Es wird still am andern Ende der Leitung. Schliesslich überwindet sich Martin Bäumle doch noch zu einer Antwort: «Ich kann das aktuell weder bestätigen noch dementieren.» Bäumle, seit knapp 16 Jahren Nationalrat, ist Politiker genug, um sich in heiklen Situationen nicht auf die Äste hinaus zu lassen. Als Gründer und ehemaliger Präsident der Grünliberalen hat er einige Stürme überstanden. In seinem vermutlich heftigsten steckt er jedoch immer noch mittendrin: in demjenigen bei Green Cross.
Die Umweltorganisation, die sich für Abrüstung von atomaren und chemischen Waffen, für die Opfer von nuklearer Verseuchung und für sauberes Trinkwasser einsetzt, durchlebt gerade eine massive Krise. Und Martin Bäumle muss gleich an zwei Orten Nothelfer spielen: In Genf, bei der Dachorganisation Green Cross International (GCI), und in Zürich bei Green Cross Schweiz (GC CH). Beide haben existenzbedrohende finanzielle Probleme, und bei beiden ist Bäumle in der Verantwortung. Heikle Interna, die Journalisten zugespielt werden, kommen ihm deshalb gerade sehr ungelegen.
Naive Sorglosigkeit
Bäumle ist seit Februar 2017 Interimspräsident von Green Cross International. Damals traten der damalige Präsident, sein Vize und Green-Cross-Gründer Michail Gorbatschow nach einem Streit über die Beiträge der Schweizer Sektion zurück. Bäumle übernahm und versprach, das Amt spätestens im Herbst 2017 wieder abzugeben – was er bis heute nicht getan hat.
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.
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Hintergrund des Eklats war die desolate finanzielle Situation von Green Cross International. Unterlagen, die dem «Beobachter» vorliegen, zeichnen ein Bild von geradezu naiver Sorglosigkeit. Man residierte in grosszügigen Büros an bester Lage in Genf, koordinierte von dort aus internationale Hilfsprogramme, organisierte grosszügig Tagungen und Ausstellungen und nahm an Konferenzen teil. Das hatte seinen Preis: Zwischen 2009 und 2016 schrieb GCI Jahr für Jahr höhere Verluste. Bis 2014 deckte der polnische GCI-Präsident und Milliardär Jan Kulczyk die Defizite mit rund einer Million Franken pro Jahr.
Es war eine Win-win-Situation, die Green Cross aber nicht an die grosse Glocke hängte. Kulczyk investierte mit seinem Unternehmen in alle möglichen Projekte in den Bereichen Verkehr, Immobilien und Energie und konnte ein grünes Mäntelchen durchaus gebrauchen. Seine Pläne für ein riesiges Kohlekraftwerk in Pommern wurden zwar letztlich nicht realisiert, sorgten aber bei Green Cross International für einige Kontroversen. Kohlekraftwerke gehören zu den Klimakillern schlechthin.
Viel Geld von Green Cross Schweiz
Im Juli 2015 starb Kulczyk überraschend, und seine Tochter war als Erbin nicht mehr bereit, die Umweltorganisation weiter zu unterstützen. Damit fehlte bei GCI plötzlich rund ein Drittel des Jahresetats. Aber nicht nur das: Zahlreiche Ländervertretungen von Green Cross blieben ihre obligatorischen Mitgliederbeiträge ebenfalls schuldig. Schon 2014 hatte man deshalb am Hauptsitz in Genf Personal entlassen und versucht, die Kosten zu reduzieren.
Nach Kulczyks Tod brach bei GCI jedoch endgültig die Krise aus. Das Budget 2016/17 sah noch immer Ausgaben von rund 1.5 Millionen Franken vor, davon rund zwei Drittel administrative und Personalkosten. Eine Million hoffte man immer noch, über Kulczyks Erben einnehmen zu können. Den Rest sollten grösstenteils die Länderorganisationen beitragen, sprich: vor allem Green Cross Schweiz. Von dort kamen Jahr für Jahr sechsstellige Beträge, während die Vertretungen in anderen Ländern ein paar tausend Dollar überwiesen – oder gar nichts.
