Eigentlich hat Beat Hefti einen gemütlichen Familien-Sonntag mit seiner Frau und den Kindern geplant. Doch eine Hiobsbotschaft am Sonntagmorgen macht alles anders: «Ich habe den halben Tag in meinem Fotoarchiv gewühlt und Bilder gesucht, wo Steven und ich gemeinsam drauf sind», sagt Hefti. «Das von der Zweier-Siegerehrung bei Olympia 2014 in Sotschi, wo ich mit Alex Baumann Silber bekam und Steven Holcomb Bronze, bleibt mir für immer in besonderer Erinnerung.»
Solche Fotos wird es nie mehr geben. Am Samstag wurde der 37-jährige US-Pilot in seinem Zimmer im Trainingszentrum von Lake Placid tot aufgefunden. Todesursache unbekannt, Fremdeinwirkung ausgeschlossen, schreibt das nationale olympische Komitee der USA. Eine Obduktion soll Klarheit bringen.
Hefti kann die Nachricht nicht glauben. «Steven und ich sind fast gleich alt. Auch er hat einst als Anschieber begonnen und danach als Pilot grosse Erfolge gefeiert. In Sotschi standen wir mit Sieger Subkow zusammen auf dem Olympia-Podest. Bei unserer Heim-WM 2013 in St. Moritz hat mich Steven als Dritter vom Podest gedrängt, bei anderen Rennen wars umgekehrt», sagt Hefti.
Suizid-Versuch geplant
«Wir waren uns auch menschlich sehr ähnlich», sagt der erfolgreichste Schweizer Bobpilot der letzten zehn Jahre. «Steven war eher ein ruhiger, besonnener Typ, der es neben den Bobbahnen auch gerne einmal gemütlich mochte. Nicht so aggressiv und verbissen wie andere Konkurrenten. Selbst vor dem Start zu einem Rennen haben wir noch Sprüche geklopft.»
Nicht nur die US-Bobszene rätselt über die Ursache von Steven Holcombs Tod. Auch Hefti kennt Holcombs Geschichte von der bedrohlichen Augenkrankheit «Keratokonus» – ein schleichender Prozess bis zum Erblinden. In seiner Autobiografie hat Holcomb geschrieben, deshalb 2007 einen Suizid-Versuch geplant zu haben. «Doch ich habe mich entschieden, selbst gegen die Dämonen zu kämpfen – ohne jemandem davon zu erzählen oder mir Hilfe von anderen zu holen», schrieb Holcomb darin. Auch dass er noch nach der Augenoperation unter Depressionen gelitten habe.
Aber davon habe sich Holcomb ihm gegenüber nichts anmerken lassen, sagt Beat. «Sicher, Steven hat nicht immer den gesündesten Lebenswandel geführt – ein Bier hat er jederzeit gerne gemocht.» Auch Holcombs Manager Brant Feldman ist fassungslos. «Unsere letzte Begegnung vor wenigen Tagen war so cool. Steven und ich haben über den richtigen Zeitpunkt für einen Rücktritt diskutiert.»
Olympia 2018 in Pyeongchang sollte das noch nicht sein. «Die WM 2019 in Whistler hätte Holcombs Schwanengesang werden sollen.» Dort also, wo er 2010 Olympiasieger im Vierer geworden war.