Burgener fliegt dem Coronavirus davon
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Mit Iouris Gold-Trampolin
Burgener fliegt dem Coronavirus davon

Snowboarder Pat Burgener will in zwei Jahren in Peking aufs Olympia-Podest. Dafür schuftet er hart. Und wird im Lockdown mit einer Premium-Trainingsanlage belohnt.
Publiziert: 26.04.2020 um 00:02 Uhr
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Die ganze Sportwelt steht ­wegen Corona still, nur Burgener fliegt in seinem Garten.
Foto: TOTO MARTI
Emanuel Gisi (Text) und Toto Marti (Fotos)

Schmeiss die Katze in die Luft, und sie landet auf den Füssen. Snowboarder Pat Burgener macht sich gerade eine alte Trainingsweisheit seines Nationaltrainers zunutze. Die ganze Sportwelt steht ­wegen Corona still, nur Burgener fliegt in seinem Garten.

Normalerweise ist der 25-Jährige rastlos unterwegs. Er arbeitet an ­neuen Songs, spielt Konzerte, nimmt irgendwo auf der Welt im Studio auf. Oder er steht auf dem Snowboard. Bei den letzten beiden Weltmeisterschaften holte er Bronze in der Halfpipe. Das alles ist im Moment auf Eis gelegt, das Coronavirus ist schuld. Doch untätig rumsitzen muss Burgener deswegen nicht: Er hat ein Trampolin zu Hause im Garten. Und zwar ein richtiges: Es ist das Trampolin, auf dem Iouri Podladtchikov einst schuftete, bevor er 2014 in Sotschi Olympiasieger wurde.

«Die ganze Welt steht still im ­Moment», sagt Burgener. «Nur ich kann trainieren. Das ist eine riesige Chance, ich habe grosses Glück.» Glück ist dabei. Aber vor allem ist das Profi-Trampolin ein Symbol für den Willen des Apothekersohns. Nach den Olympischen Spielen in Südkorea vor zwei Jahren nahm er sich vor, noch einen Schritt nach ­vorne zu tun. Das Ziel: eine Medaille bei den Spielen 2022 in Peking. «Das ist der einzige Weg, um wirklich der Beste zu sein», sagt er.

Eine der professionellsten Trainingsanlagen überhaupt

Das Trampolin stand früher in ­Podladtchikovs Skate-Halle am Zürichsee, als dieser sich auf Sotschi-Gold vorbereitete. Von dort landete es in ­einem Keller. Burgener fragte bei Swiss Snowboarding nach, ob er es haben dürfe. Er durfte, baggerte ein Loch in seinem Garten, Franz Fischer vom Bundesamt für Sport in Magglingen sorgte dafür, dass er im Herbst die richtigen Matten für die Abdeckung bekam. Und jetzt hat Burgener, der zu Teenager-Zeiten als Hallodri galt, der sich auf nichts konzentrieren konnte, eine der professionellsten Trainingsanlagen überhaupt bei sich zuhause.

Das dürfte sich bezahlt machen. «Den akrobatischen Teil kannst du auf dem Trampolin extrem gut trainieren», sagt Pepe Regazzi, Nationaltrainer der Schweizer Snowboarder. Die Dynamik der Bewegung, das Warten auf das Momentum, die Sekundenbruchteile, in denen der Kopf und die Körperhaltung blockiert werden müssen, all dies kann ein Snowboarder so simulieren. «Pat hat gerade Voraussetzungen, die mehr als optimal sind. Er kann einen grossen Teil der Arbeit erledigen. Und er kann sich auf einen Bereich fokussieren. Diesen Luxus haben wir selten. Und er sowieso kaum.»

Auf dem Trampolin lernt Burgener, seinen Körper zu beherrschen, während er durch die Luft spickt. «Wir tun das nicht, um Kunstturner auszubilden», hat Regazzi einst der «NZZ» gesagt. «Sondern um Katzen auszubilden. Schmeiss die Katze in die Luft, und sie landet auf den Füssen – das ist Snowboarden.»

Und so schmeisst sich Burgener in diesen Tagen dauernd aufs «Tramp», wie er es nennt, wirbelt durch die Luft und landet dann wieder – meist auf den Füssen. «Ich bekomme Woche für Woche Video-Updates», sagt Nati-Coach Regazzi. «Die Fortschritte, die er im vergangenen Monat gemacht hat, sind nicht zu übersehen.»

Gehts schon im Sommer weiter?

Irgendwann wird Burgener das neu gewonnene Gefühl fürs Fliegen auf dem Schnee beweisen müssen. Wann das so weit sein wird, ist unklar. Möglicherweise gehts schon im Sommer in Frankreich in die Halfpipe, möglicherweise im August in Saas-Fee. Bis dahin müssen alle warten. «Ich war so oft verletzt», sagt Burgener. «Da kannst du nur zuschauen, wie die anderen davonziehen. Im Moment ist es so, als ob die ganze Welt verletzt wäre. Alle müssen warten.» Was er nicht sagt: Alle ausser er. Vielleicht zieht Pat Burgener jetzt gerade ein bisschen davon. Auf dem langen Weg zur Olympia-Medaille 2022.

Hauptsache Sport!

