Als Olena Zaugg zum ersten Mal vor einer Klasse steht, ist sie 61 Jahre alt. An den Tischen vor ihr sitzen Schüler zwischen 10 und 16 Jahren. Deren Muttersprache: Ukrainisch oder Russisch. Zauggs Auftrag: ihnen Deutsch beizubringen.
Einen Lehrplan gibt es nicht, das Niveau der Klasse ist unterschiedlich, ein Schüler leicht behindert – keine einfache Ausgangslage. Zaugg, selbst in der Ukraine geboren, wählt kreative Ansätze. Sie lässt die Schüler «99 Luftballons» hören, Nenas Anti-Kriegs-Hymne von 1983. Sie lesen die Strophen vor und lernen sie auswendig. Über den «Düsenflieger» stolpern sie noch.
Den Neustart als Lehrerin in Aeschi bei Spiez BE, in den Hügeln oberhalb des Thunersees, hatte Zaugg so nicht geplant. Die letzten zehn Jahre war sie als SBB-Mitarbeiterin in Zügen überall im Land unterwegs.
Doch im Februar dieses Jahres kam es zum Bruch mit ihrem Chef. Sie verlor ihre Stelle. Und fiel in ein Loch.
«Vor acht Jahren kündigte ich. Ich war damals für eine Firma tätig, die Laborgeräte herstellt und schrieb als technische Redaktorin Benutzerhandbücher. Danach war ich fünf Jahre lang auf Stellensuche. Während dieser Zeit arbeitete ich viel für Non-Profit-Organisationen; eine Anstellung ergab sich nie. Das war niederschmetternd. Geholfen hat mir der Verein Loopings, der Menschen in der zweiten Hälfte ihres Arbeitslebens unterstützt. So lernte ich Leute kennen, die in einer ähnlichen Situation waren. Eine Dame, weit über 70, hat etwa ihre eigene Parfummarke gegründet. Dieser Austausch war beflügelnd. Ich gründete ebenfalls eine Firma; bin nun aber wieder als technische Redaktorin tätig. Den Job habe ich über meinen Mann gefunden. Er hatte erfahren, dass in einer anderen Abteilung seiner Firma eine Stelle offen ist. Daraufhin habe ich mich regulär beworben – und es klappte. Seit zwei Jahren arbeite ich dort.»
«Vor acht Jahren kündigte ich. Ich war damals für eine Firma tätig, die Laborgeräte herstellt und schrieb als technische Redaktorin Benutzerhandbücher. Danach war ich fünf Jahre lang auf Stellensuche. Während dieser Zeit arbeitete ich viel für Non-Profit-Organisationen; eine Anstellung ergab sich nie. Das war niederschmetternd. Geholfen hat mir der Verein Loopings, der Menschen in der zweiten Hälfte ihres Arbeitslebens unterstützt. So lernte ich Leute kennen, die in einer ähnlichen Situation waren. Eine Dame, weit über 70, hat etwa ihre eigene Parfummarke gegründet. Dieser Austausch war beflügelnd. Ich gründete ebenfalls eine Firma; bin nun aber wieder als technische Redaktorin tätig. Den Job habe ich über meinen Mann gefunden. Er hatte erfahren, dass in einer anderen Abteilung seiner Firma eine Stelle offen ist. Daraufhin habe ich mich regulär beworben – und es klappte. Seit zwei Jahren arbeite ich dort.»
In den Monaten vor der Kündigung – «ich spürte, dass mich mein Chef weghaben wollte» – nahm sie Kontakt mit dem Verband Avenir 50 plus auf, der sich für ältere Stellensuchende einsetzt. Ein Kurs zur Standortbestimmung öffnete Zaugg die Augen: Sie würde gerne im Sozialbereich tätig sein. Die studierte Ingenieurin und ausgebildete Dolmetscherin rappelte sich auf und beschloss, eine neue Karriere einzuschlagen: als Lehrerin.
Fast so wenige ältere Arbeitslose wie 2019
Olena Zaugg ist nicht die Einzige, die trotz Jobverlust im fortgeschrittenen Alter eine neue Stelle findet. Das zeigt ein Blick in die Statistik: Nach einem Anstieg während der Corona-Krise ist die Anzahl Arbeitsloser 50- bis 64-Jähriger heute fast wieder so tief wie 2019 – einem Jahr der Hochkonjunktur.
Die Arbeitslosenquote bei jener Altersgruppe liegt erfahrungsgemäss tiefer als bei Jüngeren. Wer mit über 50 Jahren die Stelle verliert, ist jedoch länger auf Jobsuche. Auch das Risiko einer Langzeitarbeitslosigkeit ist höher als bei jüngeren Stellensuchenden.
