Sie sind zwei Grosse des Fachs: Simon Ammann (36) und Gregor Schlierenzauer (27). Längst sind sie Skisprung-Legenden – auch wenn sie ihre Karrieren noch nicht beendet haben. Während der Toggenburger für den Weltcup-Auftakt in Wisla (Pol) am 18. November bereit ist, muss der Österreicher (noch) zuschauen. Er leidet an den Folgen eines Trainingssturzes, bei dem er sich einen Einriss des inneren Seitenbandes im Knie zuzog. Schlierenzauer: «In erster Linie bin ich froh, dass nicht mehr passiert ist und sehe das positiv. Jetzt habe ich mehr Zeit in der Vorbereitung auf Schnee.» Und für ein Doppel-Interview mit Ammann.
Simon und Gregor, welche ist ihre erste Erinnerung an den anderen?
Ammann: Bewusst habe ich Gregor erstmals im März 2006, bei seinem ersten Weltcup-Auftritt am Holmenkollen wahrgenommen. Und dann natürlich im Dezember in Lillehammer. Es war sehr beeindruckend, schon deinem dritten Springen hast du den Sieg geholt und den Zirkus ziemlich aufgemischt.
Schlierenzauer: Das war 2002, da war ich zwölf und habe die Olympischen Spiele zuhause angeschaut. Ich war damals grosser Fan von Sven Hannawald und hoffte auf ihn. Doch dann kam Simon! Ich war wie viele andere sehr überrascht, dass er Doppel-Olympiasieger wurde.
Wie nahe stehen Sie sich heute?
Schlierenzauer: Die Vergangenheit verbindet uns, ganz klar. Da ist ein grosser Respekt dabei, wir haben Vieles – nicht nur Regeländerungen – mitgemacht. Wir waren beide ganz oben und ganz unten. Es ist schön, alte Haudegen wie Simon noch dabei zu haben.
Ammann: Ich schaue selten zurück. Aber vor kurzem habe ich ein Foto von der WM 2007 gefunden...
Schlierenzauer: Hatte ich ein Bier in der Hand?
Ammann: Du nicht (lacht)! Im Ernst: Unsere intensiven Duelle sind ein prägender Teil meiner Karriere. Später werde ich aber viel lieber daran zurückdenken als jetzt.
Sie haben viel gewonnen, stehen mitten im Leben. Warum stürzen sie sich weiterhin mit 90 km/h in den Abgrund?
Schlierenzauer: Weil es nach wie vor ein unglaublich schönes und intensives Gefühl ist, durch die Luft zu fliegen, leicht zu sein, im Moment zu leben. Wenn ich ganz oben auf der Schanze sitze und nach unten blicke, kriege ich Gänsehaut. Zudem: Der Zug ist noch nicht abgefahren, da ist noch Potenzial. Wenn man so viel erreicht hat wie wir zwei, will man wieder ganz nach oben kommen. Und: Wir können es schaffen.
Ammann: Meine Herausforderung ist es, zu beweisen, dass es funktioniert. Nach meinem Sturz 2015 brach eine recht ungemütliche Zeit an, ich habe lange suchen müssen. Das ist normal, weil Skispringen eine sehr komplexe Sportart ist. Trotzdem ist es hart.
Müssen Sie Erfolg haben, um zufrieden zu sein?
Schlierenzauer: Ich nicht. Ich will Freude haben und jene Erlebnisse spüren, welche diese geile Sportart hergibt. Pokale und Medaillen sind eine Belohnung. Der Weg dahin, also das tägliche Training, ist aber wichtiger.
Ammann: Ich sehe es nicht so spannungsfrei wie du, Gregor. Für mich ist es schwierig, die Bestätigung zu finden für das, was ich einmal geschafft habe.
Schlierenzauer: Der Schriftsteller Paulo Coelho beschäftigte sich ebenfalls mit der Frage, was Erfolg ist. Er schrieb: «Jeden Tag ins Bett zu gehen und seine Seele in Frieden zu haben.» Das triffts für mich auf den Punkt.
Ammann: Unsere Situation ist halt unterschiedlich. Gregor, du hast noch viele Jahre vor dir. Ich aber bin an der Bettkante und drohe, herauszufallen (Beide lachen). Darum rede ich nicht gerne über Erfolg. Denn ich weiss: Ich muss den Tritt irgendwie wieder finden...
Schlierenzauer: Das finde ich nicht.
