BLICK: Jan Boklöv, wie oft hat Ihr Telefon in den letzten Tagen geklingelt?
Jan Boklöv: Nicht häufiger als sonst.
Wirklich? Heute vor 30 Jahren haben Sie erstmals in einem Wettkampf den V-Stil gezeigt. Und damit die Welt des Skispringens revolutioniert.
Aber das ahnte damals keiner. Wissen sie, hier in Schweden ist Skispringen nicht so populär. Die Journalisten rufen schon immer wieder mal an, wenn sie etwas schreiben müssen – aber nicht unbedingt wegen des Jubiläums.
Tut Ihnen das weh?
Überhaupt nicht. Meine Zeit als Skispringer liegt so lange zurück. Ich arbeite mit Kindern in Schulen und kaum eines weiss, was ich damals machte. Höchstens deren Eltern, meistens deren Grosseltern.
Sie kamen 1985 per Zufall auf den V-Stil.
Genau. Ich trainierte ich auf meiner Heimschanze in Falun. Der Wind kam stark von vorne. Kurz nach dem Absprung riss es mir die Ski, die man im klassischen Stil parallel hielt, an den Spitzen auseinander. Mein Körper formte sich wie eine Banane. Ich dachte, ich würde stürzen. Doch ich hielt mich in der Luft und landete bei 90 Metern.
Was war damals üblich?
70 Meter!
War Ihnen sofort klar, dass Sie das Skispringen revolutionieren würden
Nein, überhaupt nicht. Ich sagte meinen Trainern: «Ich mache jetzt zehn weitere Sprünge in diesem V-Stil. Wenn ich einmal stürze, höre ich auf damit.»
Es ging alles gut.
Physikalisch konnten wir nicht erklären, warum ich so weit sprang. Logisch, es hatte etwas mit dem Luftpolster zu tun. Aber was genau? Letztlich war das nicht mein Problem. Ich brauchte viel weniger Anlauf, um grosse Weiten zu erzielen.
Was änderte sich an der Technik?
Im klassischen Stil war der Absprung entscheidend. Man musste explosiv sein. Im V-Stil war das nicht so wichtig, die Position in der Luft war entscheidend. Ich flog ich nicht mehr, sondern segelte durch die Luft.
Warum haben Sie erst 1988 den V-Stil im Wettkampf gezeigt?
Ich brauchte einige Jahre, um ihn zu perfektionieren. Und weil ich bis dahin nicht viele Erfolge feierte, merkten viele meiner Konkurrenten gar nicht, was ich machte.
Im Winter 1988/89 gewannen Sie dann fünf Springen und den Gesamtweltcup. Man verspottete Sie aber auch, oder?
Ich musste mir doofe Spitznamen ohne Ende anhören. «Krähenhüpfer» nannte man mich in Norwegen.
Obwohl sie oft klar am weitesten sprangen, zog man ihnen viele Punkte wegen des Sprung-Stils ab. Er sei nicht ästhetisch, hiess es.Vor allem an der Vierschanzentournee. Da war ein norwegischer Richter in der Jury, der meinen V-Stil nicht mochte. Er sagte den anderen Richtern, sie dürften mir nicht mehr als 13 Punkte geben. Sollten sie es machen, würden sie ihren Job verlieren. Er war ihr Chef. Sie folgten ihm.
Wie gross waren die Folgen?
Früher bekam ich immer zwischen 17 und 18 Punkten pro Sprung. Auf einmal waren es 13. Einige Richter kamen zu mir und sagten: «Sorry, ich kann dir nicht mehr Punkte geben.»
Was war grösser: Ihre Enttäuschung oder Wut?
Gar nichts. Ich konnte es nicht ändern, es war einfach so. Wissen Sie, in Garmisch gab es damals 25 Springer, die zwischen 89 und 91 Meter weit flogen. Man konnte gar nicht weiter springen – es bildete sich ein Loch im Schnee, weil alle am gleichen Ort landete. Und dann flog ich über das Loch hinweg. Auch wenn viele das nicht mochten: Ich war letztlich dank meinen Weiten doch so erfolgreich wie nie zuvor.
