Andermatt-Investor Samih Sawiris im Exklusiv-Interview
«Jeder junge Schweizer sollte für ein Jahr in die Dritte Welt»

«Andermatt kann nicht mehr scheitern», sagt Samih Sawiris. Der Investor ist ­deshalb entspannter denn je und sinniert im Interview über erfolgsverwöhnte Schweizer und hoffnungslose Ägypter.
Publiziert: 25.02.2018 um 11:53 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:00 Uhr
«Wir werden die besten Pisten haben»
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Sawiris im Interview 2018:«Wir werden die besten Pisten haben»
Christian Dorer, Thomas Schlittler

Der blaue Himmel umhüllt die schneeweissen Berggipfel, die in der Mittagssonne majestätisch um die Wette funkeln. Mit der neuen Gondelbahn gelangen wir vom Bahnhof An­dermatt zur Mittelstation am Nätschen. Das Familienrestaurant ist rappelvoll. In einer Ecke wurde ein Tisch freigehalten: für Samih Sawiris und das SonntagsBlick Magazin. Doch der ägyptische Investor will nicht drinnen essen. «Bei diesem Wetter müssen wir unbedingt draussen sitzen!», sagt er gut gelaunt in perfektem Hochdeutsch. Den Einwand seiner Assistentin, alle Plätze seien besetzt, lässt der 61-Jährige nicht gelten. «Dann nehmen wir halt die Stühle mit.» Sagts und durchquert mit einem Stuhl über dem Kopf das Restaurant. An der Sonne erklärt er sein Lebensmotto: «Never take no as an answer.» (Akzeptiere nie ein Nein als Antwort.)

Herr Sawiris, warum sind Sie so entspannt?
Samih Sawiris: Weil das Projekt Andermatt nicht mehr scheitern kann. Die grossen Risiken haben wir überwunden. Der Golfplatz steht. Zwei Hotels stehen. Wir bauen eine erstklassige Tonhalle. Das Skigebiet ist auf bestem Weg.

Sie investieren in neue Berg­bahnen, Anfang März wird ­Andermatt mit Sedrun verbunden. Warum tun Sie das?
Ohne diese Verbindung ist alles nur warme Luft. Mit ihr aber können wir etwas anbieten, das kein anderer hat. Wenn 2019 auch noch Disentis integriert wird, dann haben wir am meisten Pisten bei vergleichsweise wenigen Zimmer. Das bedeutet, dass jeder Gast x-mal mehr Pistenfläche zur Verfügung hat als an allen anderen Wintersportorten. Das ist viel wert. Nur so überzeugen wir die Schweizer, nach Andermatt zu kommen.

Wird das Skigebiet für sich ­alleine je rentieren?
Darauf habe ich nicht geachtet. Was zählt: Wir wollen qualitativ auf eine Stufe kommen mit Zermatt oder St. Moritz. Und um das zu erreichen, braucht es unter anderem ein erstklassiges Skigebiet.

Wo steht Andermatt heute im Vergleich zu Zermatt und St. Moritz?Unsere Behauptung, dass wir es in diese Kategorie schaffen, klingt zumindest nicht mehr absurd. Früher haben die Leute über uns gelacht. Heute sagen sie nur noch: Ihr seid noch nicht so weit.

Plötzlich tritt eine ältere Frau an unseren Tisch. «Entschuldigen Sie, grüezi, nur schnell», sagt sie und greift nach Sawiris’ Händen. Er reagiert gelassen: «Sie haben aber warm!» – «Immer, auch wenn es kalt ist», erwidert die unerwartete Besucherin, die sich später als Ninon Fässler vorstellt, 83, aus Zürich, derzeit in den Skiferien. Sie hat etwas auf dem Herzen: «Dieser neue Weg hinunter zur Unterführung ist eine Katastrophe. Viel zu steil!» Sawiris weiss nicht auf Anhieb, wovon Frau Fässler spricht. Er steht auf, damit sie es ihm zeigen kann. Mehrere Minuten hört er aufmerksam zu. Seine Assistentin macht fleissig Notizen.

