Übrigens – die Kolumne
Keine Gnade nach der Geburt

Gianni Infantino wird heute von der besten WM aller Zeiten fabulieren. Und sich im Blitzlichtgewitter sonnen. Hat ein ausgeprägtes Machtbewusstsein mit der frühesten Kindheit zu tun? Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 18.12.2022 um 20:20 Uhr
Blick-Reporter Felix Bingesser.
Foto: Thomas Meier

Wie wird man, wie man ist? Wann kommt er, der Hunger nach Macht, nach Ansehen, nach Reichtum? Wie wird man ein gewiefter Taktiker, geht über Leichen, wird eitler und eitler und dreht sich nur noch um sich selbst?

Vielleicht hilft bei solchen Menschen ein Blick in die Kindheit. Sepp Blatter beispielsweise, erzählt immer gerne, dass er im März 1936 zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen ist. Sein Leben hängt an einem seidenen Faden. Brutkästen gibt es damals noch keine. Seine Mutter hat das Frühchen immer in Decken gewickelt und ins Ofenrohr gesteckt, um ihn zu wärmen. Die Frage lautet jeden Tag: Schafft er es? Schafft er es nicht? Der kleine Sepp überlebt und wird zu einem der mächtigsten Sportfunktionäre der Welt. «Vielleicht habe ich als Baby schon gelernt zu kämpfen», betont er immer wieder.

Gianni Infantino ist die Weiterentwicklung von Blatter, auch wenn die beiden heute Intimfeinde sind. Auch Infantino ist Walliser. Sein Sendungsbewusstsein ist noch ausgeprägter als dasjenige seines Vorgängers. Und auch das Leben des heutigen Fifa-Bosses hängt einst an einem seidenen Faden.

Infantino kommt im März 1970 auf die Welt. Antikörper verursachen eine schwere Gelbsucht. Der kleine Gianni braucht innert Tagen einen kompletten Blutaustausch. Das Rote Kreuz findet einen Spender in London und eine Spenderin in Belgrad. Die Zeit drängt, es geht um Stunden. Das Blut wird eingeflogen, und das Leben von Gianni wird gerettet. Die Geschichte und das Schicksal des Walliser Säuglings sind am 27. März auf der Titelseite des Blick das grosse Thema.

Macht ein solches Schicksal demütig? Im Gegenteil. Jetzt wähnt sich dieser Mann, der sich den korrupten Scheichs geradezu in die Arme wirft, auf dem Olymp.

Die Falken werden am Sonntag steigen, die Kamele werden vor Freude wiehern. Und ein gewaltiges Feuerwerk wird die Arabische Halbinsel beleuchten, wenn Infantino zur Laudatio ansetzt und von der besten WM aller Zeiten fabuliert. «Today, I feel Katari», wird er wohl mit dem ihm eigenen dramatischen Pathos nochmals posaunen. Daneben wird sich Botschafter David Beckham eine fiktive Krokodilsträne aus dem Augenwinkel reiben. Sein Privatjet ist schon startklar. Mit vollen Koffern. Kleider sind keine drin.

Aber zuerst wird noch der Final gespielt. Zwei der meistgenannten Favoriten sind die Kontrahenten in einem grossen Spiel. Zumindest sportlich ist das ein versöhnlicher Abschluss.

Die Katarer haben sich eine WM gepostet und werden sie als gelungene PR-Aktion feiern. Ihr Blick geht aber schon wieder nach vorne. Nach der Fifa steht jetzt das Europaparlament in Brüssel auf der Einkaufsliste der Scheichs. Sie machen sich jetzt dort die Botschafter für ihr Land gefügig. Die Vizepräsidentin Eva Kaili sitzt in Untersuchungshaft, die gestapelten Notenbündel hat man unter dem Bett ihrer Tochter gefunden.

Unter einem Kinderbett. Spielgeld halt.

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