Man nennt es «afrikanische Massage»: Bei der Fahrt über ungeteerte Rumpelpisten werden die Passagiere im Offroader umhergeschleudert wie Mais in einer Popcorn-Maschine.
Im Dorf Kirogo – zwei Autostunden jenseits von Kenias Hauptstadt Nairobi – ist die Massage beendet. Und wir erfahren, dass es Wichtigeres
gibt als gepolsterte Autositze: Eunice Monjiro Moi (42) klärt die Landbevölkerung über Gesundheitsfragen auf, es ist eine Art privat finanzierte Volkshochschule.
«Wir glauben einfach, was der Arzt sagt»
Im Dorf ist Gesundheit Frauensache. Einer der wenigen Männer, die zuhören, ist Malu Murage (62). Ihm gehört das Land, auf dem die Holzhütten stehen. Der Bauer klagt: «Wir glauben einfach, was der Arzt sagt. Doch am Ende des Tages fühlen wir uns nicht wirklich gesund.»
Gut möglich, dass dies mit einer gefährlichen Ware zusammenhängt, von der Afrika geradezu überschwemmt wird: gefälschte Medikamente. Ein druckfrischer Bericht der Weltgesundheitsorganisation hält fest: 42 Prozent aller Medikamentenfälschungen tauchen in Afrika auf – doppelt so viele wie in Europa. Bei den Fake-Pillen handelt es sich nicht immer um Placebos ohne Wirkstoff. Aber meistens sind sie falsch dosiert oder undicht verpackt.
«Schlecht abgestimmte Medikamente und falsche Dosierungen»
«Schlecht abgestimmte Medikamente und falsche Dosierungen sind das Schlimmste. Wenn die Keime nicht getötet werden, sondern ein langsames Wachstum zugelassen wird, ist das absolut fatal», sagt Andreas Widmer (61), Leiter der Abteilung Spitalhygiene am Unispital Basel. Die Erreger werden resistent. In Kenia ist man sich des Problems bewusst. «Wenn Sie ein gefälschtes Diabetes-Medikament nehmen, dann ist das zwar schlimm für die betroffene Person, weil es nicht wirkt.
Andere sind aber nicht gefährdet», sagt Nathan Mulure (46). «Bei Antibiotika ist das etwas anderes. Die Bakterien werden resistent und verbreiten sich sehr schnell. Die ganze Welt ist gefährdet.» Mulure ist Chef der Region Südostafrika bei Novartis Social Business, die armen Ländern den Zugang zu bezahlbarer Gesundheitsversorgung ermöglichen will.
«Sobald wir einen Verdacht haben, gehen wir dem nach»
In Nairobi beschäftigt die Abteilung des Basler Pharmamultis einen Spezialisten mit der Untersuchung gefälschter und minderwertiger Produkte. «Sobald wir einen Verdacht haben, gehen wir dem nach.» Auch staatliche oder andere private Testeinrichtungen untersuchten Arzneimittel. «Das Problem ist, dass nur die guten Medikamente an Labors geschickt werden», so Mulure zu SonntagsBlick. Um alle Präparate auf dem Markt unters Mikroskop zu nehmen, fehlte ihnen die Kapazität.
Für die Tests zuständig ist das kenianische Nationale Qualitätskontroll-Labor. Mehrere Mitarbeiter bekamen ihre Ausbildung bei Novartis in Basel. Die Laborgeräte stammen aus deutschen und US-amerikanischen Spenden. Ausser schwachen finanziellen Ressourcen kennt Labor-Chef Hezekiah Chepkwony noch ein weiteres Problem: Korruption. «Die Leute, die mit gefälschten Medikamenten Geschäfte machen, haben sehr gute Beziehungen zu den wichtigen Personen.»
«Mafiöse Machenschaften»
Der Basler Medizinprofessor Andreas Widmer spricht ebenfalls von «mafiösen Machenschaften» im Zusammenhang mit Medikamentenfälschungen. Ursprungsländer sind meist China, Indien, Pakistan oder Bangladesch. Auf der chinesischen Internetplattform Alibaba gibt es Antibiotika schon ab 70 Dollar für 25 Kilo. Um die Auswirkungen auf Afrika abzuschätzen, gibt es zu wenige Daten. Widmer: «In Tansania deuten eigene Untersuchungen darauf hin, dass multiresistente Erreger sehr häufig sind.» Am dramatischsten sei die Situation in Indien. «Eine neue Studie aus der Schweiz zeigt: 80 Prozent der Touristen, die nach Indien reisen, kommen mit multiresistenten Keimen zurück.»
Die Schweiz überwache das Geschehen gut. In Italien oder Spanien aber, so Widmer, seien die Resistenzraten «teils dramatisch» hoch. Der Basler Professor lässt keinen Zweifel: «Resistenzen sind eine tickende Zeitbombe.»
US-Forscher rechnen bis 2050 mit jährlich mehr als zehn Millionen Toten wegen Krankheitserregern, die gegen herkömmliche Medikamente resistent sind (Grafik)!
Umgerechnet auf Afrika würde das bedeuten, dass dort in etwas mehr als 30 Jahren über vier Millionen Todesopfer zu beklagen sein werden – mehr als die kenianische Hauptstadt Nairobi Einwohner hat.