12,5 Stunden-Tage, 75 Stundenwoche, Leistungen wie ein Meister
So nutzen Betriebe Lehrlinge aus!

Lehrlinge werden vom Arbeitgeber oft als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt und müssen Überstunden leisten. Viele brechen ihre Lehre ab.
Publiziert: 27.07.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2018 um 22:09 Uhr
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Einstieg in die Arbeitswelt: Berufsmessen – von denen diese Bilder stammen – sollen junge Menschen für eine Lehre begeistern.
Foto: Keystone
Von Christof Vuille

Die Schweiz ist stolz auf ihr duales Bildungssystem. Und die meist dreijährige Berufslehre könnte zum Exportschlager werden. Bildungsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) wirbt für das System gern auch im Ausland und preist dessen Vorzüge.

Tatsächlich funktioniert es ausgezeichnet – gut ausgebildete Berufsleute sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Doch die harte Lehrzeit hat auch Schattenseiten. Denn Lehrlinge werden von Firmen oft als vollwertige Arbeitskräfte eingesetzt – und nicht selten auch missbraucht.

Mirjam Kohler (22) etwa schaut ungern auf ihre Lehre in einer Basler Bäckerei zurück. Im Mai beendete sie den Lehrvertrag vorzeitig, gleich nachdem sie die Abschlussprüfung absolviert hatte – erfolgreich, wie sich später herausstellte.

Fast täglich habe sie von frühmorgens um 6.30 Uhr bis abends um 19 Uhr im Verkauf gearbeitet. «Ich war chronisch übermüdet und habe teilweise sogar im Betrieb übernachtet», erinnert sie sich. Mehr als ein Jahr habe sie pro Woche 54 Stunden gearbeitet. Es wurde bald zu viel: Die Berufsmatur musste sie abbrechen. Und: Obwohl ihr Vertrag auf die Stadt Basel ausgestellt war, musste sie regelmässig in einer anderen Filiale arbeiten. Der Weg dorthin habe sie aber nicht als Arbeitszeit anrechnen können.

Auch viele andere brechen ihre Lehre ab. Gemäss Zahlen der kantonalen Berufsbildungsämter lösten 21'000 Stifte im Jahr 2014 ihre Lehrverträge auf – fast zehn Prozent aller aktiven Verträge, wie die «Schweiz am Sonntag» im Frühling meldete. Theo Ninck, Präsident der Schwei­zerischen Berufsbildungs­ämter, sah Handlungsbedarf bei Lehrmeistern und Lehrlingen: «Es wäre falsch, die Fehler nur bei den Jungen zu suchen.»

Ähnliches wie Mirjam Kohler berichtet auch Reto. Der Teenager beginnt bald das zweite Lehrjahr als Schreiner. Er will seinen Familiennamen nicht nennen, weil er «durchbeissen» will. Der Betrieb hat einen ausgezeichneten Ruf.

Grundsätzlich sei sein Job «cool», erzählt er. Die Anforderungen seien aber «extrem hoch». Man erwarte von ihm bereits Leistungen wie von einem Schreinermeister. Es habe Wochen gegeben, in denen er 75 Stunden gearbeitet habe. Ansonsten seien es mal 60, mal 50 Stunden. In der Branche sei das üblich, in der Berufsschule erzählten alle das Gleiche. Immerhin: Für die Überzeit erhält Reto zusätzliche Ferientage. Die braucht er immer wieder zum Lernen – der Spagat sei nicht einfach. Von einer Berufsmatur habe der Betrieb nichts wissen wollen.

Was tun, wenn Lehrlinge überfordert sind? Mirjam Kohler meldete sich bei der kantonalen Lehraufsicht. «Erst im letzten Lehrjahr – wohl zu spät», wie sie im Nachhinein bedauert. «Ich hatte das Gefühl, gegen eine Wand zu reden. Die Lehraufsicht unternahm einfach nichts.»

Während der schwierigen Zeit begann sich die 22-Jährige für Politik zu interessieren, sie trat den Jungsozialisten bei. Heute ist sie Beisitzerin im Vorstand. Und kann aus eigener Erfahrung beim Projekt mitmachen, das die Juso seit Monaten führen: Sie kämpfen für eine Besserstellung der Lernenden – und versuchen so wohl auch, ihr Image als Studenten-Partei abzuschütteln.

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