Ammann: Weil du noch viel weiter vom Ende der Karriere entfernt bist.
Schlierenzauer: Nein, Simon. Da bin ich nicht deiner Meinung. Wir beide haben so viel erreicht, wir könnten sofort die Ski in die Ecke stellen, Dankeschön und «Das wars!» sagen.
Ammann: Für mich fühlt es sich trotzdem an, als würde ich bald aus dem Bett fallen.
Schlierenzauer: Diesen Gedanken kannst du vergessen. Ob der Abschluss deiner Karriere positiv ist oder nicht, ist egal. Für mich wirst du immer einer der Grössten bleiben.
Gregor, Sie haben einmal gesagt: «Es gibt Wichtigeres als 50 dumme Weltcupsiege.»
Schlierenzauer: Davon bin ich überzeugt. Das Leben bietet viel mehr – Skispringen ist nicht das Wichtigste.
Ammann: Ich versuche schon lange, diese Einstellung zu finden (schmunzelt).
Gregor, vor fast zwei Jahren haben Sie die Reissleine gezogen und dem Skispringen den Rücken gekehrt. Warum?
Schlierenzauer: Das hatte sich lange vorher angekündigt. Ich war müde, ausgebrannt, leer. Dazu hatte ich private Probleme, meine Freundin und ich hatten uns getrennt. Ich wusste: Wenn ich gleich weitermache, werde ich krank. Ich musste die Handbremse ziehen.
Kurz darauf haben Sie sich beim Skifahren das Kreuzband gerissen. Brutal!
Schlierenzauer: Im Nachhinein war es aber gut. In diesem Jahr ohne Skispringen habe ich mich ausgelebt und gewisse Lebensphasen, die ich verpasst hatte, nachgelebt. Seither sehe ich die Welt mit anderen Augen. Vor meiner Auszeit habe ich mich als Kind gefühlt – jetzt bin ich ein Mann.
Warum haben Sie nie freiwillig eine längere Pause eingelegt, Simon?
Ammann: Das hat auch damit zu tun, dass ich zu wenige Möglichkeiten habe, viel aufzuholen. Bei einer langen Pause würde körperlich sehr schnell viel wegbrechen.
Sie hatten auch mehr Zwischentiefs.
Ammann: Genau. Das ist der Unterschied zu dir, Gregor. Ich war immer wieder unten, musste mich früh damit auseinandersetzen, hatte also Zeit. Du standst aber immer voll im Rampenlicht.
Schlierenzauer: Man darf nicht vergessen, dass wir bereits 16 bereits an der Weltspitze und von da an äusserst professionell leben mussten. Da bleibt sehr wenig Zeit, um ein normales Leben als Teenager zu führen.
Viele tausend Sprünge liegen hinter ihnen. Welcher war der Allerbeste?Schlierenzauer: Darf ich eine Gegenfrage stellen?
Nur zu!
Schlierenzauer: Wann hatten Sie ihren schönsten Sex?
Keine Ahnung. Aber Sex ist auch nicht wie das Skispringen an einen Event gekoppelt.Schlierenzauer: Zum Glück nicht (lacht)!
Nochmals: Ihr schönster Sprung?
Schlierenzauer: Weltcup in Sapporo 2009, Probedurchgang. 134,5 Meter.
Ammann: Einer meiner besten war der Finaldurchgang von der kleinen Schanze in Vancouver 2010. Da war ich selber überrascht, wie viel Energie in diesem Sprung hatte. Das ging gewaltig ab.
Simon, stört es Sie eigentlich nicht, dass Sie auch mit 36 noch alle mit «Simi» ansprechen?
Ammann: Mir fällt das gar nicht mehr auf. Aber warum fragen Sie?
Weil Gregor auch nicht mehr «Schlieri» genannt werden will.
Ammann: Ich kann es verstehen, wenn das Gregor stört. Dir geht es um einen grundsätzlichen Respekt, oder?
Schlierenzauer: Ich möchte einfach nicht mehr «Schlieri» genannt werden. Das ist eine Verniedlichung und hat als Teenager gepasst. Jetzt aber bin ich der Gregor.
Können Sie sich vorstellen, wie Simon bis 36 zu springen?
Schlierenzauer: Ja, alles ist möglich. So lange es mir Spass macht und mich die Jungen nicht verblasen, werde ich den Weg weitergehen.
Ihre Karriere wird nicht mehr viele Jahre andauern, Simon. Was folgt?
