So funktioniert ein Biathlon-Gewehr
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Stalders erklären die Details:So funktioniert ein Biathlon-Gewehr

Vater von Hoffnungsträger an Heim-WM tüftelt in Zimmerei
Die Stalders setzen beim Biathlon-Gewehr auf Eigenbau

Dass WM-Hoffnungsträger Sebastian Stalder mal verschiesst? Eher selten. Der Zürcher Spitzenbiathlet setzt, wie auch sein Bruder Gion, auf ein von Vater Rolf gefertigtes Gewehr. Eines, das eigentlich unbezahlbar ist.
Publiziert: 14:57 Uhr
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Aktualisiert: 15:58 Uhr
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Wie in der Appenzeller-Käse-Werbung, nur mit der Geheimhaltung sehen sie es nicht ganz so eng: Sebastian, Rolf und Gion Stalder vor ihrer Zimmerei-Werkstatt in Wald ZH.
Foto: Sven Thomann

Auf einen Blick

  • Familie Stalder stellt Biathlongewehre in Massanfertigung her und unterstützt Sebastians Erfolg
  • Rolf Stalder teilt gerne sein Wissen und hilft auch Konkurrenten
  • Ein Stalder-Gewehr kostet 3500 Franken und wiegt 3,5 Kilogramm
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Sebastian (27) und Gion Stalder (25) sitzen mit ihrem Vater Rolf (53) auf einem Bänkchen und halten die Zeigefinger vor den Mund. Was wollen sie verschweigen? Es ist augenscheinlich: Sie ahmen die Kultwerbung von Appenzeller Käse nach, bei der drei ältere Sennen das Geheimrezept partout nicht preisgeben möchten.

Rolf Stalder erklärt lachend: «Das ist natürlich nur ein Gag.» Der Zimmermann aus Wald ZH stellt Biathlongewehre in Massanfertigung her – und hat so seinen Teil dazu beigetragen, dass sein Sohn Sebastian einer der weltbesten Schützen in dieser Sportart geworden ist. Doch mit der Geheimhaltung sähe er es eigentlich nicht so eng, wenn jemand mit ernstem Interesse für seine Tüftelei an ihn herantreten würde.

Über die News vom Topathleten Vetle Sjastad Christiansen (32), der letzten Herbst beinahe am Weltverband IBU verzweifelt war, musste er schmunzeln. Der Norweger wollte beim Schiessen mit einer neuen Magazinhalterung ein paar Sekunden dazugewinnen, sah nach langem Hickhack aber erst eine spätere Version durchgewunken. «Wenn er zu uns gekommen wäre, hätten wir ihm schon geholfen – Konkurrenz hin oder her», sagt Rolf Stalder. Ihm geht es in erster Linie um die Sache: um ein qualitativ hochwertiges, auf den Athleten zugeschnittenes Gewehr. Sebastian, auch er ein gelernter Zimmermann und jetzt WM-Hoffnungsträger in Lenzerheide GR, und Gion Stalder schiessen schon seit Jahren mit der Marke Eigenbau. Hinzu kommen vereinzelte Athleten im Nachwuchs- und Elitebereich, die auf Wunsch ebenfalls ausgestattet wurden. 

WM-Start mit Mixed-Staffel

Erster Wettkampf in Lenzerheide, erste Chance auf einen Schweizer Coup! Der WM-Startschuss fällt am Mittwoch um 14.30 Uhr mit der Mixed-Staffel. Die Schweiz geht mit Amy Baserga, Lena Häcki-Gross, Niklas Hartweg und Sebastian Stalder ins Rennen.

Erster Wettkampf in Lenzerheide, erste Chance auf einen Schweizer Coup! Der WM-Startschuss fällt am Mittwoch um 14.30 Uhr mit der Mixed-Staffel. Die Schweiz geht mit Amy Baserga, Lena Häcki-Gross, Niklas Hartweg und Sebastian Stalder ins Rennen.

Ein Stalder-Gewehr zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus. Erstens: Es ist aus Weymouthsföhrenholz, enorm stabil und gleichzeitig sehr leicht. Die Version von Sebastian Stalder etwa ist wie bei allen Topbiathleten 3,5 Kilogramm schwer, was dem vorgeschriebenen Minimum entspricht. Ein kleines Aluminiumteil am hinteren Teil des Gewehres, das sich im Falle eines Sturzes verbiegen lässt, verhindert das Kaputtgehen während des Wettkampfes.

