Manchmal zeigen auch Topmanager Emotionen: «Würde ich behaupten, dass ich derzeit gut schlafe – es wäre gelogen!» Hariolf Kottmann (62), CEO des Basler Sechs-Milliarden-Konzerns Clariant, konstatiert es nüchtern wie einen wissenschaftlichen Zustandsbeschrieb der eigenen Seelenlage. Denn sein unruhiger Schlaf hat Gründe.
Der Basler Spezialitätenchemie-Hersteller mit 17'000 Angestellten wird seit Wochen von Firmenraidern aus der New Yorker Finanzszene belagert. Am Ende dieses bizarren Showdowns mit drei Hauptdarstellern könnte die Clariant aufhören zu existieren.
Da ist einmal David Winter, aus vermögender Familie stammend, ausgebildet bei der Wall-Street-Investmentbank Morgan Stanley, der die Tochter eines hemdsärmeligen Aktivisten-Investors namens Sam Heyman geheiratet hat.
Heyman war ein Firmenkäufer, der die Objekte seiner Begierde auch gegen den Willen des Managements zu kapern pflegte. Und David Winter eifert seinem Schwiegervater nach. Dann ist da David Millstone, ausgebildet bei Bear Stearns, der Sam Heymans andere Tochter geehelicht hat.
Das Duo der Schwiegersöhne war bei Clariant seit längerem stiller Kleinaktionär – über einen Investmentfonds namens 40 North. Bis zum 22. Mai, als die Basler bekannt gaben, mit dem US-Wettbewerber Huntsman fusionieren zu wollen. Gemeinsames Ziel war es, in der sich konsolidierenden Spezialchemie-Branche den weltweit zweitgrössten Anbieter zu bilden.
Clariant-Huntsman wäre mit rund 15 Milliarden Franken Umsatz auch in Zukunft in der Lage, steigende Forschungsausgaben zu berappen und dank Synergien auch in einem immer härteren Wettbewerb Gewinne zu erzielen, die in das Wachstum des Unternehmens investiert werden könnten.
Aktivisten-Aktionäre in einer zu grösseren Einheiten zusammenwachsenden Branche haben andere Absichten: Sie wollen nicht Firmen zukaufen, sondern Firmenteile verkaufen – und bei steigenden Preisen Kasse machen.
Der Plünderer als Vorbild
Als Winter und Millstone Mitstreiter für dieses Ansinnen suchten, fanden sie den dritten Protagonisten: Keith Meister, einst Investmentbanker bei Lazard Frères und Ex-Mitarbeiter jenes Carl Icahn, den sie an der Wall Street nur als «Corporate Raider» betiteln, als Unternehmensplünderer – ein Vorbild, dem der junge Keith Meister nacheifert. Der hatte von Clariant zwar noch nie gehört, aber einen sehr persönlichen Grund, die Fusion mit Huntsman zu torpedieren.
Vor vier Jahren war er nämlich Huntsman-Aktionär gewesen und hatte mit dem Ziel, Kasse zu machen, den Verkauf der Pigmentsparte verlangt. Peter Huntsman, CEO der mehrheitlich im Familienbesitz befindlichen Firma, widersetzte sich.
Seither gibt es offene Rechnungen, die nun offenbar auf dem Rücken der Clariant beglichen werden sollen.
Peter Huntsman war als CEO der fusionierten Gesellschaft mit Hauptsitz in Basel vorgesehen, Clariant-CEO Hariolf Kottmann als Präsident. Um das zu verhindern, gründeten die drei Amis ein neues Investmentvehikel namens White Tale, ein virtuelles Gebilde, das Clariant-Aktien aufkaufte, um am grossen Rad zu drehen.
Es galt, Peter Huntsman als Huntsman-Clariant-CEO zu verhindern, zu möglichst geringen Kosten Zugriff auf den Clariant-Konzern zu bekommen und den Deal teilweise durch Cash-Bestände der Basler finanzieren zu lassen: eine verwegene «Heuschrecken»-Attacke, aber nicht unmöglich.
Mit knapp 2 Milliarden sind sie im Geschäft
Der Plan geht so: Um die Fusion und damit Huntsman als CEO zu verhindern, benötigten die White-Tale-Aktivisten rund ein Fünftel der Clariant-Aktien. Kostenpunkt: rund 1,7 Milliarden Franken. Mit diesem Aktienpaket wäre eine für die Fusion notwendige Kapitalerhöhung an der Clariant-Generalversammlung zu verhindern gewesen.
In einem zweiten Schritt liesse sich die milliardenschwere und schon jetzt rechtlich verselbständigte Clariant-Sparte Plastics & Coatings verkaufen und der Erlös via Sonderdividende an die Aktionäre ausschütten. Der Rest der Clariant-Geschäfte wäre ebenfalls veräussert worden.
Interessenten gibt es in der sich konsolidierenden Branche der Spezialchemie genug und gerade in den USA stehen etliche Mitbewerber unter Druck. Die Cytec etwa, ein Zwei-Milliarden-Dollar-Wettbewerber aus New Jersey, hat sich 2015 auf diesem Wege selber atomisiert.
