Arbeiten übers AHV-Alter hinaus
Die Wirtschaft lässt Ältere alt aussehen

Die Wirtschaft verlangt vom Staat Anreize, damit die Älteren übers AHV-Alter hinaus erwerbstätig bleiben. Selber tut sie kaum etwas dafür.
Publiziert: 21.09.2019 um 23:59 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2019 um 16:05 Uhr
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Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung lancierte der damalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann schon 2011 die Fachkräfteinitiative.
Foto: Keystone
Claude Chatelain

Die Wirtschaft stöhnt: In den nächsten zehn Jahren gehen pro Jahr im Schnitt 50'000 Personen mehr in Pension, als nachrücken werden. «In der Schweiz fehlen 42'778 Handwerker», titelte jüngst der BLICK. Auch Spitäler, Pflege- und Altersheime suchen verzweifelt Fachpersonen. Laut NZZ haben sie im ersten Quartal des laufenden Jahres fast 5500 entsprechende Stellen ausgeschrieben.

Das Problem ist nicht neu. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung lancierte der damalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann schon 2011 die Fachkräfteinitiative. Ein grosses schlummerndes Arbeitskräftepotenzial ortete er bei den Alten. Doch nach Auffassung von CVP-Ständerat Pirmin Bischof zeitigte die Fachkräfteinitiative bisher noch wenig Erfolg.

Deshalb verlangt der Solothurner vom Staat Massnahmen, damit die Alten länger im Arbeitsprozess bleiben. Das Gleiche fordert auch Peter Hegglin, sein Parteikollege aus dem Kanton Zug. Im Unterschied zum Bundesrat unterstützt der Ständerat das Anliegen der Ratskollegen und überwies in der zurückliegenden Sommersession ein entsprechendes Postulat.

Sozialminister Alain Berset blockt ab

Darin wird der Bundesrat gebeten, Lösungsvarianten auszuarbeiten, um die Erwerbstätigkeit nach dem Rentenalter zu fördern. Hegglin denkt dabei an Anreize im Bereich AHV, Pensionskasse und Steuern.

In der AHV profitieren Rentnerinnen und Rentner heute von einem Freibetrag von jährlich 16'800 Franken. Lohnbestandteile, die über diesem Freibetrag liegen, sind hingegen AHV-pflichtig. Hegglin möchte diesen erhöhen. Das will auch der Arbeitgeberverband – und zwar auf 24'000 pro Jahr beziehungsweise 2000 Franken pro Monat. Für Martin Kaiser, beim Arbeitgeberverband fürs Ressort Sozialpolitik und Sozialversicherungen zuständig, ist dieser Schritt überfällig.

Die Praxis zeige, dass der Freibetrag eine grosse Rolle spiele, sagt Kaiser. Freilich muss man wissen: Nicht nur der Arbeitnehmer profitiert von tieferen AHV-Beiträgen, sondern auch der Arbeitgeber. Doch Sozialminister Alain Berset will nichts davon wissen. In der laufenden AHV-Revision, die Anfang Juli publiziert wurde, wird am Freibetrag nicht gerüttelt. Neu wären aber die nach der Pensionierung überwiesenen AHV-Beiträge rentenbildend. Dies wäre für jene interessant, die nicht auf eine maximale Vollrente kommen. Dieser Punkt war schon in der Altersvorsorge 2020 vorgesehen, die vor zwei Jahren an der Urne verworfen wurde.

Arbeitgeber bremsen mit den Arbeitgeberbeiträgen

Grössere Anreize für Arbeitnehmer dürften jedoch in der beruflichen Vorsorge zu suchen sein. Viele Unternehmen haben deshalb in den zurückliegenden Jahren ihr Pensionskassenreglement so angepasst, dass ihre Mitarbeitenden bis Alter 70 in der Pensionskasse bleiben dürfen. Das heisst, sie können die Rente aufschieben, um in den Genuss eines höheren Umwandlungssatzes und damit zu einer höheren Rente zu kommen. Doch wirklich interessant ist diese Weiterversicherung nur dann, wenn der Arbeitgeber die Arbeitgeberbeiträge weiterhin bezahlt. Das tun die wenigsten.

Wirklich grosse Anstrengungen, um die älteren Arbeitnehmer bei der Stange zu halten, sind kaum auszumachen. Bei der UBS können Frauen und Männer der Jahrgänge 1960 und älter immer noch mit 64 in Rente gehen. Unter einem Fachkräftemangel brauchen sie dennoch nicht zu leiden. Sie können weiterhin Ausländerinnen und Ausländer rekrutieren. Das Gleiche gilt bei der Migros, dem grössten privaten Arbeitgeber des Landes, der seine Mitarbeitenden ebenfalls früher als gesetzlich vorgesehen in Pension schickt.

Besonders dramatisch soll der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen sein. Jedenfalls wird dies behauptet. Doch auch die Spitäler machen wenig, um ihre älteren Mitarbeiterinnen einen Verbleib, wenigstens einen teilzeitlichen, schmackhaft zu machen. Man frage nur mal eine pensionierte Pflegefachfrau, was konkret ihr Arbeitgeber unternommen hat, um weiterhin auf ihre Dienste zählen zu können.

Fachkräftemangel in Spitälern nur halb so schlimm

Ob im Basler Universitätsspital oder in den Kantonsspitälern Aarau und Graubünden – in den meisten Spitälern heisst es: «Ja, ein Aufschub des Rentenbezugs ist möglich.» Und: «Nein, eine Weiterversicherung im BVG mit einer Aufstockung der Altersgutschriften ist nicht möglich.»

Man muss daraus schliessen, dass es mit dem Fachkräftemangel in Spitälern so schlecht nicht bestellt sein kann. Das bestätigt indirekt auch das Kantonsspital Baden. «Das KSB ist in der glücklichen Lage, offene Stellen in der Regel ohne nennenswerte Probleme besetzen zu können», lässt sich CEO Adrian Schmitter zitieren. Und wenn die Mitarbeitenden das Pensionsalter erreicht haben, «pflegen wir sie mit Dank in den wohlverdienten Ruhestand zu entlassen».

Wenn ein Arbeitnehmer über sein Pensionsalter hinaus zum gleichen Lohn tätig ist, so kommt er den Arbeitgeber billiger zu stehen als bisher: Dieser spart sich die Arbeitgeberbeiträge für die Pensionskasse und einen Teil der Beiträge für die AHV.

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