Abt Urban Federer im Gespräch mit Christian Dorer
20:24
Der Talk in voller Länge:Abt Urban Federer im Gespräch mit Christian Dorer

Abt Urban (54) über den Wert der Festtage
«Weihnachten bringt die Familie zusammen»

Weihnachten ist das Fest der Liebe und ein Moment der Besinnlichkeit. In der Blick-TV-Sendung «Hier fragt der Chef» spricht Urban Federer (54), Abt des Klosters Einsiedeln, über die Festtage, Kirchenaustritte und den Krieg.
Publiziert: 23.12.2022 um 23:53 Uhr
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Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, im Gespräch mit Urban Federer (54), Abt des Klosters Einsiedeln.
Foto: Philippe Rossier
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Christian Dorer

Weihnachten ist für Urban Federer (54), Abt des Klosters Einsiedeln, die strengste Zeit des Jahres. Er muss für die Menschen da sein und die grossen Gottesdienste vorbereiten. Für die Blick-TV-Sendung «Hier fragt der Chef» hat er sich trotzdem Zeit genommen – und über die Festtage, Kirchenaustritte und die Frage gesprochen, wieso Gott Krieg zulässt.

Abt Urban, was bedeutet Weihnachten für Sie persönlich?
Ich verbinde Weihnachten mit ganz vielen positiven Kindheitserinnerungen. Das Fest bedeutete für mich immer: Die Familie kommt zusammen.

Wofür steht Weihnachten in unserer modernen Zeit?
Sie hat das Potenzial, Menschen zusammenzubringen. Krieg, Energiekrise, die Folgen der Pandemie, und ich denke nicht nur an Long Covid, sondern auch an eine gewisse Spaltung der Gesellschaft: Hier kann uns Weihnachten helfen, wieder zusammenzufinden, diese Spaltungstendenzen zu überwinden. Weihnachten kann zu Versöhnung führen, um noch ein religiöses Wort mit einzubringen.

Für viele Menschen bedeutet Weihnachten tatsächlich in erster Linie zusammenzukommen, die freien Tage zu geniessen und die Familie zu sehen. Stört Sie diese Entkopplung vom Glauben?
Mich stört es überhaupt nicht, wenn die Menschen ihren Sehnsüchten nachgehen. Ich finde es wichtig, dass man feiert, und Weihnachten ist ein guter Anlass dafür. Wenn Menschen zu mir oder zu uns nach Einsiedeln kommen, versuchen wir sie der Sehnsucht nach weiterzuführen, und dann kommen wir zu Gott und zur Geburt von Jesus Christus, die wir an Weihnachten feiern.

Für den Detailhandel ist Weihnachten die wichtigste Zeit des Jahres, weil sie den grössten Umsatz bringt. Was halten Sie von dieser Päckli-Schlacht?
Das Päckli steht für das Geschenk, und Weihnachten ist für mich ein Geschenk. Ich halte die tiefere Bedeutung von Weihnachten im Geschenk für etwas Faszinierendes. Gott schenkt sich uns, und wir beschenken einander. Weihnachten hat auch für mich als religiösen Menschen nicht bloss etwas mit mir und Gott zu tun, sondern mit Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung. Daher finde ich es schön, dass man sich gegenseitig etwas schenkt.

In manchen Familien brechen an Weihnachten Konflikte aus. Weshalb ausgerechnet jetzt?
Wir sehnen uns alle nach Frieden. Aber Friede ist etwas, was man aktiv angehen muss. Weihnachten kann Frieden nicht einfach so liefern, aber kann Anlass sein, ihn zu suchen.

Was empfehlen Sie bei einem Familienkonflikt: die Probleme ansprechen oder einen Bogen darum herumzumachen?
Es kommt darauf an, wann man es anspricht. Unter dem Baum beim Öffnen der Geschenke würde ich es nicht tun. Aber wenn man bereits weiss, dass man zu jemandem ein schwieriges Verhältnis hat, könnte man im Voraus mit der Person Kontakt aufnehmen. Ich empfehle, den Konflikt aktiv anzugehen, aber nicht in den wichtigsten Momenten.

Vom Töfflibub zum Mann Gottes

Als Teenager machte er Sport, fuhr Töffli und hatte eine Freundin. Doch der Zürcher Urban Federer (54) entschied sich für ein Leben mit Gott. Am 10. Dezember 2013 wurde seine Wahl zum neuen Abt vom Kloster Einsiedeln SZ von Papst Franziskus (83) bestätigt. Federers Amtsdauer beträgt zwölf Jahre.

