Blick: Herr Streuli, können sich Schweizer Arbeitnehmende während der Arbeitszeit impfen lassen?
Daniel Streuli: Grundsätzlich muss sich ein Arbeitnehmer wenn möglich ausserhalb der Arbeitszeit impfen lassen. Wenn ausserhalb der Arbeitszeit keine Impfplätze frei sind oder sich ein Impftermin nicht verschieben lässt, dürfen sich Arbeitnehmende auch während der Arbeitszeit impfen lassen.
Ist das gesetzlich explizit geregelt?
Nein, aber das Arbeitsrecht gewährt Arbeitnehmenden eine ausserordentliche Freizeit. Können Angestellte dringende Termine – Arztbesuche, Behördengänge oder Ähnliches – aus irgendwelchen Gründen nicht in der Freizeit wahrnehmen, dürfen sie von der Arbeit fernbleiben. Darunter fällt auch ein Corona-Impftermin.
Muss man die Zeit, in der nicht gearbeitet wurde, später nachholen?
Zumindest Festangestellte mit einem festen Monatslohn müssen die Zeit nicht in jedem Fall aufarbeiten. Die Details dazu sind meist in den Gesamtarbeitsverträgen geregelt. Falls da keine Lohnfortzahlungspflicht vereinbart wurde, ist die Zeit aber nachzuholen.
In welchen Fällen darf der Arbeitgeber den Impftermin doch verbieten?
Wenn die Anwesenheit des Angestellten für den Arbeitgeber zu dem Zeitpunkt unerlässlich ist. Da braucht es unbedingt eine Interessenabwägung. Ich denke etwa an einen Chirurgen, der eine wichtige Operation durchzuführen hat. Hier kommt die Treuepflicht eines Arbeitnehmers zum Tragen.
Ich will zum Impfen, es meinem Chef aber nicht sagen – das geht ihn schliesslich nichts an. Kann ich zum Impftermin, ohne meinem Chef den Grund meiner Abwesenheit zu nennen?
In diesem Zusammenhang besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und seiner Informationspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Der Vorgesetzte muss im Vorfeld über die Abwesenheit informiert werden.