Ihr Spitzname ist Angry Bird, das wütende Vögelchen, und dieses fliegt, als gäbe es keine Grenzen. Trotz Trainingsrückstand attackiert Daniela Ryf (30) die Weltbestzeit über 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen. Und sie triumphiert bei der Challenge Roth (De), tänzelt über die Ziellinie – scheitert aber doch. 20 Minuten fehlen zum angestrebten Rekord.
«Ich habe alles gegeben», sagt sie im Ziel, «aber die letzten 25 Kilometer waren verdammt hart. Ohne die Fans hätte ich es nicht geschafft.» Enttäuscht über die verpasste Bestzeit ist sie nicht, «ich bin happy mit dem Rennen».
Vögelchen Ryf hat allen Grund, glücklich zu sein. Sie siegte trotz schwieriger Umstände. Indes, die weltbeste Iron Lady hat ein Luxusproblem – ihr gehen die Ziele aus. Sie war Schweizer Sportlerin des Jahres. Zweimal triumphierte sie beim Ironman auf Hawaii. Und sie gewann die Rennserie Triple Crown, drei Halbdistanz-Ironman mit der sagenhaften Siegprämie von 1 Million Dollar.
Wie weiter im Sportlerinnen-Leben, das Knochenarbeit bedeutet und die kühnsten Träume mit 30 erfüllt? Ein Kind gebären und weitermachen wie Nicola Spirig? Endlos die Träume wiederholen, bis die biologische Uhr abläuft wie Natascha Badmann?
Naheliegend wäre es, Ryf würde weitere Triple-Crown-Millionen anstreben und für die Zukunft vorsorgen. Triathleten jedoch sind keine Geldsäcke, «dafür stehe ich am Morgen nicht auf». Sie ist fasziniert von der Weltbestzeit, neben der Titelverteidigung auf Hawaii ihr grosses Saisonziel.
Doch im März verletzte sie sich am Rücken, erstmals stockte ihr Körper-Kunstwerk. Das spürt sie am Sonntag im fränkischen Roth bei Nürnberg, der schnellsten Langdistanz weltweit. Sie verliert im Schwimmen drei Minuten. Auf dem Rad holt sie auf, angetrieben von Zehntausenden Fans, die aus der Challenge Roth das vielgerühmte «Wimbledon des Triathlons» machen.
Ryfs Rekordfieber teilt kein Ironman, keine Ironwoman. Diese sind süchtig nach Siegen, nicht nach Rekorden. Zu unterschiedlich die Streckenprofile, die Konkurrenten, die Wetterbedingungen. Deshalb spricht man besser nicht vom Weltrekord, sondern von der Weltbestzeit, und diese hält die zurückgetretene Britin Chrissie Wellington mit 8:18:13 Stunden – geschwommen, geradelt und gelaufen vor sechs Jahren in Roth.
Diesen Sonntag läuft Ryf zu Beginn des Marathons 15 Kilometer wagemutig auf Rekordkurs. Sie ist drauf und dran, Roth zu rocken. Doch dann zollt sie ihrem Trainingsunterbruch Tribut. Dreimal muss sie, toi, toi, toi, Boxenstopps einlegen. Sie verliert Minute um Minute, quält sich in 8:40:03 ins Ziel und gesteht: «Am Schluss lief ich auf dem letzten Tropfen.»
Sie hätte es wissen müssen: Rekordversuche gleichen Gratwanderungen auf schmalem Grat. Die Vorbereitung muss reibungslos sein, die Tagesform perfekt, das Wetter günstig. Coach Brett Sutton riet ihr vom Start in Roth ab: «Daniela muss lernen, sich zu gedulden. Sie wird es irgendwann schaffen, aber jetzt passt es nicht.»
Ryf wird die Weltbestzeit knacken, es ist eine Frage der Zeit. So hat der gescheiterte Rekordversuch etwas Tröstendes: Dieser befreit sie davon, ein neues Ziel zu suchen. «There are no limits» heisst der Ironman-Slogan, es gibt keine Grenzen. Für Angry Bird verbleibt jedoch nur eine, die sie noch nicht triumphal überflogen hat.