Stabil, leicht, schnell

Zweitens: Es verfügt über ein ausgeklügeltes Ladesystem, das es dem Athleten erlaubt, den ersten Schuss viel schneller abzugeben als bei einem herkömmlichen Gewehr – weil das Magazin schon bereitliegt. «Dadurch hast du im Schiessstand einen psychologischen Vorteil. Wenn du als Erster den ersten Schuss abgibst, setzt du die anderen unter Druck», so Sebastian Stalder. Und sein Vater ergänzt: «Früher war es die Hauptsache, möglichst null Fehler zu schiessen. Da nahm man dann auch mal 45 Sekunden am Schiessstand in Kauf. Heute bist du mit 30 Sekunden einer der Langsamsten.»

Und drittens: Pistolengriff und Schulterstützen werden genau auf den Athleten angepasst, wodurch ein individualisiertes Gewehr entsteht. Und dann gibt es da noch die speziellen Varianten wie jene des B-Kader-Athleten Felix Ullmann, der ein Wolf-Design auf den Schaft verpasst bekam. Die Stalder-Söhne wechseln die Farbe ihres Sportgeräts derweil fast jede Saison.

Und apropos Sportgerät: Dieser Begriff ist Rolf Stalder – und der Szene allgemein – besonders wichtig: «Der Biathlon soll nicht wie ein Kampfsport daherkommen. Das Biathlongewehr ist keine Waffe.»

«Kunst? Meine Einstellung ist eine ähnliche»

Rolf Stalder liebt, was er macht. Angefangen hat alles mit einem Schulprojekt seiner Tochter Selina, die ein Biathlongewehr herstellen wollte. Seither ist er angefixt von diesem Handwerk. Und er mag es, wenn jemand mit ausgefallenen Wünschen auf ihn zukommt. «Am liebsten hätte er es wohl, wenn alle ein verrücktes Design hätten», witzelt Gion, der in dieser Saison vor allem auf zweithöchster Stufe zum Einsatz kam und nicht an der WM dabei sein wird.

Papa Rolf, der Künstler? Dieser entgegnet: «Ich will nicht sagen, dass das, was ich mache, Kunst ist. Aber meine Einstellung ist eine ähnliche. Ich mag die Einzigartigkeit.» Und Sebastian schickt hinterher: «Zwischendurch muss er auch mal zu seinen Täubchen schauen und den Kopf durchlüften.» Die Vögel sind eine weitere Leidenschaft des Familienvaters.

Rolf Stalder schätzt die Freiheiten, die ihm der Weltverband in puncto Richtlinien gibt. Kurz zusammengefasst: Ein Ladeautomatismus am Gewehr wäre strikt untersagt. Doch dies sei bei ihm nicht der Fall: «Sie haben es überprüft und für gut befunden.» Bleibt noch der Kostenpunkt: 3500 Franken verlangt Rolf Stalder für ein massgefertigtes Sportgerät. Das ist etwas teurer als bei manch anerkannten Herstellern aus dem Ausland, deren Liste an Kunden, unter ihnen auch einige von Swiss-Ski, mitunter massiv länger ist.

Für Bö würde er den Turbo zünden

Warum die Schweizer nicht in Wald ZH Schlange stehen? Sebastian Stalder erklärt sich das so: «Das Gewehr während einer Karriere zu wechseln, ist ein grosser Einschnitt. Wenn jemand bereits gut schiesst, macht es wenig Sinn, diese Sicherheit aufs Spiel zu setzen.»

Bei Rolf Stalder kann der Bau eines Gewehrs inklusive Rohlinge gut und gerne sechs Monate dauern, je nach Auftragslage seiner Zimmerei. Besondere Anfragen könnten das Prozedere aber auch beschleunigen. Sollte beispielsweise Johannes Thingnes Bö (31), der norwegische Superstar und Dominator der letzten Jahre, anfragen, würde er «alles stehen und liegen lassen». Auch hier zeigt sich wieder: Aus möglichen Patenten und Geheimhaltung macht sich Rolf Stalder nichts. Auch die 3500 Franken stehen freilich in keinem Verhältnis zu den geleisteten Arbeitsstunden. Der Gewehrbau ist für ihn vor allem eines: «Eine Herzensangelegenheit.»

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