Übrigens – die Kolumne zu Papas Geburtstag
Sprung ins 91. Lebensjahr

Ein sportlicher Soldat der Kavallerie wird 90 Jahre alt. Herzliche Gratulation. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 08.01.2023 um 18:47 Uhr
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Josef Bingesser und sein Wallach «Verfolger»: Ein eingespieltes Team – mit einer Ausnahme.
Foto: Zvg

Im Frühjahr 1957 reitet der 24-jährige Josef, den alle nur «Sepp» rufen, mit seinem Wallach «Verfolger» vom elterlichen Bauernhof auf Feldwegen in die Ostschweizer Gemeinde Neukirch. Dort steht die lokale Springkonkurrenz auf dem Programm.

Seine Verlobte hat sich extra ein neues, zitronengelbes Kleid mit Blumenmuster gekauft. Sie steht erwartungsfroh am Rand des Reitplatzes, als Josef in seiner Kavallerie-Uniform in den Parcours reitet. Die ersten Sprünge gelingen. Doch dann verweigert sein eigenwilliges Pferd plötzlich die Zweierkombination. Nicht einmal, sondern gleich dreimal.

Josef wird disqualifiziert. Die Zornesröte steigt ihm ins Gesicht. Ausgerechnet heute! Das Blümchenkleid seiner Angebeteten schaut auf einen Schlag ein wenig welk aus. Es wird nichts mit dem gemeinsamen Auftritt bei der Siegerehrung. Das ansonsten so zuverlässige Pferd hat ihn schon durch die Rekrutenschule getragen. Am Ende der RS hat es sein Vater bei der Versteigerung für 1200 Franken dem Militär abgekauft.

Die Kindheit von Josef auf dem elterlichen Hof ist nicht einfach. Als Bub muss er früh mit anpacken. Die Mutter hat es auf der Lunge. Sie muss ins Sanatorium. Sieben Kinder, ein grosser Hof, eine kranke Mutter und der Vater steht im Zweiten Weltkrieg jahrelang im Aktivdienst an der Grenze. Es waren nicht nur schöne Zeiten.

Einmal macht er Ferien. Er fährt mit seinem Dreigangvelo zusammen mit dem jungen Knecht vom Nachbarhof über die Schweizer Alpenpässe. In Meiringen helfen sie einem Bauern beim Heuen. Und erhalten dafür ein Nachtessen und dürfen im Heustock übernachten.

Josef heiratet, zieht nach Zürich, dann in den Aargau. Sein Leben wird geprägt von der Familie und der Arbeit, bleibt aber stets sportlich.

Er predigt seinen Buben, viel barfuss zu laufen. Das gebe eine gesunde Hornhaut an den Füssen. Die Ferien verbringen Josefs Kinder auf dem Bauernhof des Grossvaters. Der läuft das ganze Jahr barfuss. Im Stall quillt ihm der Kuhmist zwischen den Zehen hindurch.

Im Winter, wenn es auch im Aargau geschneit hat, nimmt Josef seine Kinder mit auf zehnminütige Spaziergänge durch den Garten. Barfuss. Das stärkt das Immunsystem. Sagt er. Josef präpariert sich ausserhalb des Dorfes eine Loipe und zieht da seine Runden.

Viel Bewegung, nicht rauchen und sich aus dem eigenen Garten ernähren. «Dann wird man nie krank!» Es ist sein Lebensmotto. Dem Turnverein hält er seit mehr als 50 Jahren die Treue. Noch heute schwingen er und seine Kollegen jede Woche die Arme und lassen den Rumpf kreisen. Wie das Turnvater Jahn einst propagiert hat.

Josef heisst mit Nachnamen Bingesser. Er ist mein Vater und wird am 9. Januar 90 Jahre alt. Er fährt viel mit dem Velo, er marschiert mit dem Hund, füttert seine acht Hühner und ist den ganzen Sommer im Garten. Er ist sportlich geblieben, selbstlos, bescheiden, lebensfroh.

Herzliche Gratulation zum Geburtstag! Und danke für alles, lieber Vater! Vor allem auch für das Sportler-Gen.

PS: Der Lapsus bei der Springkonkurrenz hat keine Folgen gehabt. Er ist mit der Frau im Blümchenkleid seit 63 Jahren verheiratet.

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