Sie sind die «Wetterschmöcker» der Wirtschaft, das unkonventionelle Fieberthermometer der Konjunktur, der etwas seltsame Gradmesser des Aufschwungs: Windeln, Lippenstift, Champagner und Miniröcke. Die Nachfrage nach diesen Produkten soll ein Indikator für die Entwicklung der Wirtschaftslage sein.
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Auch wenn es wissenschaftlich präzisere Quellen für die genaue Betrachtung der Konjunktur gibt, sind die unkonventionellen Konsumindikatoren allemal unterhaltsamer. Je kürzer der Rock, desto besser gehe es der Wirtschaft, heisst es etwa im Minirock-Index. Und der Unterhosen-Index vertritt die Theorie, dass Männer mehr Schlüpfer kaufen, wenn die Wirtschaft Aufschwung erlebt. Aber der Reihe nach:
Der Lippenstift-Index
Estée Lauder ist einer der grössten Kosmetikkonzerne der Welt. Neben Lidschatten, Nachtcremen und Kajal vertreibt das Unternehmen auch Lippenstifte. Es war der Sohn von Estée Lauder selbst, dem aufgefallen ist, dass der Absatz von Lippenstiften während der US-Wirtschaftsrezession 2001 zunahm, statt wie angenommen abzunehmen.
Er leitete davon ab: Je schlechter es um die Wirtschaft steht, desto besser geht es dem Lippenstiftabsatz. Denn er sah im Kauf von eher günstigen Kosmetika wie Lippenstiften eine Ersatzhandlung für den Erwerb von teureren Produkten.
Dass sich der Index auch heute noch als Indikator hält, zeigen die aktuellen Verkaufstrends in den USA der Werbeagentur Catalina. Während in Amerika im Januar eine Inflationsrate von 6,4 Prozent herrschte und die Konsumentenstimmung im Keller ist, stiegen die Verkäufe von Lippenstiften um 35 Prozent (verglichen zum Vorjahr).
Der Minirock-Index
Die Länge eines Rocks soll angeben, wie die wirtschaftliche Stimmung ist. Die Idee dahinter ist, dass in wirtschaftlich guten Zeiten und in der allgemeinen Partylaune die Röcke kürzer werden, umgekehrt werden sie in wirtschaftlich schlechteren Zeiten länger, wenn Menschen sparen müssen.
Tatsächlich ist dieser Index so populär, dass er sogar wissenschaftlich untersucht wurde – und bestätigt: Forscherinnen und Forscher des Econometric Institute der Erasmus School of Economics in Rotterdam haben die Rocklänge mit der wirtschaftlichen Lage verglichen. So wurden in den 50er-Jahren während des Wirtschaftsbooms Röcke getragen, die knapp das Gesäss bedeckten, und mit der Rezession in den frühen Neunzigern kamen auch wieder die wadenlangen Röcke in Mode.
Die wichtigste Erkenntnis der Studie: Das Phänomen der korrelierenden Rocklänge zur Wirtschaftslage verzögert sich jeweils um drei Jahre. Dennoch, erste Anzeichen der Auswirkungen der aktuellen Inflation und der aufziehenden Konjunkturflaute auf die Rocklänge zeigen die Frühlingstrends 2023 der Modebibel «Vogue»: Neben dem kurzen Tweedrock ist das knöchellange Maxikleid der letzte Schrei.
Der Champagner-Index
Dieser Index verhält sich ähnlich wie der Minirock-Index, aber gegensätzlich zum Lippenstift-Index. In wirtschaftlichen Dürrezeiten sollte der Konsum von Champagner sinken. In Zeiten wirtschaftlicher Prosperität hingegen steigen die Verkäufe von Luxusgütern wie Champagner wieder.
Auch hier zeigt ein kurzer Blick in die Zahlen, dass die Theorie nicht ganz aus dem Nichts entstanden sein kann. So brachen die Verkaufszahlen des Luxustropfens im Finanzkrisenjahr 2008 nach langer Zeit erstmals wieder ein. Das Kulinarikmagazin «Falstaff» berichtete erst im Januar 2015, dass im Jahr 2014 die Verkaufszahlen von Champagner wieder in den positiven Bereich rückten. Der Indikator ist aber auch naheliegend: In Krisenzeiten gibt es wenig zu feiern.
