Auf einen Blick
Neue Medikamente sind ein hartes Pflaster, die Entwicklung dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte und verschlingt inzwischen 2 bis 3 Milliarden Dollar. Doch manchmal gelingen medizinische Fortschritte auch fast schon beiläufig. Ein Beispiel dafür ist Xolair. Das Asthmamedikament von Roche ist seit 2024 in den USA auch gegen Nahrungsmittelallergien zugelassen.
Allergien gegen Erdnüsse, aber auch gegen Eier, Milch, Shrimps, Weizen und vieles andere sind ein gewaltiges gesundheitliches Problem in den USA, das sich zudem zunehmend verschärft. 17 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner, darunter viele Kinder und Jugendliche, leiden darunter, leben oft voller Angst vor dem nächsten allergischen Anfall.
Nicht viele Therapie-Ansätze
30’000 Food-Allergiker landen jedes Jahr in der Notaufnahme. Zu den Symptomen gehören Atembeschwerden, Kreislaufprobleme, aber auch Juckreiz, Ekzeme, Übelkeit und Durchfall. Besonders gefürchtet ist der anaphylaktische Schock, bei dem es zu einem starken Abfall des Blutdrucks, starkem Schwindel und Bewusstlosigkeit kommt. Er ist potenziell lebensgefährlich.
Das therapeutische Arsenal zur Behandlung von Nahrungsmittelallergien ist beschränkt. Bei allergischen Reaktionen kommen Antihistaminika zum Einsatz – sie lindern die Symptome – oder Adrenalin, um den Kreislauf zu stabilisieren. Präventiv gibt es Desensibilisierungstherapien, die darauf basieren, dass das Immunsystem darin trainiert wird, die Allergene besser zu tolerieren. Das geschieht, indem den Patienten und Patientinnen die Allergene, also etwa Erdnüsse, in Pulverform verabreicht werden, wobei man mit minimsten Mengen beginnt und die Dosis langsam steigert.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Vermeiden, vermeiden – doch das ist gar nicht so einfach
Ansonsten aber gilt für Allergikerinnen noch immer vor allem eines: Allergene vermeiden. Doch das sei gar nicht so einfach, sagt Larry Tsai. Er ist bei der amerikanischen Roche-Tochter Genentech für die Entwicklung von Medikamenten gegen Atemwegserkrankungen, Allergien und Infektionskrankheiten zuständig und weiss als Allergiker und Vater einer Tochter, die unter Nahrungsmittelallergien leidet, bestens, mit welchen Einschränkungen Nahrungsmittelallergiker leben. Gerade bei sehr aggressiven Allergenen wie Erdnüssen reicht oft ein Hauch, um die betroffene Person in Gefahr zu bringen – etwa das Pausenbrot eines Klassenkameraden.
Die neue Therapie von Roche setzt deshalb tiefer an, und zwar bei der Überreaktion des Immunsystems, unter der Allergiker leiden. Sie bindet die Immunglobuline – das sind Proteine, die bei einer allergischen Reaktion im Übermass freigesetzt werden. Es handelt sich dabei um einen monoklonalen Antikörper, die Wirkstoffklasse, mit der Genentech und Roche die Medizin neu aufrollten. Dass Xolair die Immunglobuline bindet und damit die allergische Reaktion mindert, ist ein Meilenstein bei der Behandlung von Nahrungsmittelallergien.
Halb so viele allergische Reaktionen
Die Benefits von Xolair sind beachtlich. In einer klinischen Studie, bei der das Medikament den Immuntherapien gegenübergestellt wurde, konnten 36 Prozent der Patientinnen und Patienten 2000 Milligramm Erdnussproteine essen, ohne eine allergische Reaktion zu erleiden. Das entspricht rund acht Erdnüsschen. Bei der Vergleichsgruppe, bei der das Immunsystem darin trainiert wurde, die Allergene besser zu tolerieren, waren es 19 Prozent. Später wurde ein Teil der Patienten und Patientinnen einem Test mit Erdnüssen und zwei Allergenen unterzogen, wie Milch, Ei, Weizen, Cashew, Haselnuss oder Walnuss, ebenfalls mit positiven Ergebnissen.
Auch bei den Nebenwirkungen sieht es gut aus. Bei den Patientinnen und Patienten, die mit den Immuntherapien behandelt wurden, litt fast ein Drittel unter schweren Nebenwirkungen, 22 Prozent von ihnen mussten die Behandlung sogar abbrechen. Bei Xolair lag die Rate bei null.
Der medizinische Nutzen von Xolair im Kampf gegen Nahrungsmittelallergien ist offensichtlich. Wie es kommerziell aussieht, wird sich zeigen. Das Produkt sei in den USA stark gestartet, sagt Larry Tsai. Genau beziffern lässt sich das nicht. Roche schlüsselt die Umsätze von Xolair nicht nach Asthma und Nahrungsmittelallergien auf. Klar ist: Die Verkäufe von Xolair in den USA stiegen zwischen 2023 und 2024 von 2,2 auf 2,5 Milliarden Franken. Das Produkt rangiert damit unter den Top-zehn-Kassenschlagern von Roche. Wie sich die Umsätze entwickeln, wenn dieses Jahr die Patente ablaufen und die ersten Biosimiliars für Xolair auf den Markt kommen werden, wird sich zeigen.
Was Europa angeht, so liegen die Rechte für die Kommerzialisierung von Xolair bei Novartis. Ob auch die Nahrungsmittelallergiker auf dem alten Kontinent und insbesondere auch in der Schweiz vom medizinischen Fortschritt in den USA profitieren werden, ist allerdings fraglich. Es gebe aktuell keine Pläne für Xolair ausserhalb der USA, schreibt die Pressestelle auf Anfrage.