Was sind schon zehn Watt? Im Triathlon sind es Welten. Ein Ironman erbringt beim Radfahren über 180 km eine Leistung von durchschnittlich 200 Watt. Wer dank Aerodynamik zehn Watt Energie spart, gewinnt rund drei Minuten. Zehn Watt können über Drama oder Triumph entscheiden.
Darum sind Triathleten Aero-Freaks. Im Anfang des neuen Kults stand der Amerikaner Scott Tinley, ein Tüftler vor dem Herrn, der Mitte der Achtzigerjahre den Triathlon-Lenker erfand. Zuerst als «Spinnerprodukt» abgetan, revolutionierte das U-förmig gebogene Metallrohr den Radsport am 23. Juli 1989. An der Tour de France entriss Greg LeMond, mit einem Triathlon-Lenker unterwegs, seinem Rivalen Laurent Fignon den Gesamtsieg auf der letzten Etappe, contre la montre. Acht Sekunden lag LeMond am Ende vorn – dreimal durchatmen und doch Welten.
Die Krux mit der Aerodynamik
Seit diesem sporthistorischen Drama erzeugte triathletischer Erfindergeist regelmässig materialtechnische Neuerungen. Das Softride (ein Rad ohne Sitzrohr), das Scheiben-Laufrad, das 26-Zoll-Velo – allesamt dienten sie dazu, den Luftwiderstand auf dem Rad, die entscheidende Grösse, zu reduzieren.
Von aussen mag es manchmal scheinen, als seien Triathleten besessen von der Idee, dass das Messbare die Welt zusammenhält und diese Statik unerschütterlich ist. Aerodynamik ist nicht alles, aber ohne Aerodynamik ist alles nichts. Gilt für Profis und Amateure, die beim Ironman vier bis sieben Stunden Rad fahren. Vom Helm über den Zeitfahrrahmen bis zum Bidon – it’s the aerodynamic, stupid!
Sieben Beispiele (in Watt)
Optimierte Sitzposition max. 40
Aero- statt Rundrohrrahmen 15
Laufrad 10-20
Anzug mit Ärmeln 10-15
Aero-Helm 10
Flacher/integrierter Bidon 5-7
Aero-Bremshebel 5
Sieben Beispiele (in Watt)
Optimierte Sitzposition max. 40
Aero- statt Rundrohrrahmen 15
Laufrad 10-20
Anzug mit Ärmeln 10-15
Aero-Helm 10
Flacher/integrierter Bidon 5-7
Aero-Bremshebel 5
«Viele Details sind diskutabel»
Umso erstaunlicher, dass Iron-Lady Daniela Ryf (32) sich beim Watt-Rüsten lange Zeit zurückhielt. Trotz ihres Hawaii-Siegs 2016 mäkelte das deutsche «Triathlon-Magazin»: «Viele Details sind diskutabel: Der Anzug wirft im Bauchbereich Falten, die Satteltasche ist schlecht platziert, der Trinkschlauch stört, die Sitzposition könnte tiefer sein.» Tenor: Mädel, teste mal im Wind!
Voriges Jahr experimentierte Ryf erstmals im Windkanal. Offenbar mit durchschlagender Wirkung. «Ein Riesen-Unterschied», sagt sie rückblickend, «wir haben enorme Fortschritte gemacht.» Vergangenen Oktober auf Hawaii sass sie tiefer und gestreckter auf dem Rad, der Anzug klebte wie eine zweite Haut, statt Helm mit Brille trug sie Helm mit Visier – und triumphierte zum vierten Mal.
Nun scheinen auch Ryf und ihr Coach überzeugt von den immer neuen Verheissungen einer fiebrigen Industrie. Kürzlich testete sie abermals im Windkanal mit Fokus auf Bekleidung, laut Experten der nächste heisse Aero-Trend. Vorbei die Zeiten, als man mit Badehose und Oberteil zum Ironman startete, heute trägt man hoch technische Spezialanzüge mit Armansatz.
«Wollten rausfinden, welcher Stoff am schnellsten ist»
Das noch junge Outfit basiert auf der Erkenntnis, dass moderne Stoffe, an der richtigen Stelle eingesetzt, schneller im Wind sind als menschliche Haut. «Wir wollten rausfinden, welcher Stoff am schnellsten ist», beschreibt Ryf ihre Testziele. «Je nachdem, wie rau die Oberfläche und wie der Anzug gestrickt ist, beeinflusst das die Geschwindigkeit.» Stundenlange Messungen im Windkanal zeigten, dass ihr Anzug passt und den Wind vorbeifliessen lässt – sie ist aerodynamisch in der Moderne angekommen.
Leidenschaftlich das Beste rausholen, Tag für Tag, Mensch und Maschine symbiotisch bis ins Detail perfektionieren – darum geht es im Triathlon. «Mein Trainer glaubt, ich hätte noch Potenzial», skizziert Ryf ihre Grenzen. «Ich kann zehn Prozent schneller werden.» Sie weiss: Das Material ist wichtig, zentral aber bleibt der Mensch.