Vor dem Start zum 40. Ironman auf Hawaii (USA) sagte Daniela Ryf (31), sie wolle ein spektakuläres Rennen zeigen und die Zuschauer beeindrucken. Wer die Vita der dreifachen Hawaii-Siegerin kennt, weiss, dass die Solothurnerin solchen Worten in der Regel Taten folgen lässt. Doch was Ryf diese Nacht zeigte, übertrifft sämtliche Erwartungen. Es ist nicht vermessen, vom grössten Ironman-Rennen zu sprechen, das eine Frau je abgeliefert hat.
Zuerst die nackten Zahlen: Daniela Ryf siegt in einer Zeit von 8:26:18 Stunden, Streckenrekord! Die eigene Bestzeit um mehr als 20 Minuten pulverisiert! Damit gewinnt Ryf zum vierten Mal in Folge auf Hawaii, was gleichbedeutend mit dem vierten Weltmeistertitel ist. Zweite wird die Engländerin Lucy Charles (25), die bereits letztes Jahr Ryf als Erste zum Sieg gratulieren konnte und derzeit klar die zweistärkste Athletin auf der Langdistanz ist. Obwohl auch sie unter dem bisherigen Streckenrekord bleibt, hat sie gegen Ryf keine Chance und liegt im Ziel mehr als zehn Minuten zurück.
Von Qualle gestochen
Das Rennen beginnt mit dem Schwimmen, wo Ryf letztes Jahr fünf Minuten auf Charles verlor, weshalb sie dieses Jahr in der Vorbereitung ihren Fokus auf diese Disziplin legte. «Fünf Minuten werde ich garantiert nicht mehr verlieren», sagte Ryf vor dem Start. Sie lag richtig, es sind sogar fast zehn Minuten! Der Grund: Die 31-Jährige wird im Wasser von einer Feuerqualle gestochen! «Zwei Minuten vor dem Start habe ich noch einige Übungen gemacht, da hat mich die Qualle auf beiden Seiten in die Achselhöhlen gestochen», erzählt Ryf nach dem Rennen. «Das Schwimmen war extrem hart. Ich habe meine Arme praktisch nicht mehr gespürt und war gar nicht sicher, ob ich es noch aus dem Wasser schaffe.» Im Ziel gibt sie zu: «Ich dachte, ich müsse aufgeben, die Schmerzen waren derart gross. Doch ich sagte mir, ich bin der Champion. Ich darf nicht aufgeben, Kinder schauen mir zu.»
Auf dem Rad ist von den Schmerzen überhaupt nichts zu sehen. «Sobald ich meine Arme nicht mehr gebraucht habe, wurde es besser.» In einer Zeit von 4:26 Stunden fährt Ryf so schnell, wie nie eine Frau zuvor. Sie fährt mehr als eine Viertelstunde schneller als Landsfrau Karin Thürig (46), die diesen Rekord bisher hielt. Um das einzuordnen: Mit dieser Zeit ist sie gleich schnell unterwegs wie Frederik van Lierde (39), der 2013 auf Hawaii gewann, und zwei Minuten schneller als Patrick Lange (32) bei seinem Sieg letztes Jahr!
Die Kommentatoren überschlagen sich mit Superlativen («This girl is nuts», «holy cow»), können selber nicht glauben, was sie da zu sehen bekommen. Klar, überholt Daniela Ryf mit dieser Jahrhundert-Leistung Charles bereits auf der Radstrecke, die aber ebenfalls ein unglaubliches Rennen abliefert und nicht einmal zwei Minuten nach Ryf auf die Laufstrecke geht.
Auch beim Laufen uneinholbar
Wer die nun folgenden Bilder betrachtet, erhält den Eindruck, dass die erst 25-jährige Charles den schnelleren Schritt haben könnte. Mutig rennt sie aus der Wechselzone los, um den Rückstand auf Ryf zu verringern. Doch die Bilder trügen, mit ihrem kraftvoll aus der Hüfte vorgetragenen Laufstil setzt sich die Schweizerin immer weiter von ihrer Gegnerin ab, im Ziel sind es mehr als zehn Minuten Vorsprung. Auch auf der Laufstrecke läuft Ryf schneller als je zuvor. Dritte wird die Deutsche Anne Haug (35), die zum ersten Mal hier startet.
Nach dem Rennen sagt Ryf, dass es wegen des Quallenstichs das härteste Schwimmen war, das sie je absolvierte. Sie habe aber gewusst, dass auf Hawaii alles möglich sei, weswegen sie weiterkämpfte. Auf ihre phänomenale Radleistung angesprochen, sagt Ryf: «Vielleicht hat mir die Qualle Superkräfte verliehen.»
Ryf misst sich mit Männern
Der Ironman auf Hawaii ist nebst dem Wettkampf an Olympia, der auf der Kurzdistanz ausgetragen wird, das wichtigste Triathlon-Rennen der Welt. Ryf hat es nun viermal in Serie gewonnen und damit den Rekord der Australierin Paula Newby-Fraser (56) eingestellt. Mehr Titel hält nebst Rekordsiegerin Newby-Fraser (8) nur noch die 51-jährige Baslerin Natascha Badmann (6). Derzeit deutet einiges darauf hin, dass Ryf bald die erfolgreichste Schweizerin auf Hawaii sein wird.
Doch ihr Ziel ist längst ein anderes: Ryf orientiert sich an den Männern. Im extremen Ausdauersport sind die Frauen physiologisch bevorteilt, glauben viele Experten. Derzeit hält Ryf einen maximalen Rückstand von 30 Minuten auf die schnellsten Männer für möglich.
Männer-Sieger macht Heiratsantrag
Diese Nacht beträgt Ryfs Rückstand auf Sieger Patrick Lange 34 Minuten. Allerdings muss der Deutsche dafür nicht nur Streckenrekord (7:52:39) laufen, sondern auch als erster Mann unter 8 Stunden bleiben.
Nach seinem Sieg hat Lange sogar noch die Energie, seiner Frau einen Heiratsantrag zu machen, den diese prompt annimmt.
Ryf vor Jan van Berkel
Ryf wäre mit ihrer Zeit bei den Männern auf Rang 25 gekommen. Einen Platz vor dem Schweizer Jan van Berkel (32). Bester Eidgenosse ist Ruedi Wild (36) auf Rang 14, der direkt vor Philipp Koutny (35) ins Ziel läuft.
Ohne den Quallenstich wäre Ryf möglicherweise in die Region von Wild gelaufen, aber diese Geschichte hebt sie sich ja vielleicht für das nächste Jahr auf.