Der Hamburger-Index
Beim Hamburger-Index wird angenommen, dass die Preise von Fast Food in der Regel stabil sind. Veränderungen im Preis für Hamburger sind daher ein Indikator für die allgemeine Preisentwicklung.
Der Hamburger-Index darf nicht mit dem Big-Mac-Index verwechselt werden, der einen Indikator für die Kaufkraft darstellt. Bei diesem erhebt das Magazin «The Economist» die Preise des Fast-Food-Klassikers, den es in fast jedem Land gibt, und rechnet sie in Dollar um. Auf diese Weise soll gemessen werden, ob eine Währung über- oder unterbewertet ist. In Japan beispielsweise kostet ein Big Mac 450 Yen (3.38 Dollar), während in der Schweiz 6.71 Franken (7.50 Dollar) gelistet sind.
Der Unterhosen-Index
Dieser Index besagt nicht, dass die Unterhosen, während wirtschaftlich schlechten Zeiten länger werden, sondern dass der Kauf dieser ganz wegfällt. Alan Greenspan, der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank Fed, stellte die Theorie auf, dass viele Männer bei schlechter Wirtschaftslage keine Unterhosen mehr kaufen, weil dies das Kleidungsstück ist, das am wenigsten gesehen wird.
In der Tat gab es Fälle, in denen sich diese Theorie bewahrheitete. Gemäss Daten von Euromonitor sank der US-Absatz von Herrenunterwäsche im Jahr und den Jahren nach der Finanzkrise 2008, um bis zum Jahr 2015 wieder stetig hochzuklettern. Auch die Aktien der Unter-und-Nachtwäsche-Marke Calida folgen einem ähnlichen Trend. So brach das Papier vom Höchstwert im Juli 2007 von 32.75 Franken im März 2009 auf knapp 10 Franken je Aktie ein.
Der Karton-Indikator
Im Gegensatz zum Minirock-Index, der jeweils verzögert die Konjunktur widerspiegelt, soll der Karton-Indikator ein Frühwarnsignal sein. Denn Kartonverpackungen sind essenziell für das Transportwesen, und die Nachfrage steigt und fällt mit den Kundenbedürfnissen. So sollen Kartonlieferungen zurückgehen, wenn die wirtschaftliche Lage schlechter wird. Die Annahme rührt daher, dass Einzelpersonen an Kaufkraft verlieren und weniger bestellen, sodass Verteiler- und Logistikzentren weniger Karton benötigen.
Die Schweizerische Post verzeichnete im Geschäftsbericht 2008 über 105 Millionen versendete Pakete, was einen Rückgang von 6,3 Prozent zum Vorjahr darstellte. In den Folgejahren nach der grossen Rezession stieg die Anzahl versendeter Pakete rasant, im Jahr 2015 transportierte die Post gemäss Geschäftsbericht sogar 115,3 Millionen Pakete. Dies ist wohl neben dem konjunkturellen Aufschwung auch der stetig zunehmenden Globalisierung und dem Aufkommen des Online-Handels geschuldet.
Der Windel-Index
Der letzte scherzhafte Konjunktur-Index, der auf die wirtschaftlichen Trends und Konsumentenstimmung hinweisen soll, bezieht sich auf den Kauf von Windeln. Ähnlich wie beim Champagner-Index wird angenommen, dass in der Hochkonjunktur Menschen mehr Geld zur Verfügung haben und «verschwenderischer» mit Windeln umgehen. Verschlechtert sich jedoch die wirtschaftliche Lage, werden Windeln mit mehr Bedacht genutzt werden, und die Nachfrage sinkt.
Laut einer Mitteilung des Online-Händlers Galaxus gelten Windeln als «Bestseller». Die Aufsteiger seien eines der «meistverkauften Produkte im Internet». 2016 stieg das Produkt auf Platz sechs der zehn meistverkauften Produkte bei Digitec Galaxus. Nur drei Jahre später war es auf Platz eins. Ob die aktuelle Inflation und die Bankenkrise sich auf den Windel-Index auswirken, zeigt sich in den nächsten Jahren.