Ammann: Ich habe gemeinsam mit Ex-Skispringer Martin Schmidt und meinem ehemaligen Berater bereits jetzt eine Sportagentur. Dazu gibt es weitere Projekte, die mir viel abfordern. Der Switch zu meinem neuen Leben wird nicht gross sein, ich werde gut «rüberrutschen» (schmunzelt).
Gregor, sie trainieren oft mit Junioren, helfen ihnen. Können Sie sich vorstellen, nach ihrer Karriere Trainer zu werden?
Schlierenzauer: Ich habe bereits Ausbildungen in Richtung Coaching und Psychologie gemacht und würde meine Erfahrungen gerne noch mehr an junge Sportler weitergeben. Aber Skisprung-Trainer? Nein, ihr werde mich wohl kaum je Fähnchen schwingend am Schanzentisch sehen.
Ammann: Mir geht es ähnlich. Aber aus einem anderen Grund. Für den Job als Trainer bin ich wohl zu wenig geduldig. Das müsste ich noch lernen (schmunzelt).
Simon ist ausgebildeter Pilot. Gregor, würden Sie nach ihrer Karriere gerne mal mit ihm über die Alpen fliegen?
Schlierenzauer: Wenn ich eines Tages alt und grau bin, Enkelkinder in den Armen halte und mir richtig langweilig ist, rufe ich dich an, Simon. Dann sage ich: «Ich brauche mal wieder einen Adrenalinkick. Hol mich bitte ab!»
Ammann: Mach ich gerne!
Mit 16 Jahren tauchte Simon Ammann im Weltcup auf. In den folgenden 20 Jahren bis heute sammelte der Toggenburger 23 Weltcupsiege. Vor allem aber wurde er zweimal (!) Doppel-Olympiasieger: Sowohl 2002 in Salt Lake City (USA) als auch 2010 in Vancouver (Ka) räumte «Simi» gross ab. Er erlebte aber auch die Schattenseiten des Sports. Vor zwei Jahren stürzte Ammann in Bischofshofen schwer, er war kurz bewusstlos und erlitt eine Gehirnerschütterung. Der 1.73 m grosse und 58 Kg und seine Frau Yana haben einen Sohn (Théodore, 3) und eine Tochter (Charlotte, 9 Monate).
Mit 16 Jahren tauchte Simon Ammann im Weltcup auf. In den folgenden 20 Jahren bis heute sammelte der Toggenburger 23 Weltcupsiege. Vor allem aber wurde er zweimal (!) Doppel-Olympiasieger: Sowohl 2002 in Salt Lake City (USA) als auch 2010 in Vancouver (Ka) räumte «Simi» gross ab. Er erlebte aber auch die Schattenseiten des Sports. Vor zwei Jahren stürzte Ammann in Bischofshofen schwer, er war kurz bewusstlos und erlitt eine Gehirnerschütterung. Der 1.73 m grosse und 58 Kg und seine Frau Yana haben einen Sohn (Théodore, 3) und eine Tochter (Charlotte, 9 Monate).
Der Tiroler galt schon früh als unglaubliches Talent. Bei seinem erst dritten (!) Weltcup-Springen landete er bereits zuoberst auf dem Podest. Es folgten 52 weitere Siege, womit Schlierenzauer als erfolgreichster Skispringer der Geschichte ist. Vier WM-Goldmedaillen und zwei Siege bei der Vierschanzentournee runden sein Palmares ab. 2016 zog sich Schlierenzauer vom Sport zurück. Kurz darauf erlitt er beim Skifahren einen Kreuzbandriss. Anfang 2017 gab er sein Comeback. Noch fehlt «Schlieri», wie er oft genannt wird, Olympia-Gold in einem Einzelspringen.
Der Tiroler galt schon früh als unglaubliches Talent. Bei seinem erst dritten (!) Weltcup-Springen landete er bereits zuoberst auf dem Podest. Es folgten 52 weitere Siege, womit Schlierenzauer als erfolgreichster Skispringer der Geschichte ist. Vier WM-Goldmedaillen und zwei Siege bei der Vierschanzentournee runden sein Palmares ab. 2016 zog sich Schlierenzauer vom Sport zurück. Kurz darauf erlitt er beim Skifahren einen Kreuzbandriss. Anfang 2017 gab er sein Comeback. Noch fehlt «Schlieri», wie er oft genannt wird, Olympia-Gold in einem Einzelspringen.