Werden Sie oft angesprochen?
Ja. Und es ist unglaublich lehrreich. Es sind zwar nur kleine Tipps, aber im besten Falle rettest du mit einem Gespräch Hunderttausende Franken. Es ist doch traurig, wenn man für viel Geld eine Unterführung baut und sich die Leute dann ärgern. Diese nette Frau sieht Dinge, die alle Ingenieure und Experten übersehen haben. Vielleicht lässt sich mit kleinen Anpassungen eine grosse Verbesserung erreichen.

Passen Sie jetzt wirklich etwas an?
Ja, klar! Haben Sie das Gefühl, das war alles nur Show? Das ist eine Beleidigung!

Sie können doch unmöglich auf jeden Tipp eingehen.
Natürlich sind manche Tipps sinnlos. Dann verliere ich drei, vier Minuten und mache der Person eine Freude. Oft profitiere ich aber auch.

Von Zürich und aus dem Aargau fahren neu Skibusse nach ­Andermatt. War das Ihre Idee?
Nein. Ich habe sehr wenige Ideen. Aber ich höre den Leuten gut zu und setze vielversprechende Ideen sofort um. Die meisten Geschäfte, die ich in meinem Leben gemacht habe, waren nicht meine Ideen.

Ist Andermatt Ihr letztes grosses Projekt oder haben Sie noch ­weitere verrückte Pläne?
Andermatt ist keine Herausforderung mehr, es ist ja alles aufgegleist. Ich habe mir bereits ein neues Ziel gesetzt: Mit 65 will ich ein Klavierkonzert geben – mit Orchester in einer grossen Halle. Mir bleiben noch vier Jahr zum Üben. Seit zwei Jahren nehme ich Unterricht, vier bis fünf Stunden täglich.

Vier bis fünf Stunden täglich? Macht das Spass?
Es ist anstrengend. Aber die Herausforderung, in meinem Alter so etwas zu beginnen, gibt mir eine doppelte Befriedigung. Ich habe mir zu Beginn von Profis versichern lassen, dass es möglich ist, das in meinem Alter hinzubekommen.

Und Sie haben bei null ­begonnen?
Ja. Ich musste sogar lernen, Noten zu lesen. Allerdings habe ich schon immer klassische Musik geliebt. Während meines Studiums in Berlin wohnte ich neben der Philharmonie. Damals war Herbert von Karajan Chef der Berliner Philharmoniker, die Nummer eins der Welt. Es gibt wohl keinen, der ihn mehr gesehen hat als ich. Ich habe immer eine Karte gekriegt, obwohl die Konzerte bereits zwei Jahre im Voraus ausverkauft waren. Ich stellte mich mit einem Plakat vor das Gebäude: «Haben Sie eine Karte für mich?» Einmal hat mich eine Witwe eingeladen, deren Mann erst kürzlich verstorben war. Schliesslich sass ich auf einem der besten Plätze überhaupt.

Wo kann man Karten kaufen für das Konzert von Samih Sawiris?
Je nachdem, wie gut ich bis dann bin, wird sich entscheiden, wo das Konzert stattfindet. Wenn ich gut bin, mache ich es im KKL Luzern. Wenn ich nicht gut bin, mache ich es in der neuen Tonhalle in Andermatt. Wenn ich schlecht bin, im Opernhaus in Kairo. Und wenn ich katastrophal bin in El Gouna, meinem Ferienort am Roten Meer.

Das wäre gefährlich fürs ­Geschäft.
Nein, dort wird es keiner wagen, «buuuhhh!» zu rufen. Da bin ich geschützt vor einer Blamage. (lacht)

Die Kellnerin bringt das Essen, das Lachen weicht für einen Moment aus Sawiris’ Gesicht: «Natürlich hat mir wieder mal niemand zuge­hört …» Er hat einen riesigen Berg Pommes frites auf seinem Teller und nicht wie gewünscht eine halbe Portion. Dafür ist das Schnitzel nur halb so gross wie normal. Im Service ist ein Fehler passiert, und das ausgerechnet bei dem Mann, dem hier alles gehört. Der Kellnerin ist das Ganze sichtbar peinlich: «Sollen wir es nochmals machen?» – «Nein, nein», sagt Sawiris, «da haben wir uns offensichtlich falsch verstanden.» Die junge Frau entschuldigt sich.

