Thierno Barry (21) wächst mit seinen zwei Schwestern und seinen Eltern, die aus Guinea stammen, in bescheidenen Verhältnissen in Frankreich auf. Er ist kein fussballerisches Supertalent, spielt lange auf Amateurniveau.
Im Sommer 2022 darf er beim belgischen Zweitligisten Beveren vorspielen. Er überzeugt in den Probetrainings und bekommt einen mit monatlich 2000 Euro dotierten Vertrag. Als sich ein Stürmer verletzt, erhält er seine Chance. Er schiesst Tor um Tor, zwanzig sind es am Saisonende. Er wird zum besten Spieler der zweiten belgischen Liga gewählt – und kommt nach Basel.
Aber der Auftakt wird zum Fiasko. Er startet mit zwei Platzverweisen, verschuldet zwei Penaltys und verstolpert jede Chance. Seine Verpflichtung erscheint als einziges Missverständnis. «Sorry, der Typ hat nicht mal gegen seinen eigenen Schatten eine Chance», schreibt einer. Er muss sich gar rassistische Sprüche gefallen lassen und wird von der Vereinsführung hinterfragt.
Der schwer getroffene und schüchterne Barry aber gibt sich kämpferisch. Er entgegnet den Kritikern: «Ich kenne meine Arbeit, ich weiss, was ich verbessern muss, und ich weiss, woher ich komme. Euer Hass wird mich stärker machen.»
Dann kommt das Freundschaftsspiel gegen Bayern. Und plötzlich wird der leibhaftige Chancentod mit Sprechchören gefeiert. Man reibt sich verwundert die Augen.
Wie wird einer, der ein Sohn von Edward Murphy («Alles, was schiefgehen kann, geht schief») sein könnte, zum Publikumsliebling? Welche psychologischen Gesetzmässigkeiten spielen da eine Rolle? Schafft Mitleid fast mehr Nähe und Zuneigung als reine Bewunderung?
Basler Publikum beweist Feinfühligkeit
Es braucht keine tiefenpsychologische Grundlagenstudie: Fussballfans haben ein feines Näschen. Vor allem in Basel. Nach Monaten der Leidenszeit haben die Anhänger gespürt, dass hier ein junger Spieler am Scheideweg seiner Karriere steht und Unterstützung braucht.
Kein Lautsprecher, kein bunter verhätschelter Paradiesvogel, der im Porsche vorfährt. Sondern ein bescheidener Bursche, ein grosser Junge, der etwas zu schnell gewachsen ist. Ein schlaksiger «Gstabi», der in einem fremden Land ins kalte Wasser geworfen wird.
Dass man so einen jungen Mann, der verzweifelt versucht, auf die Beine zu kommen, nach 18 Spielen ohne Torerfolg mit Sprechchören feiert, ist eine wunderbare Geschichte. «Die Fans haben mir gezeigt, dass ich hier zu Hause bin», sagt der dankbare Barry, nachdem er in Winterthur zweimal getroffen hat.
Ob ihm der grosse Durchbruch am Rheinknie gelingt, ist offen. Vielleicht schafft er es tatsächlich, in die Fussstapfen von Massimo Ceccaroni zu treten. Der ist einst die Linie rauf und runter gerannt, hat gegrätscht und gekämpft und ist, trotz überschaubaren fussballerischen Qualitäten, zum Basler Fussballgott geworden.
Auch goldenes Handwerk kann genügen. Genauso wie Tore am laufenden Band keine Garantie sind, um sich in die Herzen der Fans zu spielen. Und so könnte, nicht zuletzt dank der Sozialkompetenz der Muttenzerkurve und der Geduld von Fabio Celestini, die Karriere von Barry doch noch zu einem schönen Märchen werden. Die Nationalmannschaft von Guinea hat bereits angeklopft.
Steht das Kürzel FCB bald für FC Barry?