Benjamin Weger hat zu seiner «Wurzel» ein gespaltenes Verhältnis
«Ich gehe mit meinem Gewehr nicht ins Bett»

Teile seines Gewehrs benutzt Benjamin Weger schon seit 14 Jahren. Eine Liebe hat sich dabei aber nicht entwickelt.
Publiziert: 06.01.2020 um 13:52 Uhr
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Benjamin Weger ist der beste Schweizer Biathlet.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Stefan Meier (Text) und Benjamin Soland (Fotos)

Wenn sie spinnt, gehts schief. Benjamin Weger hat eine spezielle Beziehung zu seiner «Wurzel», wie er sein Gewehr beim SonntagsBlick-Termin in einem Nebensatz nennt. «Ich liebe mein Gewehr nicht», stellt der beste Schweizer Biathlet klar. «Aber ich habe es schon oft verflucht.»

Ein paar Mal sei er nahe dran gewesen, seine Wurzel, der Schaft besteht aus Nussbaumholz, wegzuschmeissen. «Aber geflogen ist sie noch nie.»

Es ist also mehr Hassliebe als Liebe. Wobei nicht einmal das. Meistens ist die Beziehung des Wallisers zu seinem Sportgerät neutral. Dabei gibt es sie durchaus, die Biathleten, die vernarrt in ihr Gewehr sind.

Der legendäre Norweger Ole ­Einar Björndalen erzählte zum Beispiel einst, dass in der Nacht vor einem Wettkampf das Gewehr immer direkt neben dem Bett stehe. Und wenn die Frau nicht mit dabei sei, dann nehme er sie (sein Gewehr sei weiblich) einfach mit unter die Decke.

«Gewehr ist für mich ein Sportgerät»

Für Weger ist das Quatsch. «Ich bin einfach nicht der Typ, der dieses Tamtam braucht. Für mich ist das Gewehr ein Sportgerät wie meine zwanzig Paar Langlaufski oder meine Stöcke. Und die nehme ich auch nicht mit ins Bett.»

Höchstens am Anfang seiner Karriere hat Weger von diesen Geschichten und der speziellen Beziehung zum Gewehr gehört und sich anstecken lassen. Bis er irgendwann merkte, dass ihm das nicht zusagt.

Einen Namen trägt die Sportwaffe nicht – und sie ist für Weger auch geschlechtsneutral. Mal nennt er das Gewehr Wurzel, dann wieder «de Siech» oder «das Ding».

Der 30-Jährige pflegt das Gewehr pflichtbewusst. Doch dann kommt es in die Ecke und bleibt da, bis er es das nächste Mal braucht. «Wenn ich es einmal eine Woche lang nicht in den Fingern habe, vermisse ich es kein bisschen. Da vermisse ich meine Freundin mehr, wenn ich wochenlang mit dem Gewehr im Weltcup unterwegs bin.»

Amouröse Gefühle kommen bei Weger und seinem Arbeitsgerät also nicht auf. Wut aber schon ab und zu. 2015 verhinderten zum Beispiel zwei Ladehemmungen in zwei aufeinanderfolgenden Wettkämpfen Podestplätze.

«Es ist fast unbezahlbar»

Oder in dieser Saison, wo es Weger nicht so recht laufen will. Nach einem 5. Platz beim Start in Östersund (Sd) hapert es plötzlich. Die Form sei einfach nicht ganz da, wo Weger sie gerne haben würde. Das Höhentraining und die damit verbundene Einsamkeit kurz vor dem Saisonstart wirken sich negativ aus bei ihm.

Und dazu, wahrscheinlich auch durch die Form ausgelöst, schleicht sich eine Verunsicherung beim Liegendschiessen ein. Während es im Stehen (Zielgrösse 11,5 cm) nach wie vor gut läuft, hapert es beim Schuss auf die nur fünflibergrosse Scheibe an der Präzision.

Am Gewehr liegt das nicht. Seit 14 Jahren schon schiesst er mit dem gleichen System, seit 2014 hat er den Holzschaft. Die Konturen und Kurven hat er in ewiger Feinarbeit abgeschliffen, an seine Hände angepasst.

Der Materialwert von 3500 bis 4000 Franken gilt längst nicht mehr. «Es ist fast unbezahlbar. Ich kann es nicht in eine Zahl fassen. Du arbeitest ständig dran. Der Wert ist am Ende viel höher, als er im Buch steht.»

Die letzte grössere Umstellung hat Weger auf diese Saison hin ­vorgenommen. Ein neuer Lauf, der ein bisschen dicker und schwerer ist, bringt etwas mehr Stabilität im Stehendschiessen.

Weil aber die Waffe damit schon um die 4,3 Kilogramm wiegt (im Minimum muss sie 3,5 kg schwer sein), hat Weger überall, wo es möglich war, Material weggefräst. Sodass es im Verschluss zum Beispiel tiefe Kerben drin hat. «Ich wollte nicht, dass es zu schwer ist.»

Die Änderung bereut Weger nicht. «Der Stehendanschlag funktioniert ja», sagt er. «Und auf das Liegendschiessen hat das alles keinen Einfluss.»

Weger hofft, dass nächste Woche in Oberhof (De) auch das wieder funktioniert. Über Weihnachten konnte er die Batterien aufladen, die Müdigkeit von Anfang Saison sollte weg sein. Das Ziel bleibt sowieso das gleiche wie immer: der erste Weltcup-Podestplatz seit 2012. Wenn nur die Wurzel nicht spinnt.

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