Sind ältere Mitarbeitende auf einmal wieder gefragt? Kein Zweifel: Der viel zitierte Fachkräftemangel spielt Stellensuchenden über 50 in die Hände – zumindest in Branchen, in denen tatsächlich ein Mangel an Mitarbeitern herrscht. Das bestätigt Klaus Uhl (52) von der Outplacement-Firma von Rundstedt, die Entlassene bei der Jobsuche unterstützt.
«Als ich mit 40 Jahren Mutter wurde, reduzierte ich mein Pensum als persönliche Assistentin bei einer Bank auf 50 Prozent. Doch die Arbeit, die mir angeboten wurde, war nicht wirklich befriedigend. So beschloss ich, eine Auszeit einzulegen und holte neben dem Muttersein die Matura nach. Als ich mit 50 Jahren wieder ins Arbeitsleben einsteigen wollte, war das sehr schwierig. Die Technologisierung war völlig an mir vorbeigegangen. Ich fand eine temporäre, sechsmonatige Stelle als Aushilfskraft bei der Zurich Versicherung. Sechs Jahre ging das so – während eines halben Jahres hatte ich Arbeit, während der anderen Hälfte war ich auf Stellensuche. Das war sehr zermürbend. Im letzten Jahr habe ich noch die Ausbildung zur Sachbearbeiterin Sozialversicherungen gemacht. Das hat mir bei der Jobsuche wohl geholfen: Seit Anfang August habe ich bei der Axa Versicherung eine feste Stelle als Kundenbetreuerin.»
«Als ich mit 40 Jahren Mutter wurde, reduzierte ich mein Pensum als persönliche Assistentin bei einer Bank auf 50 Prozent. Doch die Arbeit, die mir angeboten wurde, war nicht wirklich befriedigend. So beschloss ich, eine Auszeit einzulegen und holte neben dem Muttersein die Matura nach. Als ich mit 50 Jahren wieder ins Arbeitsleben einsteigen wollte, war das sehr schwierig. Die Technologisierung war völlig an mir vorbeigegangen. Ich fand eine temporäre, sechsmonatige Stelle als Aushilfskraft bei der Zurich Versicherung. Sechs Jahre ging das so – während eines halben Jahres hatte ich Arbeit, während der anderen Hälfte war ich auf Stellensuche. Das war sehr zermürbend. Im letzten Jahr habe ich noch die Ausbildung zur Sachbearbeiterin Sozialversicherungen gemacht. Das hat mir bei der Jobsuche wohl geholfen: Seit Anfang August habe ich bei der Axa Versicherung eine feste Stelle als Kundenbetreuerin.»
Uhl stellt fest, dass der «Leidensdruck» bei den Unternehmen gegenwärtig höher sei als vor der Corona-Krise. «Die Firmen stellen auch Personen ein, die nicht hundert Prozent passen. Und sie sind bei Entlassungen zurückhaltend, weil sie keine weiteren Baustellen auftun wollen.» Mit anderen Worten: «Die Firmen müssen momentan Kompromisse eingehen.»
Keine Altersguillotinen mehr
Bruno Graf, RAV-Leiter in Suhr AG, formuliert es ein wenig freundlicher. «Wegen des Fachkräftemangels spielt das Alter bei Bewerbungen nicht mehr eine so grosse Rolle.» Dass die Arbeitgeber wieder mehr Wert auf Kompetenz legen, spiegle sich in den Annoncen: «Früher hatte es in den Stellenausschreibungen oft Altersguillotinen. Das sehen wir heute praktisch nicht mehr.» Zudem unterstützten die RAV Arbeitslose über 50 Jahren mit speziellen Kursen und einer engeren Begleitung.
Graf schränkt allerdings ein: Wer den Job erst mit über 60 verliere, habe es bei der Stellensuche schwer. Auch die höheren Kosten, die eine Anstellung älterer Mitarbeiter mit sich bringt, sorge bei den Firmen für Zurückhaltung.
Am Ende sei das Alter aber nur einer von mehreren Faktoren. Wenn jemand bereit sei, einen tieferen Lohn in Kauf zu nehmen oder eine Stelle ausserhalb der angestammten Branche anzunehmen, erleichtere das die Jobsuche. Und die vielleicht wichtigste Zutat für eine erfolgreiche Stellensuche, so Graf, habe mit dem Alter nichts zu tun: «Die Motivation.»
Daran soll es bei Olena Zaugg nicht scheitern. Die Lehrerin hat einen Vertrag, der bis Ende Januar befristet ist. Sie hofft, auch darüber hinaus unterrichten zu dürfen – und mit ihren Schülern weitere Lieder einzuüben.
Den Text zu «99 Luftballons» beherrschen die Kinder inzwischen schon fast.
Für weitere Informationen: Link zum Netzwerk Loopings und zum Verband Avenir 50 Plus.