Ein Kommentar von Felix Bingesser

Irgendein dümmlicher Marketingheini hat einmal den Slogan «Geiz ist geil» kreiert. Und damit die Perversion der hemmungslosen Konsumgesellschaft auf den Punkt gebracht. Die einmal getragenen ­Socken wegzuwerfen, ist bald billiger, als sie zu waschen.

Irgendjemand hat den Sport und den Fussball auch mal zur wichtigsten Nebensache der Welt erklärt. Auch diese Kategorisierung hat sich in all den Jahren als fatal entpuppt. Die Schubladisierung hat sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Der Sport hat noch immer nicht die Bedeutung, die er verdient. Der Begriff «Nebensache» suggeriert: Toll, aber der nicht systemrelevanten Unter­haltungsbranche zugehörig.

Nun diskutieren wir die Lockerungen der Massnahmen in dieser Corona-Krise. Und Bundesrat Alain Berset redet lieber von den Coiffeuren, den Floristen oder den Buchhändlern statt vom Sport. Obwohl viele Leute lieber den Fussball zurückhätten, statt sich die Haare schneiden zu lassen.

Und Frau Amherd, die eigentlich die Sportministerin des Landes ist, hat wochenlang über den PR-Einsatz der Armee referiert. Aber eine griffige Strategie zum Sport fehlt.

So hat man nun eine fatale Situa­tion der Ungewissheit. Und das Damoklesschwert, dass es noch ein Jahr dauern kann, bis es wieder Sportveranstaltungen mit Publikum gibt. Was ganze Ligen und praktisch sämtliche Klubs in existenzielle Nöte bringt.

Darum muss man mit allen Mitteln versuchen, den Meisterschaftsbetrieb im Fussball irgendwie wieder zum Laufen zu bringen. Das ist keine Zwängerei. Sondern der Fussball und der Sport verdienen es, wie viele anderen Branchen auch, gerettet zu werden.

Und wenn jetzt einige Hobbyphilosophen aus dem Busch kriechen und diese Krise zum Anlass nehmen, über die Auswüchse im Salärwesen bei den Profisportlern nachzudenken, so ist auch das kurz gegriffen. Im Rest der Wirtschaft werden auch weiter Millionensaläre, Boni und Dividenden bezahlt. Hier mit dem Finger wieder nur auf den Sport zu zeigen, ist grotesk.

Die einzige Erkenntnis, die schon jetzt klar ist: Auch der Fussball lebt von den Menschen und den Fans, die ihn tragen. Geisterspiele werden erschreckend wenig Spass machen. Vielleicht lernen jetzt die Klubs wieder, dass ihre Anhänger die verlässlicheren Partner sind als Sponsoren und TV-Stationen. Die Fans sind das einzige Kapital, das sie haben.

Ein Kommentar von Felix Bingesser

Irgendein dümmlicher Marketingheini hat einmal den Slogan «Geiz ist geil» kreiert. Und damit die Perversion der hemmungslosen Konsumgesellschaft auf den Punkt gebracht. Die einmal getragenen ­Socken wegzuwerfen, ist bald billiger, als sie zu waschen.

Irgendjemand hat den Sport und den Fussball auch mal zur wichtigsten Nebensache der Welt erklärt. Auch diese Kategorisierung hat sich in all den Jahren als fatal entpuppt. Die Schubladisierung hat sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Der Sport hat noch immer nicht die Bedeutung, die er verdient. Der Begriff «Nebensache» suggeriert: Toll, aber der nicht systemrelevanten Unter­haltungsbranche zugehörig.

Nun diskutieren wir die Lockerungen der Massnahmen in dieser Corona-Krise. Und Bundesrat Alain Berset redet lieber von den Coiffeuren, den Floristen oder den Buchhändlern statt vom Sport. Obwohl viele Leute lieber den Fussball zurückhätten, statt sich die Haare schneiden zu lassen.

Und Frau Amherd, die eigentlich die Sportministerin des Landes ist, hat wochenlang über den PR-Einsatz der Armee referiert. Aber eine griffige Strategie zum Sport fehlt.

So hat man nun eine fatale Situa­tion der Ungewissheit. Und das Damoklesschwert, dass es noch ein Jahr dauern kann, bis es wieder Sportveranstaltungen mit Publikum gibt. Was ganze Ligen und praktisch sämtliche Klubs in existenzielle Nöte bringt.

Darum muss man mit allen Mitteln versuchen, den Meisterschaftsbetrieb im Fussball irgendwie wieder zum Laufen zu bringen. Das ist keine Zwängerei. Sondern der Fussball und der Sport verdienen es, wie viele anderen Branchen auch, gerettet zu werden.

Und wenn jetzt einige Hobbyphilosophen aus dem Busch kriechen und diese Krise zum Anlass nehmen, über die Auswüchse im Salärwesen bei den Profisportlern nachzudenken, so ist auch das kurz gegriffen. Im Rest der Wirtschaft werden auch weiter Millionensaläre, Boni und Dividenden bezahlt. Hier mit dem Finger wieder nur auf den Sport zu zeigen, ist grotesk.

Die einzige Erkenntnis, die schon jetzt klar ist: Auch der Fussball lebt von den Menschen und den Fans, die ihn tragen. Geisterspiele werden erschreckend wenig Spass machen. Vielleicht lernen jetzt die Klubs wieder, dass ihre Anhänger die verlässlicheren Partner sind als Sponsoren und TV-Stationen. Die Fans sind das einzige Kapital, das sie haben.

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