Wie gut verstehen Sie die Schweiz?
Ich respektiere mehr und mehr, dass es wenig Führung gibt. Die Macht liegt beim Volk, alle machen mit, aber niemand geht voran und führt. Am Anfang habe ich dieses Schweizer Modell als Schwäche empfunden. Ich selbst wäre nie darauf gekommen, und es wäre auch nicht mein Stil. Aber mit den Jahren habe ich gemerkt, dass dieses Modell sehr gut funktioniert.

Was ist die grösste Stärke der Schweizer?
Eure Vorsicht. Und dass ihr mit eurem Erfolg nicht prahlt. Im Gegenteil: Jeder versteckt gerne, was er hat. Diese Bescheidenheit ist eine Stärke.

Und was ist unsere Schwäche?
Ihr Schweizer unterschätzt, was ihr habt. Alles ist zu selbstverständlich geworden. Vor allem bei der jüngeren Generation. Das ist gefährlich. Nimm nie etwas für selbstverständlich! Nicht die Leute um dich herum, nicht deinen Status, nicht was du hast. Hast du dieses Bewusstsein, ist die Chance geringer, dass du alles verlierst.

Woran erkennen Sie, dass dieses Bewusstsein fehlt?
Dass alle eine Krankenkasse haben – selbstverständlich! Dass die Spitäler funktionieren – selbstverständlich! Dass alle Strassen tipptopp sind – selbstverständlich! Dass niemand hungert – selbstverständlich! Wenn etwas schiefgeht, werden die Schweizer am wenigsten darauf vorbereitet sein. Aber in dieser Welt anzunehmen, dass es immer so gut sein wird wie heute, ist gefährlich.

Sie stammen aus einer sehr ­reichen Familie. Wie stellen Sie sicher, dass Sie nicht alles für selbstverständlich nehmen?
Ich werde jede Sekunde daran erinnert, was für ein Privileg ich habe. Immer wenn ich in Ägypten die Haustüre öffne und auf die Strasse blicke, sehe ich, dass es mir besser geht als den meisten. Und ich weiss, dass ich dankbar sein und auch geben muss.

Ihre privilegierte Situation ist ­Ihnen wirklich bewusst?
Ja. Auch ich hatte natürlich Prob­leme. Prägend war für mich die ­Luxor-Katastrophe 1998. Durch diese Krise war mein Unternehmen plötzlich mit minus 25 Millionen Dollar bewertet. Davon habe ich eine grosse Narbe davongetragen. Seither habe ich nie mehr etwas für selbstverständlich genommen. Und ich bin danach auch nie mehr so viele Risiken eingegangen. Im Nachhinein hat sich diese Lektion als lebensrettend erwiesen: Ohne diese Portion Vorsicht hätte ich die Finanzkrise gepaart mit dem Arabischen Frühling finanziell nicht überlebt.

Was muss geschehen, damit sich die Schweizer stärker bewusst werden, was sie haben?
Anstatt ins Militär sollten zum Beispiel alle jungen Schweizer für ein Jahr irgendwo in die Dritte Welt gehen. Fast egal, was sie dort tun. Sie könnten in einem ägyptischen Krankenhaus oder in Indien im Strassenbau arbeiten. Ein Jahr Dienst in einem solchen Land – und jeder Schweizer würde nie mehr etwas für selbstverständlich nehmen. Wäre der Eisenbahnverkehr in der Schweiz zum Beispiel nur einen Tag lang so chaotisch, wie er in Ägypten immer ist, dann würdet ihr Medien über nichts anderes mehr berichten. Im Fernsehen gäbe es unzählige Diskussionsrunden – und Andreas Meyer müsste sofort zurücktreten (lacht).

Die andere Frage lautet: Wieso geht es in Ägypten und vielen anderen armen Ländern nicht vorwärts?
Die Menschen, die am Nil lebten, haben sich anders entwickelt als die Menschen hier in Europa. Wenn sich die Menschen hier nicht genügend auf den Winter vor­bereitet haben, also genügend Holz gesammelt und Vorräte angelegt haben, dann sind sie gestorben. Es überlebten nur jene, die planen und arbeiten konnten. Am Nil dagegen konnte man selbst als dicker Faulpelz überleben. Einmal im Jahr kam die Flut, jeder konnte genug ernten für das ganze Jahr. Das hat bis heute Spuren hinter­lassen.

