Es war vor vielen Jahren, da liess sich Otto Hügin von einem fernöstlichen Mediziner untersuchen. Besonders die Zunge des gebürtigen Baslers hatte es dem weisen Mann aus China angetan. Er betrachtete sie von oben, er betrachtete sie von unten, betastete sie – und prophezeite schliesslich: «Sie werden bestimmt an die hundert Jahre alt!»
Der Zungendeuter hat recht behalten. Heute feiert Otto Hügin, Ehrenpräsident des Schweizer Eislauflehrer-Verbandes, Ehrenmitglied des Schweizer Eislauf-Verbandes und Träger der Goldmedaille der International Professional Skating Association, seinen 99. Geburtstag. Den weniger Eislaufbegeisterten ist er vor allem als langjähriger Trainer der früheren Weltmeisterin (1981) Denise Biellmann bekannt.
Der Heilpraktiker aus dem Fernen Osten hatte erkannt, wie viel Kraft und Sportsgeist in diesem Körper stecken.
Apropos erkennen: Wer sich in diesen Tagen an der Dolder Eislaufbahn in Zürich umtut, sieht den sagenumwobenen Trainer schon von weitem: Festen Schrittes, ohne Gehhilfe läuft der «Mann mit der Pelzmütze» an der Bande entlang.
Die Schlittschuhe mutet er sich heute nicht mehr zu. Als Beobachter aber ist er nach siebzigjähriger Trainerkarriere noch immer leidenschaftlich engagiert. Hier oben am Zürichberg ist der rüstige Fachmann allseits bekannt. «Bin ich nicht zu Hause, bin ich da», sagt er. «Zum Kaffeetrinken oder um den Trainern dreinzureden.»
Erfolge als Tennistrainer
Als Eisläufer beeindruckte Hügin Publikum und Fachwelt mit seinem einzigartigen Spreizsprung. Als Trainer erfand er die «Biellmann-Pirouette». Als begnadeter Tennisspieler trainierte er die Besten des Landes, einmal spielte er sogar mit dem britischen Wimbledon-Sieger Fred Perry.
Vier Bücher übers Eislaufen hat er geschrieben, noch heute grübelt Hügin über physikalische Gesetze und raffinierte Sprungtechniken seines Lieblingssports nach. «Ich habe herausgefunden, wie man nach der Landung am schnellsten Tempo generieren kann», deutet der alte Fuchs an – aber wie das funktioniert, verrät er nicht. Mit seinen neusten Erkenntnissen will er lieber Eisläufern, aber auch dem Schanzenflieger Simon Ammann oder dem Schweizer Ski-Team durch den Olympia-Winter helfen.
Hügin verschmitzt: «Sollten die alle plötzlich viel besser werden, denken Sie an mich …» Nicht einmal auf Nachfrage will er Details zum Besten geben, «sonst lesen das noch die Österreicher!»
Er mag nicht mehr gut sehen, ein Hörgerät braucht er auch. Aber alles andere funktioniert bestens – Humor inklusive. «Lassen die Augen nach, brauchts Fantasie. Autos und schöne Frauen sind noch heute meine Schwäche», sagt er verschmitzt.
Verbeugung vor seiner Rosmarie
Wahre Wunder hat er als Trainer schon vollbracht – darunter 40 Jahre allein auf der Dolder-Kunsteisbahn. Mit der heute 50-jährigen Eislauf-
Legende Denise Biellmann, die er als Dreijährige unter seine Fittiche nahm, räumte er Gold an Schweizer, Europa- und Weltmeisterschaften ab. «Denise ist ein Jahrhunderttalent», so Hügin, aber auch seine Frau Rosmarie – ebenfalls eine erfahrene Trainerin – habe ihren Anteil an Biellmanns Medaillen-Ernte. «Sie hat über Jahre viel dazu beigetragen.»
Wie bestellt, läuft im selben Augenblick Denise Biellmann höchstpersönlich auf ihren Mentor zu. In fünf Minuten will sie eine Gruppe junger Mädchen trainieren, aber für ein Geburtstagsfoto mit ihrem Otto nimmt sie sich gerne Zeit. «Du wirst 99», strahlt sie, ohne dass ihr jemand den Anlass unseres Besuches verraten hat. «Natürlich hab ich mitgezählt!»
Ein Tisch für zwölf Personen ist heute im Hotel Dolder Waldhaus für Familie Hügin reserviert. Der Jubilar: «Beim Hundertsten gehen wir dann ins Hotel Dolder Grand und machen auf Extravaganz!»