Skisprung-Junkie Ahonen
«Ich will nie wieder trinken»

Das Skispringen ist seine Sucht, der Motorsport seine Ersatzdroge, das Rauchen sein Laster, die zwei Söhne sein grösster Stolz. Willkommen in der Welt des Janne Ahonen!
Publiziert: 22.12.2013 um 18:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 21:41 Uhr
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Janne Ahonen: 36 und immer noch ein Skisprung-Junkie.
Foto: Keystone
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Janne Ahonen: 36 und immer noch ein Skisprung-Junkie.
Foto: Keystone
Von Philipp Bärtsch

Das Taxi wird gleich vorfahren und Janne Ahonen und SonntagsBlick vom Flughafen Zürich nach Engelberg bringen. Kaum an der frischen Luft, kramt der 36-jährige Finne Zigaretten und Feuerzeug hervor. Und pafft genüsslich vor sich hin. «Ich rauche, seit ich 16 bin», sagt Ahonen, als er im Taxi Platz genommen hat. «Damals rauchten fast alle Skispringer. Jetzt tun es weniger, aber immer noch viele.»

Natürlich helfen Zigaretten, den Appetit zu zügeln. Für einen Skispringer, der jahrelang mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte, ein willkommener Effekt. «Aber ich rauche nicht wegen des Gewichts», beteuert Ahonen. Wonach ist Janne denn süchtiger – nach Nikotin oder nach Skispringen? «Wenn ich etwas davon lassen müsste, dann das Rauchen.»

Das Skispringen scheint ihn dagegen mehr denn je in den Bann gezogen zu haben. 2008 hatte Ahonen aufgehört, 2009 kehrte er zurück. 2011 warf er – völlig demotiviert – den Bettel wieder hin.

Jetzt ist Ahonen, einer der erfolgreichsten Skispringer der Geschichte, wieder da. «Ich trat zweimal zurück und sagte zweimal, dass es sicher kein Comeback geben werde. Ich sage nie wieder ‹nie›.» Noch bewegt sich Ahonen im Mittelmass. Rang 5 vor Wochenfrist in Titisee war der Ausreisser nach oben. Die zwei Wettkämpfe in Engelberg beendet er auf den Plätzen 23 und 29.

Ahonen hat ein Buch schreiben lassen über sich. Titel: «Königsadler». Ein Königsadler, der vor der Saison jahrelang Abmagerungskuren auf sich nahm, um sein Wettkampfgewicht zu erreichen. Der vor allem Kaffee in sich hineinschüttete. Und auch regelmässig zum Rauschtrinker wurde.

Die Episode vom Weltcup-Finale 2005 sorgt heute noch für Kopfschütteln. Ahonen fliegt in Planica 240 m weit. Das wäre Weltrekord. Doch der Überflieger stürzt. Was damals kaum jemand weiss: Am Vorabend war Ahonen sturzbetrunken. «Wir kauften am Samstag Bier ein, um am Sonntag das Saisonende zu begiessen. Wir konnten dann doch nicht widerstehen und verloren schliesslich die Kontrolle. Das war so dumm.»

Seit einem halben Jahr hat Ahonen keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. «Und ich will auch nie wieder trinken. Kein Bier, keinen Wein, keinen Whisky.» Auch die Ernährung hat er umgestellt. Auf viele Früchte und Gemüse. Er wiegt noch 65 statt 70 oder mehr Kilogramm – und sagt trotzdem, das radikale Hungern gehöre der Vergangenheit an. Das liegt natürlich auch an der BMI-Regel, die der Weltverband FIS 2004 einführte und seither zweimal verschärfte.

Ahonen ist beseelt vom Wunsch, in Sotschi endlich eine olympische Einzelmedaille zu gewinnen. Würde er Simon Ammann einen Tournee-Triumph geben, wenn er dafür eine von dessen vier Olympia-Goldmedaillen bekäme? «Nein! Die Leistung von Simi ist unglaublich. Aber an der Tournee brauchst du acht gute Sprünge, sonst reichen zwei.» Ahonen will sich ohnehin nicht zu sehr auf Olympia versteifen. Die Tournee ist ihm genauso wichtig. «Als Kind vor dem Fernseher hat sie mich mehr fasziniert als Olympische Spiele und Weltmeisterschaften.»

Sohn Mico wie sein Vater

Damit es in Sotschi klappt, will Ahonen alles besser denn je machen. So verzichtete er im Sommer sogar auf die geliebten Dragster-Rennen. Dragster – das sind automobile PS-Monster, die Ahonen seit 2003 rennmässig fährt. Sein persönlicher Geschwindigkeitsrekord: 512 km/h. Beschleunigung: von 0 auf 100 in 0,4 Sekunden, von 0 auf 500 in 4 Sekunden. Was für Adrenalinkicks! «Beim ersten Skisprung-Training nach einem Rennen kommt mir jeweils alles wie in Zeitlupe vor. Zu Kimi Räikkönen habe ich einmal gesagt, wenn er jemals ein wirklich schnelles Auto fahren wolle, müsse er halt meinen Dragster nehmen.»

Einer, der im Gegensatz zum Formel-1-Star schon Dragster fährt, ist Mico Ahonen. Der ältere Sohn von Janne begann schon als Siebenjähriger damit. Sein erstes Auto erreichte maximal 160 km/h. Jetzt, als Zwölfjähriger, hat Mico ein stärkeres. Der Vater erzählt das, als sei nichts auf der Welt normaler. Janne und Mico haben auch den gleichen Skisprung-Trainer, seit der Vater die Betreuung abgegeben hat, weil er selber wieder aktiv ist. Mico ist Finnlands bester U16-Springer. Janne, der Material-Pedant, näht ihm, sich selber und rund 30 weiteren finnischen Athleten die Anzüge.

Gleich sind auch Ski und Helm, zumindest ähnlich ist der Stil. Den abergläubischen Brauch, vor jeder Saison ein vierblättriges Kleeblatt zu suchen und in die Sprungstiefel zu kleben, hat der Kleine selbstverständlich ebenfalls übernommen. Letztes Jahr sprang Mico daheim in Lahti erstmals von der Grossschanze. Seine Bestweite liegt bei 125 m, nur neun Meter unter jener von Janne. «In seinem Alter sprang ich erst auf kleinen Schanzen und nicht weiter als 45 Meter.»

2017 findet in Lahti die WM statt. «Dann gemeinsam mit Mico im finnischen Team zu sein – davon träume ich.» Janne Ahonen scheint die Sucht seines Lebens nicht so schnell loszulassen. Wen erstaunt es da, dass im Frühjahr auch sein zweiter Spross, der fünfjährige Milo, mit dem Skispringen begonnen hat?

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