Rechnung stimmt nicht
In Zürich jedoch stieg man auf die Barrikaden und weigerte sich erst einmal, fällige Raten zu überweisen. Damit drohte dem internationalen Dachverband der Konkurs. Organisationskapital und flüssige Mittel lagen unter Null, theoretisch hätte GCI in Genf die Bilanz deponieren müssen. Warum dies nicht geschah, will Bäumle heute nicht sagen: «Wir sind jedenfalls noch da.»
Tatsache ist: Green Cross Schweiz überwies 2017 rund 308 000 Franken nach Genf, laut interner Zusammenstellung einer der höchsten Beträge seit Bestehen der Umweltorganisation. Dass die Schweizer Sektion so mit Beiträgen von Schweizer Mitgliedern faktisch den internationalen Dachverband gerettet haben dürfte, der jahrelang massiv über seinen Verhältnissen lebte, erfuhren die Schweizer Spender nicht.
Green Cross Schweiz konnte sich diese Grosszügigkeit scheinbar leisten. 2017 erhielt die Stiftung Spenden in der Höhe von rund 14.4 Millionen und wies ein Organisationskapital von fünf Millionen und flüssige Mittel von knapp einer Million Franken auf. So jedenfalls steht es in der Jahresrechnung 2017, die auf der Website von Green Cross Schweiz aufgeschaltet ist.
Dokumente, die dem Beobachter vorliegen, zeigen jedoch: Diese Rechnung stimmt nicht.
«Kreative Buchhaltung»
Ende August 2018 trennt sich Green Cross Schweiz Knall auf Fall von der langjährigen Geschäftsführerin – «im gegenseitigen Einvernehmen», wie es in einem Communiqué heisst. Über die Gründe dringt nichts an die Öffentlichkeit. Am 6. September schreibt Martin Bäumle ein Mail an die übrigen Mitglieder von Green Cross International. Betreff: «Absolutely confidential information – situation GC Switzerland», und weiter: «Wir wollen jegliche negative Exponierung verhindern, insbesondere in den Medien, da dies zu einer Abnahme von Spenden und Gönnerbeiträgen führen würde.» Es ist Feuer im Dach bei Green Cross Schweiz – und die Mitglieder und Gönner sollen es keinesfalls erfahren.
Bäumles Mail liegt dem Beobachter vor, und Insider bestätigen dessen Echtheit, ebenso diejenige eines weiteren Mails von Anfang Oktober 2018. In diesem spricht der Nationalrat, der unterdessen neben dem interimistischen Präsidium von Green Cross International, dem Präsidium von Green Cross Schweiz auch die interimistische Geschäftsführung der Schweizer Sektion übernommen hat, von einer «kreativen Buchhaltung» der abgesetzten Geschäftsführerin, die für den Beobachter für eine Stellungnahme nicht erreichbar war.
Dramatische finanzielle Situation
Vor allem aber zeigt Bäumles Mail auf, wie dramatisch die finanzielle Situation von Green Cross Schweiz ist: «Das Organisationskapital war Ende 2017 negativ statt der rapportierten fünf Millionen, und Green Cross Schweiz war nicht mehr in der Lage, seine kurzfristigen Verbindlichkeiten zu decken.» Es ist diese Information, die Bäumle gegenüber dem Beobachter «aktuell weder bestätigen noch dementieren» will.
Bei der Funkstille gegenüber der Öffentlichkeit soll es nach dem Willen von Bäumle auch bleiben, bis in ein paar Wochen die Jahresrechnung 2018 vorliegt. Auf der Website von Green Cross Schweiz jedenfalls finden sich seit dem letzten Herbst keinerlei neue Informationen mehr, weder zu Aktivitäten noch zur finanziellen Lage der Umweltorganisation. Den Spendern hingegen wird Courant normal vorgegaukelt: Green Cross Schweiz verschickt nach wie vor Einzahlungsscheine mit Spendenaufrufen: «Es wäre schön, wenn wir unseren Kontakt im Jahr 2019 erneuern dürften.»