Sie sind nicht sehr optimistisch für Ägypten?
Wenn man die Geschichte Ägyptens kennt, kann man nicht optimistisch sein. Das ägyptische Volk hat schon immer miserabel gelebt. 6000 Jahre lang. Selbst während der Hochkultur der Pharaonen hat das Volk nichts bekommen.

Was tun Sie für das ägyptische Volk?
Wir versuchen mit unserer Familienstiftung, einzelne Ägypter und Ägypterinnen weiterzubringen. Mit dem Land als Ganzes ist das aber sehr schwierig. Denn in dem Moment, in dem man versucht, das Land zu verändern, gilt man als Feind des Regimes. Dann wird man verfolgt, und die bedürftigen Ägypter, die heute von unserer Stiftung profitieren, hätten gar nichts mehr. Unsere Stiftung unterstützt ausschliesslich Projekte in der Dritten Welt. Zudem bezahlen wir intelligenten, jungen Ägyptern Stipendien für die besten Universitäten der Welt – unter der Voraussetzung, dass sie danach nach Ägypten zurückkehren. Aber was sind wir im Vergleich zum Staat, der sein Geld konsequent falsch ausgibt? Statt Schulen zu bauen, kauft er Flugzeugträger.

Wo er herkommt, was er plant

Samih Sawiris (61) stammt aus einer reichen ägyptischen ­Familie, die der christlichen ­Minderheit der Kopten angehört. Er ging in Kairo in eine deutsche Schule und studierte später an der Technischen Universität in Berlin. Die Familie Sawiris besitzt die Unternehmensgruppe Orascom, die in der Telekom­munikation, dem Bauwesen ­sowie der Hotellerie tätig ist. Der ­Konzern wird von drei Brüdern geführt, jeder hat seinen eigenen Geschäftsbereich. Sawiris ver­antwortet die Tourimus-Sparte. 1989 legte er den Grundstein für die ägyptische Lagunenstadt El Gouna am Roten Meer. 2009 fand der Spatenstich statt für das Tourismusprojekt ­Andermatt Swiss Alps. Sawiris will in Andermatt ein Ferienzentrum bauen mit mehreren Hotels, Ferienwohnungen, einem Golfplatz und einem grossen ­Skigebiet. Vor wenigen Wochen wurden zwei neue Bergbahnen eingeweiht. Im März soll ein ­weiterer Sessellift in Betrieb ­genommen werden, der Andermatt mit Sedrun verbindet.

Samih Sawiris (61) stammt aus einer reichen ägyptischen ­Familie, die der christlichen ­Minderheit der Kopten angehört. Er ging in Kairo in eine deutsche Schule und studierte später an der Technischen Universität in Berlin. Die Familie Sawiris besitzt die Unternehmensgruppe Orascom, die in der Telekom­munikation, dem Bauwesen ­sowie der Hotellerie tätig ist. Der ­Konzern wird von drei Brüdern geführt, jeder hat seinen eigenen Geschäftsbereich. Sawiris ver­antwortet die Tourimus-Sparte. 1989 legte er den Grundstein für die ägyptische Lagunenstadt El Gouna am Roten Meer. 2009 fand der Spatenstich statt für das Tourismusprojekt ­Andermatt Swiss Alps. Sawiris will in Andermatt ein Ferienzentrum bauen mit mehreren Hotels, Ferienwohnungen, einem Golfplatz und einem grossen ­Skigebiet. Vor wenigen Wochen wurden zwei neue Bergbahnen eingeweiht. Im März soll ein ­weiterer Sessellift in Betrieb ­genommen werden, der Andermatt mit Sedrun verbindet.

Was hat der Arabische Frühling gebracht?
Leider muss ich heute sagen: eine dicke Null! Einzig unsere nationalen Währungsreserven wurden vernichtet. Und die neue Militärregierung ist on-the-job am Lernen. Das ist ein weiterer Grund, wieso ich nicht mehr an eine Veränderung glaube: Seit 6000 Jahren hatte Ägypten immer einen General an der Spitze. Dies prägt die Leute, und das ändert sich nicht von heute auf morgen. Schaut euch Europa an: Da hat es nach der Französischen Revolution mehr als hundert Jahre gedauert, bis sich die Demokratie durchsetzte. Und ihr erwartet jetzt, dass es in Ägypten, wo wir 6000 Jahre lang eine Diktatur hatten, innert ein paar Monaten die grosse Demokratie gibt?

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