Das Bächlein plätschert, Lämmer blöken, bei herrlicher Aussicht auf die Apfel-Hochstämme und den Säntis: Wer im Garten von Fabienne (44) und Erwin (47) Toppler in Kümmertshausen TG sitzt, denkt nicht zuerst ans grosse Geld, das die Wellnessbranche generiert.
Es ist ein Biohof, von aussen unauffällig, wie man ihn im Thurgau häufig findet. Nur beim Stöckli lohnt sich ein genauer Blick. Im Parterre wohnen ganz traditionell die Senioren, unten im Keller aber tut sich Aussergewöhnliches: gestresste Städter, die sich eine Kräutermassage gönnen, Ägypter, die in der Sauna schmachten, Isländer, die sich in Liegestühle fläzen.
Topplers führen neben ihrem Hof eine «Wellnessfarm». Fabienne – diplomierte Masseurin und Kosmetikerin – sowie ihre Zwillingsschwester Isabelle (44) kennen die Branche aus ihren Zeiten in Saas-Fee und Zermatt VS. «Eine Massenabfertigung war das», findet Fabienne.
Der Markt wächst weiter und weiter
Wellness ist eine milliardenschwere Maschinerie, wie ein Bericht des Global Wellness Institute (GWI) aus Florida zeigt. Die Amerikaner, die zum Thema bereits Studien mit dem Gottlieb Duttweiler Institut vorgelegt haben, beziffern den Umsatz der Branche hierzulande auf 12,6 Milliarden Dollar, was 12,56 Milliarden Schweizer Franken entspricht. Damit belegte die Schweiz 2017 den zwölften Platz weltweit. Ganz vorne liegen die USA mit mehr als 200 Milliarden Dollar, Deutschland ist mit über 60 Milliarden Zweiter.
Gemessen wurden Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung, Shopping oder den Transport innerhalb des Landes, für Telekommunikation, Reiseagenturen und -versicherungen. Zwei Typen von Wellness-Touristen fanden Eingang in die Bewertung: solche, die wegen derlei Angeboten anreisten, und solche, die Wellness eher nebenbei konsumierten.
Wellness-Touristen aus dem Ausland geben während ihres Aufenthalts hierzulande im Schnitt 2070 Dollar oder 2064 Franken aus. Einheimische sind wesentlich sparsamer, laut Global Wellness Institute lassen sie für Sauna, Sprudelbad und Co. im Schnitt 731 Dollar (729 Franken) springen. Doch der Markt wächst weiter und weiter, weltweit. Über sechs Prozent plus waren es von 2015 bis 2017, über siebenprozentige Wachstumsraten sollen es bis 2022 sein.
Wellness als Teil der touristischen Palette
In den Bergen werden die Dimensionen der Wellness-Industrie sichtbar. Es wird gebaut, was das Zeug hält, viele Hotels investieren in neue Bereiche fürs Wohlbefinden und in mehr Komfort. Wie auf dem Bürgenstock, wo die katarische Herrscherfamilie Al Thani über eine halbe Milliarde Franken in Luxushotels gepumpt hat, das Spa allein ist grösser als ein Fussballfeld. Die Scheichs haben eine gut betuchte Klientel im Auge. Wer an Wochenenden um Einlass in den Nassbereich ersucht, zahlt stolze 300 Franken pro Person.
Aber wer ist eigentlich der typische Wellnessgast? «Es ist kaum möglich zu definieren, woher die Gäste stammen», sagt André Aschwanden von Schweiz Tourismus. Wellness sei ein Teil der hiesigen touristischen Palette. «Man ist bereits irgendwo in den Ferien und kauft dann solche Angebote hinzu», sagt er. Nimmt man die Statistik der Logiernächte als Anhaltspunkt, ergibt sich ein Touristen-Ranking, das auch für den Wellnessbereich gelten dürfte: Deutsche, US-Amerikaner, Briten, Chinesen, Franzosen, Italiener, Golfstaatler. Beste Kunden der Tourismusdestination Schweiz aber sind nach wie vor Schweizer. Sie werden nur allmählich untreu.
Konkurrenz durch die Nachbarn im Norden und Osten
«Viele Leute reisen für Wellness nach Deutschland und Österreich», sagt Fabienne Toppler, die den Trend der vergangenen Jahre beobachtet hat. Grund sei eindeutig der Preis. Auch Topplers wollen, dass sich jeder einen Aufenthalt bei ihnen leisten kann, samt Burezmorge und Most vom Hof. Mit der Konkurrenz jenseits des Bodensees aber – inklusive riesigen Buffets und Massagen – können sie preislich nicht mithalten. Wie auch sonst keiner aus der Schweiz.
In den Katalogen der Reiseanbieter und in den Schnäppchenangeboten des Internets sind Schwarzwald und Tirol die Platzhirsche. Zahlen des Global Wellness Institute bestätigen: 16 Milliarden Dollar erwirtschafteten die Nachbarn im Osten. Österreich gilt als Land der Kuren – das auch so wunderbare Begriffe wie den «Kurschatten» hervorgebracht hat. Weltweit rangiert es auf dem sechsten Platz. «Tirol verkauft sich voll und ganz als Wellness-Destination. Das macht bei uns keine Region», sagt André Aschwanden von Schweiz Tourismus. Ein flächendeckendes Angebot wie die deutschen Bäder und Kurorte an Ost- und Nordsee existiere hier schlicht nicht.
Dafür sei in der Schweiz das Risiko besser abgefedert. Das entstehe, wenn man sich nur auf ein einziges Angebot konzentriere. Der Touristiker Aschwanden wird nicht müde zu betonen, dass die Schweiz als Land als Ganzes unter den Wellness-Slogan falle. Die Natur, die sauberen Gewässer, das angenehme Klima, die frische Luft machen den Unterschied, ist er überzeugt.
Die Gäste auf dem Bauernhof in Kümmertshausen sehen das offenbar ähnlich. Ägypter und Kuwaiter zieht es jetzt magisch zur Wiese hin: Tiere streicheln.