Noch ist die Zeit nicht reif. Noch bleiben rund zwei Monate bis zum grossen Saisonhöhepunkt. Zwar blickt Lena Häcki-Gross (29) auf eine «optimale Saisonvorbereitung» zurück. Sie habe bei «perfekten Bedingungen und wunderbarem Wetter trainieren können». Doch die Topform will sie erst im Februar erreichen – wenn in Lenzerheide GR das erste Mal Biathlon-Weltmeisterschaften der Frauen und Männer in der Schweiz ausgetragen werden. «Einen solchen Grossanlass zu Hause zu erleben, ist sehr speziell», sagt sie – und spricht von einer «einmaligen Chance im Leben einer Spitzensportlerin».
So ist alles auf dieses Highlight ausgerichtet. Oder wie es Häcki-Gross formuliert: «Wir haben das Training so dosiert, dass ich Anfang Saison noch nicht in Topform bin, sondern dass ich diese mit den ersten paar Rennen erreichen werde.» So sei sie dann im Februar «ready».
Erster Weltcupsieg der Karriere
Die saisonübergreifende Formkurve gibt aber ohnehin Grund zu Optimismus. Im Januar 2024 feierte Häcki-Gross in der italienischen Biathlon-Hochburg Antholz den ersten Weltcupsieg ihrer Karriere (im Kurz-Einzel), Anfang März lief sie am Holmenkollen in Oslo im Massenstartrennen zu ihrem bisher grössten Sieg. Noch heute ist sie von diesem Ereignis überwältigt: «Das ist ein unglaublich tolles Gefühl – in diesem Stadion und vor dieser gewaltigen Kulisse als Erste einzulaufen. Und im Ziel durfte ich sogar die norwegische Prinzessin treffen.»
Lena Häcki-Gross verbreitet den Enthusiasmus und den Überschwang eines euphorisierten Teenagers. Es sind Qualitäten und Emotionen, die ihr halfen, die enttäuschende WM in Nove Mesto in Tschechien zu verdauen. Im Februar 2024 war sie als Mitfavoritin angetreten – aber an den Podestplätzen vorbeigelaufen.
Dies macht deutlich, wie schmal der Grat und wie gross die Leistungsdichte an der Biathlon-Weltspitze geworden sind. Wer nicht sowohl im Schiessen als auch auf der Loipe eine Spitzenleistung abliefern kann, ist chancenlos.
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Ihre Trainerin, die Österreicherin Sandra Flunger, sagt zu Häcki-Gross’ Steigerung: «Lena ist eine sehr laufstarke Athletin. Vor allem hat sie zuletzt die in unserem Sport so wichtige Ruhe entwickelt.»
Lena Häcki-Gross: «Ich habe einen Traumjob»
Sitzt man Häcki-Gross beim Gespräch gegenüber, ist von dieser Ruhe nichts zu spüren. Die junge Frau lacht, scherzt und sprudelt über vor Lebenslust. Allein mit ihrer Fröhlichkeit kann sie einen Raum füllen: «Ich habe einen Traumjob», sagt sie, «ich kann sechsmal pro Woche zweimal am Tag trainieren – und habe erst noch vier Wochen Ferien.»
Sie lebt bei ihrem Mann in der bayerischen Biathlon-Hochburg Ruhpolding oder bei ihren Eltern in Engelberg OW – und während der Saison im Weltcuptross. «Eigentlich bin ich überall zu Hause», sagt sie lachend.
Essstörungen trübten ihre Karriere
Doch im Leben der Sportlerin gab es auch eine düstere Seite. Jahrelang kämpfte Häcki-Gross mit Essstörungen. Als sie von ihrem heutigen Ehemann Marco Gross, dem Sohn des mehrfachen deutschen Olympia-Medaillengewinners Ricco Gross, gefragt wurde, ob denn alles in Ordnung sei, kam der Zeitpunkt des Handelns.
Im Frühjahr 2021 begab sich Häcki-Gross in Therapie. Eineinhalb Jahre brauchte sie, um die Essanfälle in den Griff zu bekommen. Schliesslich entschied sie sich im Frühjahr 2022, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. Dazu sagt sie: «Seither ist mein Kopf frei, ich habe mehr Energie und die Probleme im Griff. Mir gehts wieder gut.»
Den sportlichen Lohn für ihre Offenheit erntete sie im vergangenen Winter. Und dies soll erst der Anfang gewesen sein. Wenn im kommenden Februar in Lenzerheide die WM-Medaillen verteilt werden, will Lena Häcki-Gross ganz vorne mitmischen.