Mit der Gitarre in der Hand steht Pat Burgener am Rand der Halfpipe. Er spielt einen Song, summt dazu und beobachtet gleichzeitig die neben ihm durch die Luft fliegenden Snowboard-Kollegen. «Gibt es etwas Schöneres?», fragt er rhetorisch. Man merkt: Dieser junge, 22-jährige Mann, ist mit sich im Reinen.
Vor zwei Jahren war das noch nicht so. Rückblende: Burgener liegt im Februar 2014 nach einem Sturz im Spitalbett, eine Operation ist unumgänglich. Das Kreuzband muss repariert werden. Dem einstigen «Wunderkind», das mit 15 bereits als künftiger Superstar gefeiert wird, droht das Karriere-Ende. Weil er nicht wieder gesund wird? Nein. Weil er merkt: «So kann es nicht weitergehen. Ich muss etwas ändern.»
Burgener macht sich daran, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen. Er hört auf, sein Schicksal zu hinterfragen. Schluss mit den negativen Gedanken! Schluss mit den quälenden Fragen, warum Verletzungen seine Olympia-Träume von Vancouver 2010 und Sotschi 2014 platzen liessen – und warum er nun wieder im Krankenhaus liegt. «Das ist mein Leben, ich kann und will es nicht ändern», sagt er heute versöhnlich.
Ganz so einfach ist die Wandlung zum Positiven für Pat allerdings nicht. In seinen schwersten Stunden braucht der Lausanner eine Initialzündung. Er findet sie in der Musik. «Sie hat mich am Leben erhalten. Ohne die Musik wäre ich jetzt nicht da, wo ich stehe», sagt er. Und meint: Weit oben, sowohl im Snowboard – zuletzt gewann er den Weltcup-Auftakt in Copper – als auch im Musik-Business.
Tatsächlich denkt Burgener zu Beginn seiner neunmonatigen Rehabilitation nicht ans Snowboarden, ein Rücktritt ist nicht ausgeschlossen. Von seiner Familie unterstützt, meldet er sich in der Jazz-Schule in Lausanne an, spielt Klavier und Gitarre, arbeitet wie ein Besessener an Melodien, schreibt Liedertexte, feilt an Details. «Es war aber keine Arbeit. Ich konnte mich dem widmen, was ich schon immer geliebt habe: der Musik.»
Eines Tages aber, Pat läuft gerade mit Krücken aus dem Studio, blickt er auf die Landschaft rund um den Genfersee und merkt: Ich will wieder in die Berge, zurück aufs Board! «Dieser Moment gab mir den Hunger, zurückzukehren und alles zu geniessen.»
Mit seiner Freundin macht er Schluss. «Für drei Dinge hatte ich keine Zeit mehr», so Burgener lapidar. Tatsächlich ist sein Leben bald mit Musik und Snowboard ausgefüllt. «Ich habe – zumindest im klassischen Sinn – kein soziales Leben mehr.»
Sieben Songs hat Burgener mittlerweile veröffentlicht, die Single «Living for the Day» war ein Hit, das melancholischere «Take me Home» ist ebenfalls gut angelaufen. Alleine ist Pat dabei nicht. Im Gegenteil: Der kleine Bruder Max spielt ebenfalls in seiner Band, der ältere Bruder Marc-Antoine kümmert sich um das Management. Beide haben viel zu tun: Im April soll Burgeners erstes Album herauskommen, dazu sind diverse Live-Konzerte geplant.
«2014 war ich am Boden. Heute bin ich sowohl im Snowboard als auch in der Musik – zumindest für meine Verhältnisse – top.» Pat schüttelt den Kopf leicht. «Eigentlich ist das alles verrückt. Und doch logisch. Denn ich habe meinen Weg gefunden.»
Und wohin wird er ihn noch führen? Pat überlegt lange, sagt dann: «Ich weiss es nicht. Und genau das ist das Schöne.» Ziele hat er allerdings schon, gibt er zu: gerne würde er 2018 Olympiasieger werden («es spricht nichts dagegen!») und als Musiker («da kann ich viel mehr Leute berühren als im Sport») um die Welt touren.
«Heute bin ich – dank der Musik – ein neuer Mensch. Ich habe zu mir gefunden», bilanziert Burgener. Dabei blickt er noch einmal, mit der Gitarre in der Hand, zuerst auf die Halfpipe – und dann in die Ferne.