Die Skibrille blieb im Zielraum von Pyeongchang unten, die wartenden Journalisten sollten ihre Tränen nicht sehen. Patrizia Kummer (31) war soeben in der ersten Runde des Olympia-Rennens gegen Esther Ledecka ausgeschieden. Dass Ledecka später Gold holen sollte – ein schwacher Trost.
Bis zuletzt hatte die Olympiasiegerin von Sotschi daran geglaubt, ihren Titel in Südkorea irgendwie verteidigen zu können. Und dann zeigte sie eben doch ein Rennen, das zu ihrer verknorzten Saison passte. Platz 12 im türkischen Kayseri sollte das höchste der Gefühle bleiben für die dreifache Gesamtweltcup-Siegerin, am Ende der Saison wurde sie vom Nationalteam ins A-Kader degradiert. «In Südkorea fiel der Entscheid, dass sich etwas ändern muss», sagt Kummer. Dort suchte sie das Gespräch mit Sacha Giger, dem langjährigen Snowboard-Disziplinenchef beim Schweizer Verband. «Ich habe ihm gesagt, dass etwas gehen muss, dass ich Unterstützung brauche.»
Vorher war sie jahrelang auf eigene Faust unterwegs gewesen: Mit einem Privattrainer oder mit einem Privatteam, das sie massgeschneidert betreute. Nun fasste sie den Entschluss: Sie wollte zurück ins Verbandsteam. «Das gibt mir mehr Sicherheit – auch finanziell. Und ich muss die Planung nicht mehr komplett alleine stemmen.»
Die Rückkehr von Kummer ist ein Schachzug, von dem möglichst alle profitieren sollen. «Für sie ist es wertvoll, dass sie sich regelmässig mit dem Team messen kann», sagt Giger, seit diesem Sommer Sportdirektor für Snowboard, Freestyle und Telemark bei Swiss-Ski. «Aber auch für die anderen Athletinnen ist es ein Gewinn, dass mit Patrizia jemand mit grosser Erfahrung in den Trainings dabei ist.» Dazu komme Kummers Persönlichkeit. «Sie weiss, was sie will, sagt auch, wenn ihr etwas nicht passt. Ich glaube, das tut unserer Mannschaft gut.» Im Oktober gabs die ersten gemeinsamen Schneetrainings.
«Ich brauche daneben etwas, wo ich den Kopf lüften kann»
Doch nicht nur auf der Piste hat die 31-Jährige umgestellt. «Bis letzte Saison habe ich alles gleich gemacht wie mit 24. Ich habe gemerkt, dass das nicht mehr funktioniert. Ich habe mit 31 andere Bedürfnisse als damals.» Heisst konkret: Auch abseits des Schnees geht es zurück zu den Wurzeln. Kummer ist zurück ins Wallis gezogen, sie hat eine Wohnung in in Mühlebach, wo die Eltern ein Bed & Breakfast führen. Dort hilft sie wieder mehr mit. «Das tut mir sehr gut. Ich kann ja nicht nur trainieren. Ich brauche daneben etwas, wo ich den Kopf lüften kann. Ich helfe bei der Bedienung oder stehe in der Küche. Meine Mama und ich sind das schnellste Team, wenn es stressig wird.» Dann steht die Olympiasiegerin von 2014 am Tresen, macht Walliserteller oder Glacé zurecht. Ebenfalls weit oben auf Kummers Liste: Abwaschen. «Geschirr spülen ist eine gute Arbeit. Es ist sehr meditativ, du hast keine Verantwortung, du musst nichts denken. Das tut meinem Kopf gut.»
Wenn es dem Kopf gut geht, gehe es ihr sportlich gut, glaubt Kummer. «Ich hatte eine mentale Mauer letzte Saison. Die ist jetzt nicht mehr vorhanden.» Am Wochenende folgt in Carazza (Italien) die Nagelprobe: das erste Weltcuprennen der Saison. Dann zeigt sich, ob die Brille bald nach oben geklappt wird.