Die Chance, dass Clariant mit White Tale im Nacken nun dasselbe Schicksal droht, ist nicht länger nur theoretisch. Der White-Tale-Plan ist inzwischen weitgehend umgesetzt, die Aktivisten fordern nun den Verkauf besagter Sparte und drei Sitze im Verwaltungsrat, womit sie die zukünftige Strategie prägen könnten.
Gestern wurde bekannt, dass die US-Firmenkäufer CVC die Division Plastics & Coatings aufkaufen wollen. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete, dass auch für den Rest des Konzerns bereits Käufer bereitstehen. Die Clariant hätte sich auf diesem Wege innert weniger Wochen aufgelöst, und die Saat der Heuschrecken von White Tale wäre aufgegangen: Sie hätten grosse Kasse gemacht.
Kommentar von René Lüchinger, Chefpublizist der Blick-Gruppe
Schöpferische Zerstörung» nannte der Ökonom Joseph Schumpeter jenen kreativen Prozess, durch den im Wirtschaftskreislauf alte Strukturen oder Firmen verschwinden, in neuen Gebilden aufgehen und damit die Entwicklung vorantreiben.
Die Basler Clariant ist so gesehen ein Beispiel für die Richtigkeit von Schumpeters Lehre. Entstanden im Schosse der 1886 gegründeten Sandoz, entwickelte sich die Firma nach Abspaltung und Börsengang im Jahr 1995 zu einer innovativen Firma für Spezialitätenchemie. Jetzt, da diese Branche wieder im Umbruch ist, sich die globalen Wettbewerber zu grösseren Einheiten zusammenschliessen, ist wieder eine schöpferische Zerstörung gefragt, um die nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen. Es ist möglich, dass die weltweit rund 17000 Mitarbeiter der Basler diese bald nicht mehr als Clariant-Angestellte erleben.
Umbruchphasen sind Hochzeiten für Firmenraider, und Clariant hat jetzt drei Wall-Street-gestählte Heuschrecken am Hals, die sich mit Milliarden in der Hand an Firmenwerte heranpirschen, welche in Basel über 150 Jahre aufgebaut worden sind. Ihre Absicht ist nicht die schöpferische Zerstörung, sondern die Mehrung ihres Mammons. Über ein Anlagevehikel in der Steueroase Cayman Islands kontrollieren die drei Investmentbanker bereits 20 Prozent der Clariant. Ihr Ziel dürfte sein, den Anteil bis gegen 30 Prozent zu erhöhen und damit faktisch die Kontrolle über den Konzern zu erlangen, ohne den Restaktionären ein Überangebot machen zu müssen. So kämen sie billig ans Ziel und könnten einen weiterführenden Plan finalisieren: die Firma zu filetieren und die Einzelteile zu verhökern. Wobei es vielleicht kein Zufall ist, dass die
Interessenten für die Clariant-Filetstücke bereits Schlange stehen. Klar ist: Die Angreifer haben noch nie eine unternehmerische Vision für Clariant formuliert. Sichtbar sind nur die Dollarzeichen in ihren Augen.
Kommentar von René Lüchinger, Chefpublizist der Blick-Gruppe
Schöpferische Zerstörung» nannte der Ökonom Joseph Schumpeter jenen kreativen Prozess, durch den im Wirtschaftskreislauf alte Strukturen oder Firmen verschwinden, in neuen Gebilden aufgehen und damit die Entwicklung vorantreiben.
Die Basler Clariant ist so gesehen ein Beispiel für die Richtigkeit von Schumpeters Lehre. Entstanden im Schosse der 1886 gegründeten Sandoz, entwickelte sich die Firma nach Abspaltung und Börsengang im Jahr 1995 zu einer innovativen Firma für Spezialitätenchemie. Jetzt, da diese Branche wieder im Umbruch ist, sich die globalen Wettbewerber zu grösseren Einheiten zusammenschliessen, ist wieder eine schöpferische Zerstörung gefragt, um die nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen. Es ist möglich, dass die weltweit rund 17000 Mitarbeiter der Basler diese bald nicht mehr als Clariant-Angestellte erleben.
Umbruchphasen sind Hochzeiten für Firmenraider, und Clariant hat jetzt drei Wall-Street-gestählte Heuschrecken am Hals, die sich mit Milliarden in der Hand an Firmenwerte heranpirschen, welche in Basel über 150 Jahre aufgebaut worden sind. Ihre Absicht ist nicht die schöpferische Zerstörung, sondern die Mehrung ihres Mammons. Über ein Anlagevehikel in der Steueroase Cayman Islands kontrollieren die drei Investmentbanker bereits 20 Prozent der Clariant. Ihr Ziel dürfte sein, den Anteil bis gegen 30 Prozent zu erhöhen und damit faktisch die Kontrolle über den Konzern zu erlangen, ohne den Restaktionären ein Überangebot machen zu müssen. So kämen sie billig ans Ziel und könnten einen weiterführenden Plan finalisieren: die Firma zu filetieren und die Einzelteile zu verhökern. Wobei es vielleicht kein Zufall ist, dass die
Interessenten für die Clariant-Filetstücke bereits Schlange stehen. Klar ist: Die Angreifer haben noch nie eine unternehmerische Vision für Clariant formuliert. Sichtbar sind nur die Dollarzeichen in ihren Augen.