Als Teenager machte er Sport, fuhr Töffli und hatte eine Freundin. Doch der Zürcher Urban Federer (54) entschied sich für ein Leben mit Gott. Am 10. Dezember 2013 wurde seine Wahl zum neuen Abt vom Kloster Einsiedeln SZ von Papst Franziskus (83) bestätigt. Federers Amtsdauer beträgt zwölf Jahre.

Umfragen zeigen, dass sich ein Drittel der Menschen in der Schweiz einsam fühlt, Tendenz steigend. Für viele ist es an Weihnachten besonders schlimm. Was sollen diese Menschen jetzt machen?
Sich zusammentun. Es gibt sehr viele Angebote, auch von der Kirche, wie beispielsweise Weihnachtsfeiern für alleinstehende Menschen. Man kann auch aktiv auf Betroffene zugehen, um ihnen aus der Einsamkeit zu helfen, dann ist auch einem selbst geholfen.

2022 brach ein fürchterlicher Krieg in Europa aus. Was sagen Sie Menschen, die fragen, wie Gott so etwas zulassen kann?
Im Christentum steht das Leiden im Zentrum. Das Kreuz erinnert uns immer wieder daran. Es ist nicht so, dass Gott nichts mit dem Leiden zu tun hat. Gott kennt das Leiden sehr gut. Wenn ich als Christ versuche, Gott zu folgen, dann folge ich auch einem leidenden Gott. Ich selber versuche, das Leiden nicht zu verdrängen. Wie Sie sehen, trage ich ein goldenes Kreuz. Es ist Ausdruck meiner Hoffnung, dass das «Ja» Gottes zu den Menschen stärker ist als das «Nein».

Woran erkennen Sie, dass die aktuelle Weltlage Menschen belastet?
Einerseits haben wir bei uns im Kloster Flüchtlinge aufgenommen. Wir sind also ganz nah dran an dieser Situation und an Familien, die an Weihnachten nicht nach Hause gehen können. Andererseits ist das Kloster Einsiedeln ein Wallfahrtsort, an den sich sehr viele Menschen mit ihren Anliegen wenden. Aktuelle Themen sind der Krieg und dessen Folgen, die Energiekrise, das fehlende Geld und nach wie vor Corona.

Gleichzeitig traten im vergangenen Jahr 34'000 Menschen aus der katholischen Kirche aus – ein Rekord! Wie geht das zusammen?
Die Menschen suchen sich heutzutage ihre eigenen Wege. Früher dominierte die Kirche die Gesellschaft und hatte Macht. Die Kirche muss heute lernen, kleiner zu werden. Das ist nicht so einfach, wenn man einmal gross war. Wir sollten nicht auf Zahlen schauen, sondern wissen, dass es um den einzelnen Menschen geht.

Das klingt resigniert.
Nein, für mich ist das eine Grundlage, um unsere Stimme neu zu finden. Wenn man die ganze Zeit am Zählen ist, kommt man in eine Negativspirale. Wenn Menschen aus der Kirche austreten, geht es um Kirchensteuern. Ich als Mönch und Klostervorsteher fühle mich nicht als Teil dieses Kirchensystems. Ein Kloster bekommt keine Kirchensteuern, sondern bezahlt sie. Zu uns kommen die Menschen sowieso. Sie kommen nach Einsiedeln, und dabei geht es mir vor allem darum, wie ich den einzelnen Menschen abholen kann, und nicht, ob er ausgetreten ist oder nicht.

Sie selber sind mit 20 ins Kloster eingetreten. Was hat Sie dazu bewogen, Ihr Leben Gott zu widmen?
Eine Sehnsucht. Ich bin eigentlich nicht wegen der Religion in Einsiedeln gelandet, sondern wegen des Skifahrens. Durch den Sport habe ich das Kloster kennengelernt und die Faszination für diesen Ort, diese Kirche und dieses Gebet.

Wie feiern Sie Weihnachten?
Wir feiern als Gemeinschaft. Aber gerade am 24. und 25. Dezember sind wir sehr stark für die Leute da. Das heisst, wir müssen Wege finden, um im Kloster untereinander zu feiern. Das tun wir dann am Abend des 26., wenn alle wieder zu Hause sind und die Arbeit abgeklungen ist. Ansonsten machen wir es vor allem betend.

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