ist, dass wir die ganze Wertschöpfungskette – vom Hotel über die Bergsteigerschule und die Gastronomie bis zum Museumsführer – daran teilhaben lassen wollen.

Wie muss man sich das vor­stellen, wenn Ariane Ehrat ins ­Ausland geht, um neue Kunden anzuwerben?
Ein Beispiel ist Dubai. Da hatten wir zwei Jahre dafür gekämpft, bei der arabischen Handelskammer eine Präsentation machen zu dürfen. Dann konnten wir uns mit diesen fünfzig Direktoren und Unternehmern treffen und austauschen. Das sind für mich immer die reichsten Erfahrungen.

Das ist alles?
Nein, wir versuchen uns dort auf den Tourismus-Plattformen zu präsentieren und in den persönlichen Gesprächen die Leute zu motivieren, ins Engadin zu kommen. Unser Ziel ist herauszufinden, wovon die Menschen in diesen Märkten träumen, was sie lieben, was ihnen wichtig ist. Und dann wollen wir ihnen dies auch bieten.

Worin unterscheiden sich chinesische von arabischen Touristen?
Es ist schwierig, das zu verallgemeinern. Ich versuche es trotzdem. Die Chinesen werden immer sportlicher und sie lieben Pferde. Die Araber geniessen die Aussicht von den Terrassen und sind wild auf Shopping. Kürzlich hatten wir arabische Journalisten hier. Die sind fast ausgeflippt, als es regnete.

Warum?
Die haben getanzt im Regen. Das Wasser. Die grünen Wälder. Die ­Alpen. Sie waren richtig glücklich.

Wenn Sie erzählen, spürt man Ihre grosse Energie. Und einen eisernen Willen. Haben Sie das aus Ihrer Zeit als Skirenn­sportlerin mitgenommen?
Nein, ich war schon immer so. Manchmal sagt man mir gar, dass ich zu ehrgeizig sei. Daran finde ich nichts Schlechtes. Aber ich habe immer ein Ziel vor Augen.

Anfang Jahr, als alle hart vom erstarkten Franken getroffen wurden, sagten Sie: Zu einem noch wichtigeren Wettbewerbsfaktor werde nun die echte, gelebte Gastfreundschaft. Was verstehen Sie darunter?
Gastfreundschaft, die von Herzen kommt. Authentisch. Wenn man spürt: Hier bin ich willkommen.

Da sollen unsere Nachbarn in ­Österreich uns um Längen ­voraus sein ...
Ich sage Ihnen: Es gibt sehr viele tolle Hoteliers und Gastwirte in der Schweiz! Sie haben ihre Gäste gern. Sie investieren in die Infrastruktur. Sie kämpfen. Darauf kommt es an. Wir müssen uns nicht schämen. Wir sind sehr viel besser, als man es uns glauben machen will.

In österreichischen Hotels zum Beispiel arbeiten hauptsächlich Einheimische. Bei uns nicht. Ein Nachteil? 
Einheimisches Personal zu haben, macht es sicher einfacher. Diese Leute sind verwurzelt und stolz auf ihre Heimat. Ich glaube, diese Jobs müssen bei uns wieder eine viel ­höhere Wertschätzung erhalten. Dann sind sie auch für Junge attraktiver.

Wie soll das gehen?
Die Jobs sind im Verhältnis eher schlecht bezahlt. Viele Junge wollen möglichst schnell viel Geld verdienen. Ich sehe das nicht so negativ. Ich denke, es wächst eine Generation heran, die auf andere Werte setzt als nur aufs Geld.

Wie kommen Sie darauf?
Wenn ich die Jungen bei uns sehe, die frisch von der Schule, von der Uni kommen, dann stelle ich fest, dass sie sehr kritisch sind. Dass sie nach einem Sinn suchen. Wenn sie diesen finden, dann sind sie bereit, alles zu geben. Das macht mir Freude. Und Hoffnung.

Der starke Franken hat drama­tische Auswirkungen auf den ­Tourismus. Mit welchen Zahlen rechnen Sie für die kommenden Saisons?
Es wird hart, ganz klar. Ich denke, wenn wir mit einem Minus von weniger als zehn Prozent Hotel­logiernächten abschliessen können, dann ist das wohl ein Minus. Aber es ist okay.

Werden Hotels schliessen?
In schwierigen Zeiten überleben diejenigen, die sich um ihre Zukunft kümmern. Diejenigen, die ­investieren und sich auf die Gäste fokussieren. Das lehrt uns die Geschichte.

In diesen Tagen wurde bekannt, dass der Robinson Club Engadin dank der Bergbahnen gerettet werden konnte. Haben die ­Bergbahnen noch Kapazität für andere Wackelkandidaten?
Die Bergbahnen in der Schweiz sind genauso gefordert wie die Hoteliers. Das heisst, viel Luft für Investitionen in fremde Betriebe ist nicht mehr vorhanden.

Was kann die Tourismusbranche auf der Kostenseite tun? Im Verhältnis zu den europäischen Nachbarn sind wir einfach zu teuer.
Da sind wir nicht konkurrenzfähig, Sie haben recht. Wir fragen uns also: Was können wir über die Gastfreundschaft und die einzigartige Natur und Landschaft im Engadin hinaus machen? Wir haben zum Beispiel «Bergbahnen inklusive» kreiert. Das bedeutet: Wer mehr als eine Nacht in einem Hotel verbringt, kriegt die Bergbahn umsonst. 100 Hotels sind dabei und mittlerweile kommen über 30 Prozent unserer Gäste wegen dieses Angebots.

Ist es schwierig für Sie, optimistisch zu bleiben?
Nein. Ich bin ein positiver Mensch. Wir werden 2017 in St. Moritz die Skiweltmeisterschaften haben, die grösste Veranstaltung in der Schweiz in den nächsten Jahren. Nach den Feierlichkeiten zum Jubiläum 150 Jahre Wintertourismus, das uns die visionären Pioniertaten in Erinnerung gerufen hat, wird die WM der Motor für unsere nächste Zukunft im Wintertourismus sein.

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