Achtung bei Notfall-Handwerkern
3700 Franken für eine kleine Reparatur

Eine Frau ruft einen Glas-Notfalldienst – und soll nun eine horrende Summe zahlen. Wie ihr ergeht es vielen.
Publiziert: 10.01.2024 um 17:29 Uhr
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Aktualisiert: 11.01.2024 um 09:04 Uhr
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Vorsicht bei der Auswahl des Handwerkers!
Foto: Lopolo/Shutterstock.com
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Raphael Brunner
Beobachter

Es war ein kalter Freitagabend im Januar 2023. Rahel Wagner konnte die Terrassentür ihres Hauses nicht mehr schliessen. Ihr zweijähriger Sohn hatte beim Spielen einen Malstift in die Türschiene gelegt, der die Tür blockierte. «Ich fühlte mich unwohl. Mein Mann war auf Geschäftsreise und ich mit den Kindern allein im Haus», erzählt die 40-Jährige.

Artikel aus dem «Beobachter»

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Sie googelte nach einem Glas-Notfalldienst im Raum Zürich und fand den 24-Stunden-Service der FTG Service + Fensterbau GmbH. «Die Site sah professionell aus», sagt Wagner. Am Telefon meldete sich ein freundlicher Mann. Weil es schon spät war, vereinbarten sie einen Termin am Samstagmorgen.

Nirgends Firmenlogos

Am nächsten Tag standen drei Männer vor der Tür. «Schon als ich sie heranfahren sah, hatte ich ein komisches Gefühl», sagt Wagner. Die Männer kamen in einem Privatauto ohne Firmenanschrift und trugen keine Handwerkerkleidung. Doch sie liess sie herein. «Schliesslich hatte ich sie gerufen.»

Die drei sprachen kaum Deutsch, konnten die Tür aber aus- und wieder einhängen. «Sie wirkten nicht professionell, waren aber nett, erzählten von ihren Kindern», sagt Wagner. Zum Schluss hielten sie ihr ein grünes Papier zum Unterschreiben hin, auf dem lediglich ihre Adresse stand. «Zur Bestätigung, dass wir am richtigen Ort waren», wie sie sagten. Wagner, froh, die Männer wieder aus dem Haus zu haben, und abgelenkt durch die Kinder, unterschrieb.

Ein paar Tage später kam die Rechnung: 3700 Franken für den rund 45-minütigen Einsatz. Wagners glaubten an ein Versehen und riefen bei der Handwerkerfirma an. «Da wurde der Geschäftsführer aggressiv und drohte uns mit dem Bauhandwerkerpfandrecht.» Dabei handelt es sich um ein Recht, das Handwerkern ein Pfandrecht auf ein Grundstück gibt, wenn sie für ihre Arbeit nicht bezahlt werden.

Plötzlich ein unterschriebener Auftrag

Das liessen sich Wagners nicht bieten. Auf Anraten des Beobachter-Beratungszentrums fragten sie beim Fachverband der Fenster- und Fassadenbranche nach, welcher Preis für einen solchen Auftrag angemessen sei. Rund 1000 Franken, lautete die Antwort. Wagners zahlten diesen Betrag an die FTG.

Doch die Firma liess nicht locker und erhöhte gar den Druck. Wagners erhielten ein Schreiben von einem Anwalt. Darin verwies er auf eine angeblich von Rahel Wagner unterschriebene Auftragsbestätigung inklusive Kostenvoranschlag in der Höhe von 3700 Franken. Dazu ein ebenfalls angeblich von ihr unterschriebenes Abnahmeprotokoll. Beide Formulare lagen dem Schreiben bei – und waren tatsächlich mit Rahel Wagners Unterschrift versehen.

Eine mutmassliche Fälschung, sagt sie. «Nie habe ich die beiden Formulare gesehen, geschweige denn unterschrieben.» Die Auftragsbestätigung ist zudem auf ein Datum fünf Tage vor dem Vorfall mit der Terrassentür ausgestellt. Die Firma habe ihre Unterschrift wohl von der «Adressbestätigung» auf die nachträglich gefertigten Formulare kopiert, vermutet Wagner.

Strafverfahren laufen

Die FTG liess auf das Grundstück der Wagners provisorisch ein Bauhandwerkerpfandrecht im Grundbuch eintragen. Dagegen muss die Familie sich nun gerichtlich wehren. Wagners ihrerseits haben die Firma angezeigt. Dabei erfuhren sie, dass gegen den Geschäftsführer der FTG bei der Staatsanwaltschaft Biel bereits ein Strafverfahren läuft. Die Kantonspolizei Bern bestätigt auf Anfrage, dass sie in diesem Zusammenhang wegen Wucher, Betrug und Urkundenfälschung ermittelt.

All diese Firmen führen zum gleichen Geschäftsführer:

  • Wyss Glas und Fensterbau
  • Swiss Glasbau
  • Helvetia Glas GmbH
  • Vitrerie Jura
  • Vitrerie Christ
  • Berner Glaserei und Fenster GmbH
  • FTG Service + Fensterbau GmbH
  • Glas-metall.ch
  • Glasnotdienst24.ch
  • Glas-experten.ch
  • Wintergarten-profis.ch
  • Glasexpress-zh.ch
  • Möglicherweise gibt es weitere Websites, die zur gleichen Firma führen.

Der Mann ist im Handelsregister als Geschäftsführer von über einem Dutzend Glas- und Fensterbaufirmen in der ganzen Nord- und Westschweiz eingetragen. Das SRF-Magazin «Espresso» hat vor kurzem mehrere Fälle zusammengetragen, in denen Betroffene von ähnlichen Erlebnissen berichten wie Rahel Wagner. «Die Mehrheit bezahlt wohl, weil man ihnen mit Betreibung und Gericht droht. Das ist die Masche solcher Firmen», sagt Wagner. Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit will sie andere warnen.

Der FTG-Geschäftsführer bestreitet alle Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die in Rechnung gestellten Beträge entsprächen den Aufwendungen für Arbeit und Material, sagt er auf Anfrage. Dabei gebe es zu bedenken, dass es sich bei den Dienstleistungen seiner Firmen meistens um Pikettdienste ausserhalb der üblichen Geschäftsöffnungszeiten handle. «In solchen Fällen ist es in sämtlichen Branchen üblich, dass diese zeitliche Flexibilität mit einem Expresszuschlag abgegolten wird.»

Der Geschäftsführer sagt, er habe gegen die betreffenden Strafanzeiger teilweise ebenfalls Strafanzeige eingereicht wegen falscher Anschuldigung und Irreführung der Rechtspflege.

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