Und das, obwohl Sie seit Ihrem 11. Lebensjahr an Eppilepsie litten.
Ich hatte etwa 40 Anfälle im Jahr. Als ich als kleines Kind beim Arzt war, hatte ich Angst. Ich dachte, er würde mir das Skispringen verbieten. Aber er sagte: «Du musst keine Angst haben, du hast alles, was es braucht.» Er gab mir grünes Licht.
Hatten Sie während eines Sprungs nie einen Anfall?
Nein. Vor und nach dem Wettkampf, da kam es vor. Aber ich achtete auf die Krankheit. Und beim Springen war sie nie ein Problem, denn da war ich unglaublich konzentriert – dadurch hatte ich keine Anfälle.
Zurück zum V-Stil, den ihre Konkurrenten kopierte. Sind Sie im Nachhinein stolz darauf?
Es war klar, dass das passieren würde. Ich habe einen neuen Skisprung-Stil erfunden, ja. Aber ich wollte die Welt nicht verändern. Im Gegenteil: Die Welt hat mich verändert.
Das war trotzdem ein schönes Gefühl, oder?
Auf meine Erfindung bin ich nicht stolz. Aber ich bin stolz darauf, dass ich trotz grosser Widerstände und Hähme mir treu blieb, mein Ding durchzog. Steve Collins schaffte das nicht...
Er sprang Anfang der 80er einen umgekehrten V-Stil, mit den Skispitzen, die sich fast berührten.
Collins war nicht stark genug, um daran zu glauben. Die Juroren und Trainer stoppten ihn. Ich hab dagegen immer gemeint: «Sagt, was ihr wollt. Ich bleibe dabei.»
Zu Ihrer Zeit gab es noch keine Schanzen für 200 Meter. Bereuen Sie es, dass Sie das Gefühl, so lange fliegen zu können, nicht erleben durften?
Nein. Immerhin gibt es diese Schanzen nur dank mir.
Wie meinen Sie das?
Im klassischen Stil hatte man einen hohen Luftstand. Beim V-Stil dagegen war das nicht mehr nötig, man flog dem Hang entlang. Wir begannen immer mehr, im Flachen zu landen. Letztlich musste man für viele Millionen alle Schanzenanlagen ändern. So gesehen bin ich der teuerste Mann in der Geschichte des Skispringens (lacht).
Am 31. Januar 1993 beendeten Sie ihre Karriere. Weil Sie nicht mehr gewannen?
Vielmehr weil ich zwei Jahre davor beide Beine gebrochen hatte. Ich konnte beim Anlauf nicht mehr die richtige Position einnehmen und hatte folglich in der Luft eine Rotation. Es machte keinen Spass mehr, ich hatte mein Limit erreicht.
Was taten Sie danach?
Nach meinem Rücktritt habe ich in einem Kindergarten gearbeitet. Dann lebte ich mit meiner Frau 10 Jahre lang in Luxemburg, später in Brüssel – sie war Politikerin. Ich arbeite weiterhin mit Kindern und lebe in Stockholm.
Verfolgen Sie das Skispringen?
Nicht wirklich. Ich bekomme vieles mit, schaue Sprünge auf Youtube an. Aber meine Zeit ist vorbei. Ich bin zwar noch immer im Skisprung-Klub Stockholm, aber da bin ich vor allem das Gesicht, um Gled bei Sponsoren zu generieren. Einige kennen mich ja letztlich doch noch... (schmunzelt).
Was aus Ihrem Leben geben Sie den Kindern weiter?
Ich sage ihnen: «Versuche nicht, jemand anderes zu sein. Dann verlierst du die Kontrolle. Es ist egal, was die anderen sagen.»