2200 Mediziner gelten als auffällig
So kämpfen die Krankenkassen gegen Schummel-Ärzte

Die Krankenkassen wehren sich gegen Ärzte, die zu hohe Rechnungen stellen. Einige Versicherer haben dafür eigene Abteilungen für Betrugsbekämpfung ins Leben gerufen.
Publiziert: 03.06.2018 um 16:37 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:55 Uhr
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Die Abteilung für Betrugsbekämpfung der Krankenkasse Helsana deckt im Schnitt jeden Tag einen neuen Fall auf.
Foto: Philippe Rossier
Cyrill Pinto

Sie sind Juristen, sie sind Forensiker, sie sind ehemalige Polizisten: In der Helsana-Abteilung für Betrugsbekämpfung arbeiten Spezialisten, die es in ihren früheren Jobs vor allem mit Kriminellen und deren Opfern zu tun hatten.

Heute tragen ihre Gegenspieler weisse Kittel, denn die meisten von ihnen sind Ärzte. In 350 Fällen nahm das fünfköpfige Team zur Betrugsbekämpfung im Jahr 2017 Ermittlungen auf. Seine Erfolgsquote dürfte jeden Polizisten beeindrucken: In 95 Prozent der Fälle bestätigte sich der Anfangsverdacht der Versicherungsermittler.
So erdrückend war da die Beweislast, dass die Helsana gar kein Gericht in Anspruch nehmen musste, um eine Einigung zu erzielen: Die ertappten Ärzte erstatteten die zu viel bezahlten Beträge zurück. Fünf Millionen Franken holte die Versicherung zuletzt so zurück – mehr als je zuvor.

Auch andere grosse Versicherer haben aufgerüstet. Beim Krankenversicherer CSS deckt eine Ermittlergruppe mehrere Hundert Fälle im Jahr auf. Im letzten Jahr holte sie 6,4 Millionen Franken ungerechtfertigt ausbezahlte Leistungen zurück.

Algorithmen bringen Ermittler auf die Spur

Zuletzt sorgte ein Fall aus dem Kanton Bern für Schlagzeilen. Dort verrechnete HNO-Spezialist Hagen T. (44) 35'000 Franken zu viel. Der Versicherer Visana zeigte den ehemaligen Lehrbeauftragten der Uni Bern wegen Urkundenfälschung an, im Frühjahr 2017 wurde er verurteilt. Doch trotz Betreibung zahlte der Arzt die 35'000 Franken nicht zurück – inzwischen entzog ihm der Kanton die Bewilligung zur Berufsausübung, seit Oktober ist er abgetaucht.

Laut Dachverband Santé­suisse gibt es in der Schweiz rund 2200 «statistisch auffällige Ärzte». Es sind Ärzte, die rund ein Drittel mehr Leistungen verrechnen als ihre Kollegen.

Sichtbar machen solche statistischen Unregelmässigkeiten spezielle Computerprogramme, die alle eingereichten Abrechnungen scannen und auffällige Rechnungen mittels Algorithmus aussieben.

Von 15 Millionen Rechnungen, die der grösste Schweizer Versicherer Helsana pro Jahr bearbeitet, werden zehn Prozent herausgefiltert und manuell geprüft. «Fünf Prozent davon weisen Fehler auf», erklärt Stefan Heini von Helsana. Anschliessend muss die statistische Auffälligkeit zum konkreten Verdacht erhärtet werden. Das ist Aufgabe der Betrugsabteilung.

Im Notfall bis zur Strafanzeige

Die fehlbaren Ärzte korrigieren ihre Rechnungen in der Regel klaglos. Beharrt ein Arzt auf seiner Rechnung, greifen die Krankenkassen auch schon einmal zum Mittel der Strafanzeige: 98-mal geschah dies 2016 – ein Rekord. 2010 gab es erst 56 Anzeigen.

Die meisten dieser Fälle werden aussergerichtlich beigelegt. Effektiv bei einem Richter landen nur wenige: Schweizweit sind es pro Jahr zwischen zehn und zwanzig Ärzte, die sich vor Gericht verantworten müssen.
Auch Helsana greift schon mal zu dieser schärfsten Waffe und reicht Strafanzeige ein. 2016 geschah dies in einem Dutzend der Fälle – in allen kam es zu einer Verurteilung.

«Patienten müssen unbedingt Rechnungen prüfen»

Doch das Kontrollsystem hat eine grosse Schwäche. «Leistungen, die zwar verrechnet, aber nicht erbracht wurden, erkennen auch die versiertesten Ermittler nicht», wie Helsana-Sprecher Stefan Heini sagt.
Welche Leistung wirklich erbracht wurde, wisse nur der Patient. Heini: «Deshalb ist es wichtig, dass die Patienten ihre Rechnungen prüfen.»

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