Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Spielend alt werden

Wer liebt, was er tut, muss sich nie Fragen zur Einstellung gefallen lassen, liebe Fussball-Nati. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 12.06.2022 um 19:02 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2022 um 19:28 Uhr
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Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

«Wenn die Passion fehlt, dann fehlt alles. Ohne Leidenschaft ist nichts zu erreichen.»

Das Zitat von Schriftsteller Alberto Moravia trifft den Kern des Lebens. Einfach etwas tun, damit es getan ist, ohne Passion, ohne Leidenschaft? Das kann nie erfüllend sein. Nicht für den Bäcker, nicht für den Koch, nicht für die Krankenschwester.

Vor allem nicht im Sport, der in dieser Beziehung als Spielwiese des Lebens immer wieder Anschauungsunterricht liefert. Beispielsweise die blutleeren Auftritte der Nationalmannschaft gegen Tschechien und Portugal. Ohne Leidenschaft, ohne Inspiration. Natürlich: Es geht nicht einmal um die goldene, sondern höchstens um die silberne Ananas.

Trotzdem: Wenn man leidenschaftlich liebt, was man tut, dann tut man es immer mit Feuer. Sonst kann man schauen, wie es die ganz Grossen machen. Luka Modric beispielsweise. Er hat alles erreicht in seiner grossen Karriere, er war Weltfussballer, er ist 36 Jahre alt. Er wird in der Nations League im Heimspiel gegen Österreich beim Stande von 0:3 (!) eingewechselt.

Er ist sich nicht zu schade für diesen Wettbewerb, für die Rolle auf der Bank, für die Einwechslung im undankbarsten aller Momente. Er schnappt sich die Captainbinde, er kämpft, er sprintet, er spielt. Als ginge es um den WM-Final.

Er kann nicht anders. Weil er auch mit 36 Jahren voller fast kindlicher Freude und Leidenschaft ist für dieses Spiel. Das gilt auch für Cristiano Ronaldo, der auch auf der winzigen Bühne der Nations League seine Mutter auf der Tribüne zu Tränen rührt. Und spielt, als gäbe es kein Morgen.

Bei den ganz Grossen jeglicher Zunft ist es nie eine Frage der Einstellung. Sobald man das tut, was man am liebsten tut, tut man es mit feurigem Herzen. Sonst hat man den Beruf verfehlt.

Gewisse «Stars» der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft haben phasenweise gezeigt, wie es nicht geht. Neben Modric und Ronaldo zeigten in den letzten Tagen auch andere, wie es geht.

John Whitaker beim CSO in St. Gallen beispielsweise. Der Engländer reitet in der Weltspitze so leidenschaftlich wie ein 20-Jähriger. Er ist 66 Jahre alt. Oder der 43-jährige Schwingerkönig Arnold Forrer, der mit künstlichem Hüftgelenk die Konkurrenz das Fürchten lehrt. Er kann nicht loslassen. Weil er weiter Leidenschaft für das Schwingen hat.

«Ich bin nie erwachsen geworden. Ich bin nur alt geworden», hat Yehudi Menuhin einst gesagt. Er war einer der grössten Geigenvirtuosen der Geschichte. Und ist mit 83 Jahren als Dirigent letztmals auf der Bühne gestanden.

Seine kindliche Leidenschaft für die Musik hatte er sich bewahrt. Er ist alt geworden. Aber nie erwachsen.

Zum Glück.


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