Aussenminister Ignazio Cassis (61) zeigt sich grundsätzlich offen für den Vorschlag. Wegen der Sanktionen eingefrorene Gelder russischer Staatsangehöriger sollen eingezogen werden, um damit den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Das fordert der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45).
Doch in der Schweiz hat die Sache laut Cassis einen Haken: Rechtlich sei eine Konfiszierung russischer Gelder derzeit nicht möglich. Zuerst müsste das Gesetz angepasst werden, machte der Bundesrat vor einigen Wochen klar.
Ähnlich wie Mafia-Schergen
Ist das wirklich so? Anderer Meinung ist Mark Pieth (69). Der emeritierte Professor für Strafrecht und Kriminologie der Uni Basel ist überzeugt, dass es heute bereits die Möglichkeit gibt, Gelder einzuziehen. Er verweist dabei auf Artikel 72 im Strafgesetzbuch.
Dieser Artikel sieht vor, dass Vermögen eingezogen werden kann von Personen, die sich an einer kriminellen oder terroristischen Organisation beteiligt oder diese unterstützt haben.
Der Bund müsste den russischen Präsidenten und kremlnahe Oligarchen also als kriminelle Organisation einstufen, sagt Pieth in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen. Er erachtet das nicht als unrealistisch. Es sei beweisbar, dass «sie einen Angriffskrieg führen sowie systematische Kriegsverbrechen begehen, was eine schwere Völkerrechtsverletzung ist». «Oligarchen, die die Kriegskasse von Putin füllen, wären in ähnlicher Weise Gehilfen wie die Schergen der Mafia.»
Selbstverständlich müsste der Bund, so Pieth, in jedem Einzelfall prüfen, inwiefern jemand wirklich als Unterstützer des Kremls gelten kann oder nicht. In der Schweiz sind rund 7,5 Milliarden Franken von sanktionierten Russen eingefroren.
Ansicht ist umstritten
Laut Pieth kam der Mafia-Artikel bisher schon einmal zur Anwendung, als es um Gelder des früheren nigerianischen Staatschefs Sani Abacha (†54) ging. Ihm war vorgeworfen worden, das Land systematisch geplündert zu haben. Das blockierte Vermögen wurde schliesslich Nigeria übergeben.
Pieths Interpretation ist umstritten. Andere Juristen sind der Meinung, dass man den Mafia-Artikel im Fall Russlands nicht anwenden könne. Aus Sicht von Nora Meier von der ETH Zürich, Ex-Staatssekretär Michael Ambühl und dem emeritierten Professor Daniel Thürer könnte der Artikel aber zumindest Inspiration bieten für eine neue Gesetzesbestimmung, wie sie vergangenes Jahr in einem Gastbeitrag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» schrieben.
Denn der Artikel 72 enthält eine Umkehr der Beweislast: Ein Betroffener muss beweisen, dass er nicht an einer kriminellen Organisation beteiligt war oder ist, sonst wird das Vermögen eingezogen. Das könnte man auf die russischen Oligarchen übertragen.
Klar ist, dass die Schweiz nicht im Alleingang russische Gelder konfiszieren würde. Unter Zugzwang wird der Bund kommen, wenn die EU das beschliessen sollte. (lha)