«Désirée gab mir Kraft von oben»
Nach WM-Bronze dachte Giulia Steingruber an ihre verstorbene Schwester

Endlich hats geklappt! Giulia Steingruber holt am Sprung an der WM Bronze. Nach einer Achterbahnfahrt der Gefühle ist sie überglücklich.
Publiziert: 08.10.2017 um 12:43 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 20:30 Uhr
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Steingruber ist erst die zweite Schweizerin, die eine WM-Medaille gewinnt.
Foto: EQ Images
Stefan Meier

Spannender geht’s kaum! Giulia Steingruber (23) springt an der WM in Montreal in einem Krimi zu Bronze. Als erste Turnerin muss die St. Gallerin im Sprung-Final ran. Zuerst der Tschussowitina. Nicht ganz perfekt, mit einem kleinen Ausfallschritt. Der Jurtschenko mit Doppelschraube dann perfekt. Doch es ist klar: Nur Patzer der Konkurrenz lassen ihrem Traum in Erfüllung gehen.

Tatsächlich ziehen Maria Paseka (Russ) und Jade Carey (USA) gleich vorbei. Doch dann beisst sich eine Turnerin nach der anderen an Giulias Leistung die Zähne aus. Bis am Ende Sae Miyakawa aus Japan antritt – und stürzt. Die lange ersehnte WM-Medaille ist endlich Tatsache.

Gratulation. Hätten Sie damit je gerechnet?
Nein, ehrlich gesagt überhaupt nicht. Es war ja lange nicht einmal klar, welche Sprünge ich zeigen würde. Aber dann ist alles ideal aufgegangen. Es ist mega cool.

Was ging Ihnen beim Sturz der letzten Turnerin durch den Kopf?
Es war eine grosse Erleichterung. Ich habe mich mega gefreut, weil ich natürlich sofort wusste, dass ich es geschafft habe. Sie hatte ja sogar die gleichen Sprünge wie ich. Deshalb habe ich extrem gezittert. Es war wirklich spannend.

Sie mussten als erste Turnerin ran. Wie lange wussten Sie das?
Es wird immer vor der Qualifikation ausgelost, welcher Quali-Rang wann in den Wettkampf geht. Also wusste ich direkt nach dem 3. Platz in der Quali, dass ich würde starten müssen. Und das ist dann einfach so. Ändern kann man sowieso nichts.

Die Schweiz hat mit Ihnen mitgezittert. Selbst die Übertrahung des Nati-Spiels wurde für Sie verzögert.
(lacht) Tatsächlich? Das habe ich nicht mitgekrigt. Das ehrt mich wirklich.

Die letzte Lücke in Ihrem Palmarès ist nun geschlossen. Wie fühlt sich das an?
Es ist eine mega Belohnung für mich. Vor allem für dieses schwierige Jahr. Es war ja vor allem Anfang Jahr ziemlich holprig mit der Operation. Ich bin überglücklich, dass dann alles so gut aufgegangen ist.

Wie sehr ist Ihnen bewusst, dass nur Sie und Ariella Kaeslin geschafft haben, eine WM-Medaille bei den Frauen zu gewinnen?
Im Moment überhaupt nicht. Ich muss das alles erst verarbeiten. Alles ist an mir vorbeigeflogen. Ich brauche etwas Zeit.

Jetzt haben Sie ja Medaillen von allen internationalen Grossanlässen. Muss man sich Sorgen um Ihren Rücktritt machen?
Uh nein, überhaupt nicht. Besser geht immer. Ich bin jemand, der sich immer verbessern will. Tokyo 2020 ist ein grosses Ziel für mich und dafür bin ich topmotiviert.

Wie nahe waren Sie eigentlich am Rücktritt dran in der langen Abwesenheit. Gab es Momente, in denen es wirklich auf der Kippe war?
Nein, das war  eigentlich immer ziemlich weit weg. Es waren Gedanken da, aber nur kurz. Ich konnte mich nicht mit diesen Gedanken anfreunden.

Wissen Sie eigentlich, wie viele internationale Medaillen Sie schon gewonnen haben?
Ich glaube zehn?

Nein, mittlerweile sinds schon 11! Wo bewahren Sie diese auf?
Schon 11? Cool! Die wichtigsten Medaillen habe ich daheim in St. Gallen schön aufgestellt.

Und diese erhält einen Ehrenplatz?
Definitv.

Sie kam ja wie gesagt unter sehr schwierigen Bedingungen zu Stande gekommen. Wie haben Sie es geschafft, nach über einem Jahr Wettkampfpause wieder so in Form zu kommen?
Ehrlich gesagt war ich mit meiner Form noch gar nicht so zufrieden. Sie hätte sicher besser sein können. Umso schöner ist es, dass es so gut aufgegangen. Das Trainerteam und die Athleten haben mich einfach so gut wieder aufgenommen und mich überall unterstützt. Das hat sehr viel ausgemacht. Und auch meine Eltern waren ein wichtiger Faktor und eine grosse Unterstützung für mich.

Wie geht es denn jetzt weiter für Sie. Folgt schon wieder eine Pause?
Nein, das nicht gerade. Es wird jetzt sicher ein paar Tage ruhiger. Aber dann steht im November noch der Swiss Cup vor der Tür. Dort werde ich sicher mitmachen. Und dann geht es darum, neue Sachen zu erlernen und mit dem Team einen Schritt zu machen.

Sie haben im letzten Jahr, selbst in dieser Woche, ein emotionales Auf und Ab durchgemacht. Wie sieht es jetzt in Ihnen aus?
Im Moment bin ich einfach überglücklich, aber sehr müde. Ich freue mich, dass ich ein bisschen «pfüsele» kann.

Sie sagten diese Woche, dass die Bodenübung ihrer im Februar verstorbenen Schwester Désirée gewidmet war.
Ich hatte das mit meiner Choreografin so besprochen. Ich hatte das Gefühl, das verbindet mich mit ihr.

Nach diesem Erfolg werden Ihre Gedanken sich auch bei Désirée sein?
Definitiv, ich dachte sofort an sie. Sie gehört einfach zu mir und war auch immer Antrieb für mich. Und jetzt gab sie mir sicher neue Kraft von oben.

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