Adecco-Schweiz-Chefin Nicole Burth Tschudi (44)
«Vor einem Jahr war die Schweiz attraktiver»

Im Interview sagt Adecco-Schweiz-Chefin Nicole Burth Tschudi (44), was sie vom Phänomen des Rückgangs der Zuwanderung hält, ob die Schweiz für Fachkräfte nicht mehr attraktiv ist und was sie den Arbeitnehmern ratet.
Publiziert: 14.04.2016 um 23:24 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:54 Uhr
Nicole Burth (44), CEO Adecco-Schweiz, ist besorgt um den Schweizer Arbeitsmarkt.
Foto: Joseph Khakshouri
Interview: Ulrich Rotzinger

BLICK: Frau Burth, neue Zahlen des Bundes zeigen, dass die Zuwanderung im ersten Quartal um 30 Prozent einbrach. Überrascht Sie das?

Nicole Burth: Ich höre diese Zahlen jetzt zum ersten Mal. Es ist gefährlich, kurzfristige Daten mit einem langfristigen Trend zu verbinden.

Wieso ist das gefährlich?

Der Rückgang der Zuwanderung könnte nur ein vorübergehendes Phänomen sein, weil die exportierende Industrie noch immer nicht wieder Tritt gefasst hat, in der Produktion noch keine anziehende Nachfrage nach Fachkräften da ist.

Warum glauben Sie, dass es sich um ein kurzfristiges Phänomen handelt?

Im ersten Quartal sind tatsächlich wieder vier Prozent mehr Stellen ausgeschrieben als im Vorjahr. Das zeigt unser Job Market Index, den wir quartalsweise mit der Uni Zürich herausgeben. Dieser zeigt an, dass der Abwärtstrend auf dem Schweizer Stellenmarkt endlich durchbrochen ist. Hält diese Entwicklung langfristig an, dürfte diese dann künftig zu einer Reduktion der Arbeitslosenquote beitragen.

Sie zögern aber?

Wir können derzeit nur hoffen, dass wir de Talsohle durchschritten haben. Wir dürfen nicht vergessen: Letztes Jahr hat die Nationalbank im ersten Quartal den Euro vom Schweizer Franken entkoppelt. Das war ein wahnsinniger Schock für die Schweizer Wirtschaft, der noch nicht ganz verdaut ist.

Ist die Schweiz für Fachkräfte nicht mehr attraktiv?

Nein! Die Schweiz ist im Ländervergleich gemäss einer Studie von Adecco immer noch am attraktivsten für gut ausgebildete Menschen, wenn auch nicht mehr so attraktiv wie vor einem Jahr. Dennoch könnte es ein Problem bei der Rekrutierung von Fachkräften geben.

Sie spielen auf die Politik an?

Ich hoffe auf eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Wir haben de facto heute schon viele Jobanfragen von Unternehmen, die allein mit Schweizer Personal nicht gedeckt werden können.

Führen Sie den Rückgang bei der Zuwanderung darauf zurück, dass der deutsche Arbeitsmarkt wieder attraktiver ist?

Wenn man bei sich in der Nähe einen guten Job finden kann, dann zieht man nicht gleich in die Schweiz. Wenn sie bei uns aber einen interessanteren Job als Fachkraft haben, kommen sie dennoch zu uns.

Ist es heute schwieriger, Leute aus dem Ausland zu rekrutieren?

Im Gegenteil, dank den sozialen Medien wie Facebook ist es viel leichter, an die Leute heranzukommen. Der Kontakt erfolgt immer mehr auch über Business-Netzwerke wie Linkedin. Heute bringen die wenigsten noch den CV persönlich vorbei.

Sie können einfacher rekrutieren, dennoch ist das Jobangebot derzeit nicht berauschend.

Das ist richtig. Die Ostschweiz, mit den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Graubünden ist gemäss den ausgeschriebenen Stellen in unserem Job Market Index immer noch die Region, die mit einem Rückgang des Stellenangebots von 17 Prozent am meisten leidet.

Warum darbt die Ostschweiz?

Viele exportierende Industrieunternehmen befinden sich in der Ostschweiz. Diese leiden immer noch unter dem Frankenschock. Auch im Handel und Verkauf in Grenznähe werden weniger Stellen ausgeschrieben. Das könnte am Einkaufstourismus liegen. Schweizweit zieht dagegen das Angebot für IT-Jobs und Stellen in der Finanzbranche stark an. Am deutlichsten zugenommen hat die Personalnachfrage im Bereich Unterricht und öffentliche Dienste.

Inwiefern drückt die Automatisierung auf den Werkplatz Schweiz?

Ein Grund für weniger Jobs in der Produktion ist sicher die zunehmende  Automatisierung in der Produktion. Und wir dürfen nicht vergessen: die Schweiz ist immer noch ein Hochlohnland, was auch zu Verlagerungen ins Ausland führt. Langfristig wird es hier einfach weniger Produktionsjobs geben. Aber wir sehen ein massives Wachstum bei Jobs im Dienstleistungsbereich voraus.

Inwiefern drückt die Automatisierung auf den Werkplatz Schweiz?

Ein Grund für weniger Jobs in der Produktion ist sicher die zunehmende Automatisierung in der Herstellung. Und wir dürfen nicht vergessen: die Schweiz ist immer noch ein Hochlohnland, was auch zu Verlagerungen ins Ausland führt. Langfristig wird es hier einfach weniger Produktionsjobs geben. Aber wir sehen ein massives Wachstum bei Jobs im Dienstleistungsbereich voraus.

Was raten Sie den Arbeitnehmern?

Bleiben Sie kompetitiv, bilden Sie sich kontinuierlich weiter. IT, Finanzberufe oder Lifescience bieten auch langfristig gute Arbeitsplatzchancen.

Was raten Sie Schulabsolventen?

Für junge Leute ist es wichtig, dass man bei den Firmen ankommt und einen Einstiegsjob findet. Wer es fünf Jahre nach dem Abschluss nicht schafft, den Fuss in eine Firma zu bekommen, ist fast nicht mehr integrierbar in den Arbeitsmarkt. Solche Einzelschicksale gibt es, sie sind brutal.

Sie geben jungen Talenten eine Chance, Sie in der Schweiz einen Monat lang zu begleiten.

Wir bieten mit dem Projekt CEO for One Month jungen Leuten Praktikumsstellen, um Erfahrungen zu sammeln. Derzeit läuft noch das Auswahlverfahren.

Wer es schafft, bekommt eine eine Vergütung von 5000 Franken. Was ist das gemessen an Ihrem Gehalt?

Das ist schon ein bisschen weniger als ich verdiene, aber dennoch nicht schlecht, oder? (lacht)

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